Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

premiere moitie de ma vie publique a developper le coeur
par l'esprit, je voyais sa seconde vouee surtout a eclairer
l'esprit par le coeur, sans les inspirations duquel les grandes
notions sociales ne peuvent acquerir leur vrai caractere
*)!"
-- Jst der Geist demnach nicht zum Herrschen, sondern zum
Dienen bestimmt, weil er als Herrschender das Jndividuum
und nicht die Allgemeinheit unterstützt, so ist er eben doch
nur "der Diener und nicht der Sklave" des Herzens.

Bei dieser Stellung des "Herzens" müssen Wissenschaft
und Speculation der Moral nothwendig untergeordnet wer-
den. Der leitende Gesichtspunkt aller Forschungen soll in
Zukunft das allgemeine Wohl sein. Ein Studium, welches
dieses nicht in irgend einer Weise fördert, ist nutzlose Grü-
belei und kann nur auf Abwege führen. Das Herz soll die
Aufgaben stellen und der Verstand sie lösen, nicht aber soll
er selbst Aufgaben stellen. Das allgemeine Wohl -- dies
ist der Gesichtswinkel, von welchem aus alles menschliche
Thun berücksichtigt werden soll. Comte geht aber noch
weiter: er bemißt die Existenzberechtigung der Thiere und
Pflanzen nur nach ihrem Nutzen für den Menschen und ge-
langt zu dem Schlusse, daß alle Thiere und Pflanzen, welche
diesen Zweck nicht erfüllen, ansgetilgt werden sollen.

Eine größere Bedeutung als die Wissenschaft erhält
im Positivismus die Kunst, da sie sich an das Gefühl
wendet. Trotzdem wird ihr keine leitende Stellung einge-
räumt, alle praktische Wirksamkeit auf die politischen
Kreise beschränkt. Haben die Philosophen keine politische
Macht, so noch weniger die Künstler**). Comte's Forderung,

*) I. p. 16: "L'esprit n'est pas destine a regner mais a servir;
quand il croit dominer, il rentre au service de la personnalite, au lieu
de seconder la sociabilite, sans qu'il puisse nullement a dispenser
d'assister une passion quelconque."
**) L'etat normal de la nature humaine subordonne l'imagination
a la raison que celle-ci au sentiment. Toute inversion prolongee de

prémière moitié de ma vie publique à developper le coeur
par l’esprit, je voyais sa seconde vouée surtout à éclairer
l’esprit par le coeur, sans les inspirations duquel les grandes
notions sociales ne peuvent acquérir leur vrai caractère
*)!“
— Jſt der Geiſt demnach nicht zum Herrſchen, ſondern zum
Dienen beſtimmt, weil er als Herrſchender das Jndividuum
und nicht die Allgemeinheit unterſtützt, ſo iſt er eben doch
nur „der Diener und nicht der Sklave“ des Herzens.

Bei dieſer Stellung des „Herzens“ müſſen Wiſſenſchaft
und Speculation der Moral nothwendig untergeordnet wer-
den. Der leitende Geſichtspunkt aller Forſchungen ſoll in
Zukunft das allgemeine Wohl ſein. Ein Studium, welches
dieſes nicht in irgend einer Weiſe fördert, iſt nutzloſe Grü-
belei und kann nur auf Abwege führen. Das Herz ſoll die
Aufgaben ſtellen und der Verſtand ſie löſen, nicht aber ſoll
er ſelbſt Aufgaben ſtellen. Das allgemeine Wohl — dies
iſt der Geſichtswinkel, von welchem aus alles menſchliche
Thun berückſichtigt werden ſoll. Comte geht aber noch
weiter: er bemißt die Exiſtenzberechtigung der Thiere und
Pflanzen nur nach ihrem Nutzen für den Menſchen und ge-
langt zu dem Schluſſe, daß alle Thiere und Pflanzen, welche
dieſen Zweck nicht erfüllen, ansgetilgt werden ſollen.

Eine größere Bedeutung als die Wiſſenſchaft erhält
im Poſitivismus die Kunſt, da ſie ſich an das Gefühl
wendet. Trotzdem wird ihr keine leitende Stellung einge-
räumt, alle praktiſche Wirkſamkeit auf die politiſchen
Kreiſe beſchränkt. Haben die Philoſophen keine politiſche
Macht, ſo noch weniger die Künſtler**). Comte’s Forderung,

*) I. p. 16: „L’esprit n’est pas destiné à régner mais à servir;
quand il croit dominer, il rentre au service de la personnalité, au lieu
de seconder la sociabilité, sans qu’il puisse nullement à dispenser
d’assister une passion quelconque.“
**) L’état normal de la nature humaine subordonne l’imagination
à la raison que celle-ci au sentiment. Toute inversion prolongée de
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0024" n="15"/>
prémière moitié de ma vie publique à developper le coeur<lb/>
par l&#x2019;esprit, je voyais sa seconde vouée surtout à éclairer<lb/>
l&#x2019;esprit par le coeur, sans les inspirations duquel les grandes<lb/>
notions sociales ne peuvent acquérir leur vrai caractère</hi><note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">I. p. 16: &#x201E;L&#x2019;esprit n&#x2019;est pas destiné à régner mais à servir;<lb/>
quand il croit dominer, il rentre au service de la personnalité, au lieu<lb/>
de seconder la sociabilité, sans qu&#x2019;il puisse nullement à dispenser<lb/>
d&#x2019;assister une passion quelconque.&#x201C;</hi></note>!&#x201C;<lb/>
&#x2014; J&#x017F;t der Gei&#x017F;t demnach nicht zum Herr&#x017F;chen, &#x017F;ondern zum<lb/>
Dienen be&#x017F;timmt, weil er als Herr&#x017F;chender das Jndividuum<lb/>
und nicht die Allgemeinheit unter&#x017F;tützt, &#x017F;o i&#x017F;t er eben doch<lb/>
nur &#x201E;der Diener und nicht der Sklave&#x201C; des Herzens.</p><lb/>
        <p>Bei die&#x017F;er Stellung des &#x201E;Herzens&#x201C;&#x017F;&#x017F;en Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
und Speculation der Moral nothwendig untergeordnet wer-<lb/>
den. Der leitende Ge&#x017F;ichtspunkt aller For&#x017F;chungen &#x017F;oll in<lb/>
Zukunft das allgemeine Wohl &#x017F;ein. Ein Studium, welches<lb/>
die&#x017F;es nicht in irgend einer Wei&#x017F;e fördert, i&#x017F;t nutzlo&#x017F;e Grü-<lb/>
belei und kann nur auf Abwege führen. Das Herz &#x017F;oll die<lb/>
Aufgaben &#x017F;tellen und der Ver&#x017F;tand &#x017F;ie lö&#x017F;en, nicht aber &#x017F;oll<lb/>
er &#x017F;elb&#x017F;t Aufgaben &#x017F;tellen. Das allgemeine Wohl &#x2014; dies<lb/>
i&#x017F;t der Ge&#x017F;ichtswinkel, von welchem aus alles men&#x017F;chliche<lb/>
Thun berück&#x017F;ichtigt werden &#x017F;oll. Comte geht aber noch<lb/>
weiter: er bemißt die Exi&#x017F;tenzberechtigung der Thiere und<lb/>
Pflanzen nur nach ihrem Nutzen für den Men&#x017F;chen und ge-<lb/>
langt zu dem Schlu&#x017F;&#x017F;e, daß alle Thiere und Pflanzen, welche<lb/>
die&#x017F;en Zweck nicht erfüllen, ansgetilgt werden &#x017F;ollen.</p><lb/>
        <p>Eine größere Bedeutung als die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft erhält<lb/>
im Po&#x017F;itivismus die Kun&#x017F;t, da &#x017F;ie &#x017F;ich an das Gefühl<lb/>
wendet. Trotzdem wird ihr keine leitende Stellung einge-<lb/>
räumt, alle prakti&#x017F;che Wirk&#x017F;amkeit auf die politi&#x017F;chen<lb/>
Krei&#x017F;e be&#x017F;chränkt. Haben die Philo&#x017F;ophen keine politi&#x017F;che<lb/>
Macht, &#x017F;o noch weniger die Kün&#x017F;tler<note xml:id="a03" next="#a04" place="foot" n="**)"><hi rendition="#aq">L&#x2019;état normal de la nature humaine subordonne l&#x2019;imagination<lb/>
à la raison que celle-ci au sentiment. Toute inversion prolongée de</hi></note>. Comte&#x2019;s Forderung,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0024] prémière moitié de ma vie publique à developper le coeur par l’esprit, je voyais sa seconde vouée surtout à éclairer l’esprit par le coeur, sans les inspirations duquel les grandes notions sociales ne peuvent acquérir leur vrai caractère *)!“ — Jſt der Geiſt demnach nicht zum Herrſchen, ſondern zum Dienen beſtimmt, weil er als Herrſchender das Jndividuum und nicht die Allgemeinheit unterſtützt, ſo iſt er eben doch nur „der Diener und nicht der Sklave“ des Herzens. Bei dieſer Stellung des „Herzens“ müſſen Wiſſenſchaft und Speculation der Moral nothwendig untergeordnet wer- den. Der leitende Geſichtspunkt aller Forſchungen ſoll in Zukunft das allgemeine Wohl ſein. Ein Studium, welches dieſes nicht in irgend einer Weiſe fördert, iſt nutzloſe Grü- belei und kann nur auf Abwege führen. Das Herz ſoll die Aufgaben ſtellen und der Verſtand ſie löſen, nicht aber ſoll er ſelbſt Aufgaben ſtellen. Das allgemeine Wohl — dies iſt der Geſichtswinkel, von welchem aus alles menſchliche Thun berückſichtigt werden ſoll. Comte geht aber noch weiter: er bemißt die Exiſtenzberechtigung der Thiere und Pflanzen nur nach ihrem Nutzen für den Menſchen und ge- langt zu dem Schluſſe, daß alle Thiere und Pflanzen, welche dieſen Zweck nicht erfüllen, ansgetilgt werden ſollen. Eine größere Bedeutung als die Wiſſenſchaft erhält im Poſitivismus die Kunſt, da ſie ſich an das Gefühl wendet. Trotzdem wird ihr keine leitende Stellung einge- räumt, alle praktiſche Wirkſamkeit auf die politiſchen Kreiſe beſchränkt. Haben die Philoſophen keine politiſche Macht, ſo noch weniger die Künſtler **). Comte’s Forderung, *) I. p. 16: „L’esprit n’est pas destiné à régner mais à servir; quand il croit dominer, il rentre au service de la personnalité, au lieu de seconder la sociabilité, sans qu’il puisse nullement à dispenser d’assister une passion quelconque.“ **) L’état normal de la nature humaine subordonne l’imagination à la raison que celle-ci au sentiment. Toute inversion prolongée de

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/24
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/24>, abgerufen am 21.11.2024.