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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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ein Bursche ein Juchhei los, was aber so einsam
klingt, wie ein Eulenschrei in einer Sturmnacht. --
Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch
mäßiger, aber siedender Kaffee "zur Abkühlung" in
ganzen Strömen, und mindestens sieben blanke
Zinnkessel sind in steter Bewegung. -- Zwischen
dem Tanzen verschwindet die Braut von Zeit zu
Zeit und kehrt allemal in einem andern Anzuge
zurück, so viel ihr derer zu Gebote stehen, vom
Traustaate an bis zum gewöhnlichen Sonntags-
putze, in dem sie sich noch stattlich genug ausnimmt,
in der damastenen Kappe mit breiter Goldtresse, dem
schweren Seidenhalstuche und einem so imposanten
Körperumfange, als ihn mindestens vier Tuchröcke
übereinander hervorbringen können. Sobald die
Hängeuhr in der Küche Mitternacht geschlagen hat,
sieht man die Frauen sich von ihren Bänken er-
heben und mit einander flüstern; gleichzeitig drängt
sich das junge Volk zusammen, nimmt die Braut
in seine Mitte und beginnt einen äußerst künstlichen
Schneckentanz, dessen Zweck ist, im raschen Durch-
einanderwimmeln immer eine vierfache Mauer um
die Braut zu erhalten, denn jetzt gilt's den Kampf
zwischen Ehe und Jungfrauschaft. -- So wie die
Frauen anrücken, wird der Tanz lebhafter, die Ver-
schlingungen bunter, die Frauen suchen von allen
Seiten in den Kreis zu dringen, die Junggesellen

ein Burſche ein Juchhei los, was aber ſo einſam
klingt, wie ein Eulenſchrei in einer Sturmnacht. —
Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch
mäßiger, aber ſiedender Kaffee „zur Abkühlung“ in
ganzen Strömen, und mindeſtens ſieben blanke
Zinnkeſſel ſind in ſteter Bewegung. — Zwiſchen
dem Tanzen verſchwindet die Braut von Zeit zu
Zeit und kehrt allemal in einem andern Anzuge
zurück, ſo viel ihr derer zu Gebote ſtehen, vom
Trauſtaate an bis zum gewöhnlichen Sonntags-
putze, in dem ſie ſich noch ſtattlich genug ausnimmt,
in der damaſtenen Kappe mit breiter Goldtreſſe, dem
ſchweren Seidenhalstuche und einem ſo impoſanten
Körperumfange, als ihn mindeſtens vier Tuchröcke
übereinander hervorbringen können. Sobald die
Hängeuhr in der Küche Mitternacht geſchlagen hat,
ſieht man die Frauen ſich von ihren Bänken er-
heben und mit einander flüſtern; gleichzeitig drängt
ſich das junge Volk zuſammen, nimmt die Braut
in ſeine Mitte und beginnt einen äußerſt künſtlichen
Schneckentanz, deſſen Zweck iſt, im raſchen Durch-
einanderwimmeln immer eine vierfache Mauer um
die Braut zu erhalten, denn jetzt gilt’s den Kampf
zwiſchen Ehe und Jungfrauſchaft. — So wie die
Frauen anrücken, wird der Tanz lebhafter, die Ver-
ſchlingungen bunter, die Frauen ſuchen von allen
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[283/0299] ein Burſche ein Juchhei los, was aber ſo einſam klingt, wie ein Eulenſchrei in einer Sturmnacht. — Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch mäßiger, aber ſiedender Kaffee „zur Abkühlung“ in ganzen Strömen, und mindeſtens ſieben blanke Zinnkeſſel ſind in ſteter Bewegung. — Zwiſchen dem Tanzen verſchwindet die Braut von Zeit zu Zeit und kehrt allemal in einem andern Anzuge zurück, ſo viel ihr derer zu Gebote ſtehen, vom Trauſtaate an bis zum gewöhnlichen Sonntags- putze, in dem ſie ſich noch ſtattlich genug ausnimmt, in der damaſtenen Kappe mit breiter Goldtreſſe, dem ſchweren Seidenhalstuche und einem ſo impoſanten Körperumfange, als ihn mindeſtens vier Tuchröcke übereinander hervorbringen können. Sobald die Hängeuhr in der Küche Mitternacht geſchlagen hat, ſieht man die Frauen ſich von ihren Bänken er- heben und mit einander flüſtern; gleichzeitig drängt ſich das junge Volk zuſammen, nimmt die Braut in ſeine Mitte und beginnt einen äußerſt künſtlichen Schneckentanz, deſſen Zweck iſt, im raſchen Durch- einanderwimmeln immer eine vierfache Mauer um die Braut zu erhalten, denn jetzt gilt’s den Kampf zwiſchen Ehe und Jungfrauſchaft. — So wie die Frauen anrücken, wird der Tanz lebhafter, die Ver- ſchlingungen bunter, die Frauen ſuchen von allen Seiten in den Kreis zu dringen, die Junggeſellen

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/299>, abgerufen am 15.06.2024.