Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Philologie geworden und hiemit seiner Ausrangirung aus den
wirklichen Bildungsmitteln näher gerückt. Dieses Stück Phil-
ologie kann ebensowenig, wie die sonstigen altsprachlichen und
alterthumskundlichen Gelehrsamkeitsreste, dem modernen Men-
schen als Bildungsmittel zugemuthet werden. Die sogenannte
classische Bildung auf den Gymnasien sollte eher altsprachliche
Verbildung heissen, und die mächtigen industriellen Classen, in
denen doch Blut des neuern Lebens pulsirt, werden schliesslich
schon dahin gelangen, die altsprachlichen Zollschranken nieder-
zureissen. Diese modernen Gesellschaftselemente werden sich
nicht immer gefallen lassen, dass ihre sonst einflussreichsten Mit-
glieder von der Staatsverwaltung, vom Richter- und Advocaten-
stande und überhaupt von allen gelehrten gesellschaftlichen Func-
tionen ausgeschlossen bleiben, weil ihr sachlicher Bildungsgang
ihnen die Einlassung mit dem Todtenputz philologisch lebloser
Verbildung nicht gestattet hat. Eines ist aber eben nur möglich,
und bei der Wahl zwischen Sachwissenschaft und Wörtergelehr-
samkeit kann die Entscheidung für den modernen Menschen nicht
zweifelhaft sein. Die vermeintlich bildende Kraft, die das gram-
matische Wiederkäuen lateinischer und griechischer Schriftsteller
auf den Gymnasien zur Formung des Geistes haben soll, ist nie
die Ursache der Einführung solcher todten Künste gewesen,
sondern hinterher als Scheingrund erfunden, um nicht zu sagen
erlogen worden. Seit den Zeiten Petrarcas und überhaupt mit
der literarischen Renaissance hatte man sich aus Bedürfniss, in
einer Art Anwandlung von Classicitätsromantik und zum Theil
auch, um ein Gegenstück zur religiösen Barbarei zu pflegen, den
alten Schriftstellern zugewendet, und der sogenannte Humanismus
von antik literarischer Haltung hatte eine gewisse Berechtigung.
Indessen würde man doch nicht die gelehrten Anstalten gymna-
sialer Art sowie den ganzen Gelehrtenverkehr auf das Latein
gegründet haben, wenn wirklich die geistige Beschaffenheit der
schriftstellerischen Ueberlieferungen und nicht vielmehr die alten,
von der Kirche herstammenden Gewohnheiten maassgebend ge-
worden wären. Die griechische Literatur hatte allein einigen
Gehalt; aber grade die Kenntniss und Einschulung der griechi-
schen Sprache blieb stets und bis auf den heutigen Tag eine,
dürftige. Es ist also eitel Blendwerk, wenn man sich heute hinter
angeblich formalistische Vortheile zu flüchten und sozusagen auf
die Turnkünste an den alten Sprachen zu steifen sucht. Selbst

Philologie geworden und hiemit seiner Ausrangirung aus den
wirklichen Bildungsmitteln näher gerückt. Dieses Stück Phil-
ologie kann ebensowenig, wie die sonstigen altsprachlichen und
alterthumskundlichen Gelehrsamkeitsreste, dem modernen Men-
schen als Bildungsmittel zugemuthet werden. Die sogenannte
classische Bildung auf den Gymnasien sollte eher altsprachliche
Verbildung heissen, und die mächtigen industriellen Classen, in
denen doch Blut des neuern Lebens pulsirt, werden schliesslich
schon dahin gelangen, die altsprachlichen Zollschranken nieder-
zureissen. Diese modernen Gesellschaftselemente werden sich
nicht immer gefallen lassen, dass ihre sonst einflussreichsten Mit-
glieder von der Staatsverwaltung, vom Richter- und Advocaten-
stande und überhaupt von allen gelehrten gesellschaftlichen Func-
tionen ausgeschlossen bleiben, weil ihr sachlicher Bildungsgang
ihnen die Einlassung mit dem Todtenputz philologisch lebloser
Verbildung nicht gestattet hat. Eines ist aber eben nur möglich,
und bei der Wahl zwischen Sachwissenschaft und Wörtergelehr-
samkeit kann die Entscheidung für den modernen Menschen nicht
zweifelhaft sein. Die vermeintlich bildende Kraft, die das gram-
matische Wiederkäuen lateinischer und griechischer Schriftsteller
auf den Gymnasien zur Formung des Geistes haben soll, ist nie
die Ursache der Einführung solcher todten Künste gewesen,
sondern hinterher als Scheingrund erfunden, um nicht zu sagen
erlogen worden. Seit den Zeiten Petrarcas und überhaupt mit
der literarischen Renaissance hatte man sich aus Bedürfniss, in
einer Art Anwandlung von Classicitätsromantik und zum Theil
auch, um ein Gegenstück zur religiösen Barbarei zu pflegen, den
alten Schriftstellern zugewendet, und der sogenannte Humanismus
von antik literarischer Haltung hatte eine gewisse Berechtigung.
Indessen würde man doch nicht die gelehrten Anstalten gymna-
sialer Art sowie den ganzen Gelehrtenverkehr auf das Latein
gegründet haben, wenn wirklich die geistige Beschaffenheit der
schriftstellerischen Ueberlieferungen und nicht vielmehr die alten,
von der Kirche herstammenden Gewohnheiten maassgebend ge-
worden wären. Die griechische Literatur hatte allein einigen
Gehalt; aber grade die Kenntniss und Einschulung der griechi-
schen Sprache blieb stets und bis auf den heutigen Tag eine,
dürftige. Es ist also eitel Blendwerk, wenn man sich heute hinter
angeblich formalistische Vortheile zu flüchten und sozusagen auf
die Turnkünste an den alten Sprachen zu steifen sucht. Selbst

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="47"/>
Philologie geworden und hiemit seiner Ausrangirung aus den<lb/>
wirklichen Bildungsmitteln näher gerückt. Dieses Stück Phil-<lb/>
ologie kann ebensowenig, wie die sonstigen altsprachlichen und<lb/>
alterthumskundlichen Gelehrsamkeitsreste, dem modernen Men-<lb/>
schen als Bildungsmittel zugemuthet werden. Die sogenannte<lb/>
classische Bildung auf den Gymnasien sollte eher altsprachliche<lb/>
Verbildung heissen, und die mächtigen industriellen Classen, in<lb/>
denen doch Blut des neuern Lebens pulsirt, werden schliesslich<lb/>
schon dahin gelangen, die altsprachlichen Zollschranken nieder-<lb/>
zureissen. Diese modernen Gesellschaftselemente werden sich<lb/>
nicht immer gefallen lassen, dass ihre sonst einflussreichsten Mit-<lb/>
glieder von der Staatsverwaltung, vom Richter- und Advocaten-<lb/>
stande und überhaupt von allen gelehrten gesellschaftlichen Func-<lb/>
tionen ausgeschlossen bleiben, weil ihr sachlicher Bildungsgang<lb/>
ihnen die Einlassung mit dem Todtenputz philologisch lebloser<lb/>
Verbildung nicht gestattet hat. Eines ist aber eben nur möglich,<lb/>
und bei der Wahl zwischen Sachwissenschaft und Wörtergelehr-<lb/>
samkeit kann die Entscheidung für den modernen Menschen nicht<lb/>
zweifelhaft sein. Die vermeintlich bildende Kraft, die das gram-<lb/>
matische Wiederkäuen lateinischer und griechischer Schriftsteller<lb/>
auf den Gymnasien zur Formung des Geistes haben soll, ist nie<lb/>
die Ursache der Einführung solcher todten Künste gewesen,<lb/>
sondern hinterher als Scheingrund erfunden, um nicht zu sagen<lb/>
erlogen worden. Seit den Zeiten Petrarcas und überhaupt mit<lb/>
der literarischen Renaissance hatte man sich aus Bedürfniss, in<lb/>
einer Art Anwandlung von Classicitätsromantik und zum Theil<lb/>
auch, um ein Gegenstück zur religiösen Barbarei zu pflegen, den<lb/>
alten Schriftstellern zugewendet, und der sogenannte Humanismus<lb/>
von antik literarischer Haltung hatte eine gewisse Berechtigung.<lb/>
Indessen würde man doch nicht die gelehrten Anstalten gymna-<lb/>
sialer Art sowie den ganzen Gelehrtenverkehr auf das Latein<lb/>
gegründet haben, wenn wirklich die geistige Beschaffenheit der<lb/>
schriftstellerischen Ueberlieferungen und nicht vielmehr die alten,<lb/>
von der Kirche herstammenden Gewohnheiten maassgebend ge-<lb/>
worden wären. Die griechische Literatur hatte allein einigen<lb/>
Gehalt; aber grade die Kenntniss und Einschulung der griechi-<lb/>
schen Sprache blieb stets und bis auf den heutigen Tag eine,<lb/>
dürftige. Es ist also eitel Blendwerk, wenn man sich heute hinter<lb/>
angeblich formalistische Vortheile zu flüchten und sozusagen auf<lb/>
die Turnkünste an den alten Sprachen zu steifen sucht. Selbst<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0056] Philologie geworden und hiemit seiner Ausrangirung aus den wirklichen Bildungsmitteln näher gerückt. Dieses Stück Phil- ologie kann ebensowenig, wie die sonstigen altsprachlichen und alterthumskundlichen Gelehrsamkeitsreste, dem modernen Men- schen als Bildungsmittel zugemuthet werden. Die sogenannte classische Bildung auf den Gymnasien sollte eher altsprachliche Verbildung heissen, und die mächtigen industriellen Classen, in denen doch Blut des neuern Lebens pulsirt, werden schliesslich schon dahin gelangen, die altsprachlichen Zollschranken nieder- zureissen. Diese modernen Gesellschaftselemente werden sich nicht immer gefallen lassen, dass ihre sonst einflussreichsten Mit- glieder von der Staatsverwaltung, vom Richter- und Advocaten- stande und überhaupt von allen gelehrten gesellschaftlichen Func- tionen ausgeschlossen bleiben, weil ihr sachlicher Bildungsgang ihnen die Einlassung mit dem Todtenputz philologisch lebloser Verbildung nicht gestattet hat. Eines ist aber eben nur möglich, und bei der Wahl zwischen Sachwissenschaft und Wörtergelehr- samkeit kann die Entscheidung für den modernen Menschen nicht zweifelhaft sein. Die vermeintlich bildende Kraft, die das gram- matische Wiederkäuen lateinischer und griechischer Schriftsteller auf den Gymnasien zur Formung des Geistes haben soll, ist nie die Ursache der Einführung solcher todten Künste gewesen, sondern hinterher als Scheingrund erfunden, um nicht zu sagen erlogen worden. Seit den Zeiten Petrarcas und überhaupt mit der literarischen Renaissance hatte man sich aus Bedürfniss, in einer Art Anwandlung von Classicitätsromantik und zum Theil auch, um ein Gegenstück zur religiösen Barbarei zu pflegen, den alten Schriftstellern zugewendet, und der sogenannte Humanismus von antik literarischer Haltung hatte eine gewisse Berechtigung. Indessen würde man doch nicht die gelehrten Anstalten gymna- sialer Art sowie den ganzen Gelehrtenverkehr auf das Latein gegründet haben, wenn wirklich die geistige Beschaffenheit der schriftstellerischen Ueberlieferungen und nicht vielmehr die alten, von der Kirche herstammenden Gewohnheiten maassgebend ge- worden wären. Die griechische Literatur hatte allein einigen Gehalt; aber grade die Kenntniss und Einschulung der griechi- schen Sprache blieb stets und bis auf den heutigen Tag eine, dürftige. Es ist also eitel Blendwerk, wenn man sich heute hinter angeblich formalistische Vortheile zu flüchten und sozusagen auf die Turnkünste an den alten Sprachen zu steifen sucht. Selbst

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-13T16:46:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-06-13T16:46:57Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Druckfehler: ignoriert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • i/j nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • I/J nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/56
Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/56>, abgerufen am 28.04.2024.