Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Dann wie die Sonne ward sein Auge hell, Und zu dem Thron trat der Vezir gebückt, Sprich, Fürst der Gläub'gen, was soll dann geschehen, Wenn er zum zweiten Mal den Dolch gezückt? -- Mutassin spricht: das, was geschrieben ist Von Ewigkeit, ist Allah nur bekannt; Doch nicht im Buch des Lebens kann es stehen: "Daß der Verbrecher keine Gnade fand, Den der Kaliph getränkt mit eigner Hand!" Ich schloß das Buch und dachte nach, An Türken, Christen, Mancherlei, Mir war ein wenig ernst und scheu, Als ich entschlüpfte dem Gemach. Wie schien der Blumen wilde Zier, Wie traulich mir das Himmelszelt -- Und auf den Mittag hab' ich mir Die Pferde an der Post bestellt! -- Dann wie die Sonne ward ſein Auge hell, Und zu dem Thron trat der Vezir gebückt, Sprich, Fürſt der Gläub’gen, was ſoll dann geſchehen, Wenn er zum zweiten Mal den Dolch gezückt? — Mutaſſin ſpricht: das, was geſchrieben iſt Von Ewigkeit, iſt Allah nur bekannt; Doch nicht im Buch des Lebens kann es ſtehen: „Daß der Verbrecher keine Gnade fand, Den der Kaliph getränkt mit eigner Hand!“ Ich ſchloß das Buch und dachte nach, An Türken, Chriſten, Mancherlei, Mir war ein wenig ernſt und ſcheu, Als ich entſchlüpfte dem Gemach. Wie ſchien der Blumen wilde Zier, Wie traulich mir das Himmelszelt — Und auf den Mittag hab’ ich mir Die Pferde an der Poſt beſtellt! — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <pb facs="#f0087" n="71"/> <l>Dann wie die Sonne ward ſein Auge hell,</l><lb/> <l>Und hochgetragnen Hauptes rief er ſchnell:</l><lb/> <l>„Löſ’t ihm die Feſſeln, er ſei ungekränkt</l><lb/> <l>Und frei, ich habe ihm die Schuld geſchenkt.“</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Und zu dem Thron trat der Vezir gebückt,</l><lb/> <l>Sprich, Fürſt der Gläub’gen, was ſoll dann geſchehen,</l><lb/> <l>Wenn er zum zweiten Mal den Dolch gezückt? —</l><lb/> <l>Mutaſſin ſpricht: das, was geſchrieben iſt</l><lb/> <l>Von Ewigkeit, iſt Allah nur bekannt;</l><lb/> <l>Doch nicht im Buch des Lebens kann es ſtehen:</l><lb/> <l>„Daß der Verbrecher keine Gnade fand,</l><lb/> <l>Den der Kaliph getränkt mit eigner Hand!“</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ich ſchloß das Buch und dachte nach,</l><lb/> <l>An Türken, Chriſten, Mancherlei,</l><lb/> <l>Mir war ein wenig ernſt und ſcheu,</l><lb/> <l>Als ich entſchlüpfte dem Gemach.</l><lb/> <l>Wie ſchien der Blumen wilde Zier,</l><lb/> <l>Wie traulich mir das Himmelszelt —</l><lb/> <l>Und auf den Mittag hab’ ich mir</l><lb/> <l>Die Pferde an der Poſt beſtellt! —</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [71/0087]
Dann wie die Sonne ward ſein Auge hell,
Und hochgetragnen Hauptes rief er ſchnell:
„Löſ’t ihm die Feſſeln, er ſei ungekränkt
Und frei, ich habe ihm die Schuld geſchenkt.“
Und zu dem Thron trat der Vezir gebückt,
Sprich, Fürſt der Gläub’gen, was ſoll dann geſchehen,
Wenn er zum zweiten Mal den Dolch gezückt? —
Mutaſſin ſpricht: das, was geſchrieben iſt
Von Ewigkeit, iſt Allah nur bekannt;
Doch nicht im Buch des Lebens kann es ſtehen:
„Daß der Verbrecher keine Gnade fand,
Den der Kaliph getränkt mit eigner Hand!“
Ich ſchloß das Buch und dachte nach,
An Türken, Chriſten, Mancherlei,
Mir war ein wenig ernſt und ſcheu,
Als ich entſchlüpfte dem Gemach.
Wie ſchien der Blumen wilde Zier,
Wie traulich mir das Himmelszelt —
Und auf den Mittag hab’ ich mir
Die Pferde an der Poſt beſtellt! —
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