ist höchst anziehend, sie manchem späteren ent- sprechenden Begebnisse zu vergleichen. Der minder Begabte und nicht bis zum Schauer Gesteigerte "hört" -- er hört den dumpfen Hammerschlag auf dem Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das Trappeln der Rosse, und den gleichförmigen Tritt der marschirenden Colonnen. -- Er hört das Ge- schrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenster- laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder seinen Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. -- Der Nichtbegabte steht neben dem Vorschauer und ahnet Nichts, während die Pferde im Stalle ängstlich schnauben und schlagen, und der Hund jämmerlich heulend, mit eingeklemmtem Schweife seinem Herrn zwischen die Beine kriecht. -- Die Gabe soll sich jedoch übertragen, wenn ein Nebenstehender dem Vorgucker über die linke Schulter sieht, wo er zwar für dieses Mal nichts bemerkt, fortan aber für den Anderen die nächtliche Schau halten muß. -- Wir sagen dies fast ungern, da dieser Zusatz einem un- läugbaren und höchst merkwürdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrückt. -- Wir haben den Münsterländer früher furchtsam genannt, dennoch erträgt er den eben berührten Verkehr mit der über- sinnlichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall seine Furchtsamkeit sich nicht auf passive Zustände er-
iſt höchſt anziehend, ſie manchem ſpäteren ent- ſprechenden Begebniſſe zu vergleichen. Der minder Begabte und nicht bis zum Schauer Geſteigerte „hört“ — er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das Trappeln der Roſſe, und den gleichförmigen Tritt der marſchirenden Colonnen. — Er hört das Ge- ſchrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenſter- laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. — Der Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnet Nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich ſchnauben und ſchlagen, und der Hund jämmerlich heulend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn zwiſchen die Beine kriecht. — Die Gabe ſoll ſich jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den Anderen die nächtliche Schau halten muß. — Wir ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem un- läugbaren und höchſt merkwürdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrückt. — Wir haben den Münſterländer früher furchtſam genannt, dennoch erträgt er den eben berührten Verkehr mit der über- ſinnlichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall ſeine Furchtſamkeit ſich nicht auf paſſive Zuſtände er-
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iſt höchſt anziehend, ſie manchem ſpäteren ent-
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Begabte und nicht bis zum Schauer Geſteigerte „hört“
— er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem
Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört
den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das
Trappeln der Roſſe, und den gleichförmigen Tritt
der marſchirenden Colonnen. — Er hört das Ge-
ſchrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenſter-
laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen
Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. — Der
Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnet
Nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich
ſchnauben und ſchlagen, und der Hund jämmerlich
heulend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn
zwiſchen die Beine kriecht. — Die Gabe ſoll ſich
jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem
Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar
für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den
Anderen die nächtliche Schau halten muß. — Wir
ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem un-
läugbaren und höchſt merkwürdigen Phänomen den
Stempel des Lächerlichen aufdrückt. — Wir haben
den Münſterländer früher furchtſam genannt, dennoch
erträgt er den eben berührten Verkehr mit der über-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/306>, abgerufen am 23.11.2024.
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