friedlichen Ehestandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß sie am Hochzeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gästen, bevor sie sich zerstreuen, eine seltsame Aufgabe: der Bräutigam ist nämlich während der Menuett unsichtbar ge- worden, -- er hat sich versteckt, offenbar aus Furcht vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird umgekehrt, ihn zu suchen; man schaut in und unter die Betten, raschelt im Stroh und Heu umher, durchstöbert sogar den Garten, bis endlich Jemand in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quast seiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchen- schürze entdeckt, wo er dann sofort gefaßt und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anstand als seine schöne Hälfte der Brautkammer zugeschleppt wird. Bei Begräbnissen fällt wenig Ungewöhnliches vor, außer daß der Tod eines Hausvaters seinen Bienen angesagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfrist alle Stöcke abzehren und verziehen sollen, weshalb, so- bald der Verscheidende den letzten Athemzug gethan, so- fort der Gefaßteste unter den Anwesenden an den Stand geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich spricht: "Einen Gruß von der Frau, der Herr ist todt," worauf die Bienen sich christlich in ihr Leid finden und ihren Geschäften nach wie vor obliegen. Die Leichenwacht, die in Stille und Gebet abgehalten wird, ist eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, so
friedlichen Eheſtandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß ſie am Hochzeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gäſten, bevor ſie ſich zerſtreuen, eine ſeltſame Aufgabe: der Bräutigam iſt nämlich während der Menuett unſichtbar ge- worden, — er hat ſich verſteckt, offenbar aus Furcht vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird umgekehrt, ihn zu ſuchen; man ſchaut in und unter die Betten, raſchelt im Stroh und Heu umher, durchſtöbert ſogar den Garten, bis endlich Jemand in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quaſt ſeiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchen- ſchürze entdeckt, wo er dann ſofort gefaßt und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anſtand als ſeine ſchöne Hälfte der Brautkammer zugeſchleppt wird. Bei Begräbniſſen fällt wenig Ungewöhnliches vor, außer daß der Tod eines Hausvaters ſeinen Bienen angeſagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfriſt alle Stöcke abzehren und verziehen ſollen, weshalb, ſo- bald der Verſcheidende den letzten Athemzug gethan, ſo- fort der Gefaßteſte unter den Anweſenden an den Stand geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich ſpricht: „Einen Gruß von der Frau, der Herr iſt todt,“ worauf die Bienen ſich chriſtlich in ihr Leid finden und ihren Geſchäften nach wie vor obliegen. Die Leichenwacht, die in Stille und Gebet abgehalten wird, iſt eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0301"n="285"/>
friedlichen Eheſtandes, in dem die Frau aber nie<lb/>
vergißt, daß ſie am Hochzeitstage ihres Mannes<lb/>
Hut getragen. Noch bleibt den Gäſten, bevor ſie<lb/>ſich zerſtreuen, eine ſeltſame Aufgabe: der Bräutigam<lb/>
iſt nämlich während der Menuett unſichtbar ge-<lb/>
worden, — er hat ſich verſteckt, offenbar aus Furcht<lb/>
vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird<lb/>
umgekehrt, ihn zu ſuchen; man ſchaut in und unter<lb/>
die Betten, raſchelt im Stroh und Heu umher,<lb/>
durchſtöbert ſogar den Garten, bis endlich Jemand<lb/>
in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quaſt<lb/>ſeiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchen-<lb/>ſchürze entdeckt, wo er dann ſofort gefaßt und mit<lb/>
gleicher Gewalt und viel weniger Anſtand als ſeine<lb/>ſchöne Hälfte der Brautkammer zugeſchleppt wird.<lb/>
Bei Begräbniſſen fällt wenig Ungewöhnliches vor,<lb/>
außer daß der Tod eines Hausvaters ſeinen Bienen<lb/>
angeſagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfriſt<lb/>
alle Stöcke abzehren und verziehen ſollen, weshalb, ſo-<lb/>
bald der Verſcheidende den letzten Athemzug gethan, ſo-<lb/>
fort der Gefaßteſte unter den Anweſenden an den Stand<lb/>
geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich ſpricht:<lb/>„Einen Gruß von der Frau, der Herr iſt todt,“<lb/>
worauf die Bienen ſich chriſtlich in ihr Leid finden<lb/>
und ihren Geſchäften nach wie vor obliegen. Die<lb/>
Leichenwacht, die in Stille und Gebet abgehalten<lb/>
wird, iſt eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, ſo<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[285/0301]
friedlichen Eheſtandes, in dem die Frau aber nie
vergißt, daß ſie am Hochzeitstage ihres Mannes
Hut getragen. Noch bleibt den Gäſten, bevor ſie
ſich zerſtreuen, eine ſeltſame Aufgabe: der Bräutigam
iſt nämlich während der Menuett unſichtbar ge-
worden, — er hat ſich verſteckt, offenbar aus Furcht
vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird
umgekehrt, ihn zu ſuchen; man ſchaut in und unter
die Betten, raſchelt im Stroh und Heu umher,
durchſtöbert ſogar den Garten, bis endlich Jemand
in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quaſt
ſeiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchen-
ſchürze entdeckt, wo er dann ſofort gefaßt und mit
gleicher Gewalt und viel weniger Anſtand als ſeine
ſchöne Hälfte der Brautkammer zugeſchleppt wird.
Bei Begräbniſſen fällt wenig Ungewöhnliches vor,
außer daß der Tod eines Hausvaters ſeinen Bienen
angeſagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfriſt
alle Stöcke abzehren und verziehen ſollen, weshalb, ſo-
bald der Verſcheidende den letzten Athemzug gethan, ſo-
fort der Gefaßteſte unter den Anweſenden an den Stand
geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich ſpricht:
„Einen Gruß von der Frau, der Herr iſt todt,“
worauf die Bienen ſich chriſtlich in ihr Leid finden
und ihren Geſchäften nach wie vor obliegen. Die
Leichenwacht, die in Stille und Gebet abgehalten
wird, iſt eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/301>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.