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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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von Güte gewinnend, aber nicht leicht interessant,
da sie immer etwas Weibliches haben, und selbst
ein alter Mann oft frauenhafter aussieht, als eine
Paderbörnerin in den mittleren Jahren; die helle
Haarfarbe ist durchaus vorherrschend; man trifft alte
Flachsköpfe, die vor Blondheit nicht haben ergrauen
können.

Dieses und alles dazu Gehörige -- die
Hautfarbe -- blendendweiß und rosig, und den
Sonnenstrahlen bis in's überreife Alter widerstehend,
die lichtblauen Augen, ohne kräftigen Ausdruck,
das feine Gesicht mit fast lächerlich kleinem Munde,
hierzu ein oft sehr anmuthiges und immer wohl-
wollendes Lächeln und schnelles Erröthen, stellen
die Schönheit beider Geschlechter auf sehr ungleiche
Wage, -- es giebt nämlich fast keinen Mann, den
man als solchen wirklich schön nennen könnte, wäh-
rend unter zwanzig Mädchen wenigstens funfzehn als
hübsch auffallen und zwar in dem etwas faden, aber
doch lieblichen Geschmacke der englischen Kupferstiche. --
Die weibliche Landestracht ist mehr wohlthätig als
wohlstehend; recht viele Tuchröcke mit dicken Falten,
recht schwere Goldhauben und Silberkreuze an
schwarzem Sammetbande, und bei den Ehefrauen
Stirnbänder an möglichst breiter Spitze, bezeichnen
hier den Grad des Wohlstandes, da selten Jemand

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von Güte gewinnend, aber nicht leicht intereſſant,
da ſie immer etwas Weibliches haben, und ſelbſt
ein alter Mann oft frauenhafter ausſieht, als eine
Paderbörnerin in den mittleren Jahren; die helle
Haarfarbe iſt durchaus vorherrſchend; man trifft alte
Flachsköpfe, die vor Blondheit nicht haben ergrauen
können.

Dieſes und alles dazu Gehörige — die
Hautfarbe — blendendweiß und roſig, und den
Sonnenſtrahlen bis in’s überreife Alter widerſtehend,
die lichtblauen Augen, ohne kräftigen Ausdruck,
das feine Geſicht mit faſt lächerlich kleinem Munde,
hierzu ein oft ſehr anmuthiges und immer wohl-
wollendes Lächeln und ſchnelles Erröthen, ſtellen
die Schönheit beider Geſchlechter auf ſehr ungleiche
Wage, — es giebt nämlich faſt keinen Mann, den
man als ſolchen wirklich ſchön nennen könnte, wäh-
rend unter zwanzig Mädchen wenigſtens funfzehn als
hübſch auffallen und zwar in dem etwas faden, aber
doch lieblichen Geſchmacke der engliſchen Kupferſtiche. —
Die weibliche Landestracht iſt mehr wohlthätig als
wohlſtehend; recht viele Tuchröcke mit dicken Falten,
recht ſchwere Goldhauben und Silberkreuze an
ſchwarzem Sammetbande, und bei den Ehefrauen
Stirnbänder an möglichſt breiter Spitze, bezeichnen
hier den Grad des Wohlſtandes, da ſelten Jemand

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[275/0291] von Güte gewinnend, aber nicht leicht intereſſant, da ſie immer etwas Weibliches haben, und ſelbſt ein alter Mann oft frauenhafter ausſieht, als eine Paderbörnerin in den mittleren Jahren; die helle Haarfarbe iſt durchaus vorherrſchend; man trifft alte Flachsköpfe, die vor Blondheit nicht haben ergrauen können. Dieſes und alles dazu Gehörige — die Hautfarbe — blendendweiß und roſig, und den Sonnenſtrahlen bis in’s überreife Alter widerſtehend, die lichtblauen Augen, ohne kräftigen Ausdruck, das feine Geſicht mit faſt lächerlich kleinem Munde, hierzu ein oft ſehr anmuthiges und immer wohl- wollendes Lächeln und ſchnelles Erröthen, ſtellen die Schönheit beider Geſchlechter auf ſehr ungleiche Wage, — es giebt nämlich faſt keinen Mann, den man als ſolchen wirklich ſchön nennen könnte, wäh- rend unter zwanzig Mädchen wenigſtens funfzehn als hübſch auffallen und zwar in dem etwas faden, aber doch lieblichen Geſchmacke der engliſchen Kupferſtiche. — Die weibliche Landestracht iſt mehr wohlthätig als wohlſtehend; recht viele Tuchröcke mit dicken Falten, recht ſchwere Goldhauben und Silberkreuze an ſchwarzem Sammetbande, und bei den Ehefrauen Stirnbänder an möglichſt breiter Spitze, bezeichnen hier den Grad des Wohlſtandes, da ſelten Jemand 18*

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/291>, abgerufen am 24.11.2024.