Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite
In tiefer Nacht wem soll noch frommen
Am Simse dort der Lampe Strahl?
Da schon des Heerdes Scheit verglommen,
Welch späten Gastes harrt das Mahl?
Längst hat im Thurme zu Escout
Die Glocke zwölfmal angeschlagen
Und glitzernd sinkt der Himmelswagen
Dem Pole zu.
Durch jener Kammer dürre Barren
Zieh'n Odemzüge, traumbeschwert,
Ein Ruck mitunter, auch ein Knarren,
Wenn sich im Bett der Schläfer kehrt;
Und nur ein leiser Husten wacht,
Kein Traum die Mutter hält befangen,
Sie kann nicht schlafen in der langen
Sylvesternacht.
Jetzt ist die Zeit, wo los' und schleichend
Die Fey sich durch die Ritze schlingt,
Mit langer Schlepp' den Estrich streichend,
Das Schicksal in die Häuser bringt,
An ihrer Hand das Glück, Gewind'
Und Ros' im Lockenhaar, ein schlankes,
Das Mißgeschick ein fieberkrankes,
Ein weinend Kind.
In tiefer Nacht wem ſoll noch frommen
Am Simſe dort der Lampe Strahl?
Da ſchon des Heerdes Scheit verglommen,
Welch ſpäten Gaſtes harrt das Mahl?
Längſt hat im Thurme zu Escout
Die Glocke zwölfmal angeſchlagen
Und glitzernd ſinkt der Himmelswagen
Dem Pole zu.
Durch jener Kammer dürre Barren
Zieh’n Odemzüge, traumbeſchwert,
Ein Ruck mitunter, auch ein Knarren,
Wenn ſich im Bett der Schläfer kehrt;
Und nur ein leiſer Huſten wacht,
Kein Traum die Mutter hält befangen,
Sie kann nicht ſchlafen in der langen
Sylveſternacht.
Jetzt iſt die Zeit, wo loſ’ und ſchleichend
Die Fey ſich durch die Ritze ſchlingt,
Mit langer Schlepp’ den Eſtrich ſtreichend,
Das Schickſal in die Häuſer bringt,
An ihrer Hand das Glück, Gewind’
Und Roſ’ im Lockenhaar, ein ſchlankes,
Das Mißgeſchick ein fieberkrankes,
Ein weinend Kind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0098" n="82"/>
              <lg n="2">
                <l>In tiefer Nacht wem &#x017F;oll noch frommen</l><lb/>
                <l>Am Sim&#x017F;e dort der Lampe Strahl?</l><lb/>
                <l>Da &#x017F;chon des Heerdes Scheit verglommen,</l><lb/>
                <l>Welch &#x017F;päten Ga&#x017F;tes harrt das Mahl?</l><lb/>
                <l>Läng&#x017F;t hat im Thurme zu Escout</l><lb/>
                <l>Die Glocke zwölfmal ange&#x017F;chlagen</l><lb/>
                <l>Und glitzernd &#x017F;inkt der Himmelswagen</l><lb/>
                <l>Dem Pole zu.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Durch jener Kammer dürre Barren</l><lb/>
                <l>Zieh&#x2019;n Odemzüge, traumbe&#x017F;chwert,</l><lb/>
                <l>Ein Ruck mitunter, auch ein Knarren,</l><lb/>
                <l>Wenn &#x017F;ich im Bett der Schläfer kehrt;</l><lb/>
                <l>Und nur ein lei&#x017F;er Hu&#x017F;ten wacht,</l><lb/>
                <l>Kein Traum die Mutter hält befangen,</l><lb/>
                <l>Sie kann nicht &#x017F;chlafen in der langen</l><lb/>
                <l>Sylve&#x017F;ternacht.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Jetzt i&#x017F;t die Zeit, wo lo&#x017F;&#x2019; und &#x017F;chleichend</l><lb/>
                <l>Die Fey &#x017F;ich durch die Ritze &#x017F;chlingt,</l><lb/>
                <l>Mit langer Schlepp&#x2019; den E&#x017F;trich &#x017F;treichend,</l><lb/>
                <l>Das Schick&#x017F;al in die Häu&#x017F;er bringt,</l><lb/>
                <l>An ihrer Hand das Glück, Gewind&#x2019;</l><lb/>
                <l>Und Ro&#x017F;&#x2019; im Lockenhaar, ein &#x017F;chlankes,</l><lb/>
                <l>Das Mißge&#x017F;chick ein fieberkrankes,</l><lb/>
                <l>Ein weinend Kind.</l>
              </lg><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0098] In tiefer Nacht wem ſoll noch frommen Am Simſe dort der Lampe Strahl? Da ſchon des Heerdes Scheit verglommen, Welch ſpäten Gaſtes harrt das Mahl? Längſt hat im Thurme zu Escout Die Glocke zwölfmal angeſchlagen Und glitzernd ſinkt der Himmelswagen Dem Pole zu. Durch jener Kammer dürre Barren Zieh’n Odemzüge, traumbeſchwert, Ein Ruck mitunter, auch ein Knarren, Wenn ſich im Bett der Schläfer kehrt; Und nur ein leiſer Huſten wacht, Kein Traum die Mutter hält befangen, Sie kann nicht ſchlafen in der langen Sylveſternacht. Jetzt iſt die Zeit, wo loſ’ und ſchleichend Die Fey ſich durch die Ritze ſchlingt, Mit langer Schlepp’ den Eſtrich ſtreichend, Das Schickſal in die Häuſer bringt, An ihrer Hand das Glück, Gewind’ Und Roſ’ im Lockenhaar, ein ſchlankes, Das Mißgeſchick ein fieberkrankes, Ein weinend Kind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/98
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/98>, abgerufen am 17.05.2024.