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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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wenn die schulmässige Zerklitterung zum Theil geringwerthiger
Autoren geschichtlichen oder belletristischen Genres im altsprach-
lichen Gebiet besondere Vortheile böte, wovon aber grade das
Gegentheil der Fall ist, - selbst wenn also die formelle Sprach-
bildung hier ernsthafte Förderung erführe, so würde dennoch
jeder moderne Gegenstand vorzuziehen sein, weil das Opfer, sich
etwas sachlich Nutzloses mit grosser Mühe und erheblichen Kosten
anzueignen, um eine blos formelle Uebungsfrucht davonzutragen,
denn doch Angesichts des riesenmässig angewachsenen Materials
unmittelbarer und lebendiger Sachinteressen eine zu komische
Zumuthung wäre. Solch eine Zumuthung kann eben nur von
Jemand ausgehen, der sich als philologischer Pedant in seine
Winkelwelt derartig eingehaust hat, dass er in seiner Eitelkeit
sein Wörterhäuschen für die grosse Welt der Dinge nimmt und
seine "Facultas" für lateinische und griechische Knabendrillung
mindestens als eine Art Braminenthum der Bildung ansieht,
während er sich doch in Wahrheit zu den Theologen gesellen
und mit seinem altsprachlichen Priesterthum gegen wahrhaft auf-
klärende Sachwissenschaft nur eine reactionäre Front formiren
kann. Auch ist es der Mangel an wirklichem Wissen und ernst-
hafterer Bildung, was die altsprachlichen Matadore so gewaltig
aufregt, wenn Jemand der Heiligkeit und den Wunderwirkungen
ihrer Manipulationen den Glauben versagt. Sie fühlen nämlich
schon einigermaassen, dass sie nichts sind und mit ihrer sach-
lichen Bildungslosigkeit zu einer komischen Figur werden müssen,
wenn ihr altsprachliches Priesterthum erst von einer grösseren
Menge durchschaut wird.

Man ist schon früher in Frankreich und jetzt auch bei uns
auf den der Beschränktheit naheliegenden Einfall gekommen, das
Griechische im Verhältniss zum Latein mehr als bisher hervor-
treten zu lassen. Diese Weisheit ist eine sehr ungeschichtliche
und unpraktische; denn, wie schon gesagt, nach dem Rangver-
hältniss der Literaturen ist die altsprachliche Drillung überhaupt
nicht eingeführt worden. Es waren praktische Anknüpfungs-
punkte gewesen, denen das Latein seine schulmässige Einbürgerung
zu verdanken gehabt hatte. Nun thut man aber so, als wenn
geistige Vorzüge einer relativ bessern Literatur, wie der griechi-
schen, den Ausschlag geben müssten. Man kommt hiemit nicht
nur ein halbes Jahrtausend zu spät, sondern versimpelt auch die
ganze Betrachtungsart in das Ideologisch-Romantische hinein.

wenn die schulmässige Zerklitterung zum Theil geringwerthiger
Autoren geschichtlichen oder belletristischen Genres im altsprach-
lichen Gebiet besondere Vortheile böte, wovon aber grade das
Gegentheil der Fall ist, – selbst wenn also die formelle Sprach-
bildung hier ernsthafte Förderung erführe, so würde dennoch
jeder moderne Gegenstand vorzuziehen sein, weil das Opfer, sich
etwas sachlich Nutzloses mit grosser Mühe und erheblichen Kosten
anzueignen, um eine blos formelle Uebungsfrucht davonzutragen,
denn doch Angesichts des riesenmässig angewachsenen Materials
unmittelbarer und lebendiger Sachinteressen eine zu komische
Zumuthung wäre. Solch eine Zumuthung kann eben nur von
Jemand ausgehen, der sich als philologischer Pedant in seine
Winkelwelt derartig eingehaust hat, dass er in seiner Eitelkeit
sein Wörterhäuschen für die grosse Welt der Dinge nimmt und
seine „Facultas“ für lateinische und griechische Knabendrillung
mindestens als eine Art Braminenthum der Bildung ansieht,
während er sich doch in Wahrheit zu den Theologen gesellen
und mit seinem altsprachlichen Priesterthum gegen wahrhaft auf-
klärende Sachwissenschaft nur eine reactionäre Front formiren
kann. Auch ist es der Mangel an wirklichem Wissen und ernst-
hafterer Bildung, was die altsprachlichen Matadore so gewaltig
aufregt, wenn Jemand der Heiligkeit und den Wunderwirkungen
ihrer Manipulationen den Glauben versagt. Sie fühlen nämlich
schon einigermaassen, dass sie nichts sind und mit ihrer sach-
lichen Bildungslosigkeit zu einer komischen Figur werden müssen,
wenn ihr altsprachliches Priesterthum erst von einer grösseren
Menge durchschaut wird.

Man ist schon früher in Frankreich und jetzt auch bei uns
auf den der Beschränktheit naheliegenden Einfall gekommen, das
Griechische im Verhältniss zum Latein mehr als bisher hervor-
treten zu lassen. Diese Weisheit ist eine sehr ungeschichtliche
und unpraktische; denn, wie schon gesagt, nach dem Rangver-
hältniss der Literaturen ist die altsprachliche Drillung überhaupt
nicht eingeführt worden. Es waren praktische Anknüpfungs-
punkte gewesen, denen das Latein seine schulmässige Einbürgerung
zu verdanken gehabt hatte. Nun thut man aber so, als wenn
geistige Vorzüge einer relativ bessern Literatur, wie der griechi-
schen, den Ausschlag geben müssten. Man kommt hiemit nicht
nur ein halbes Jahrtausend zu spät, sondern versimpelt auch die
ganze Betrachtungsart in das Ideologisch-Romantische hinein.

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[48/0057] wenn die schulmässige Zerklitterung zum Theil geringwerthiger Autoren geschichtlichen oder belletristischen Genres im altsprach- lichen Gebiet besondere Vortheile böte, wovon aber grade das Gegentheil der Fall ist, – selbst wenn also die formelle Sprach- bildung hier ernsthafte Förderung erführe, so würde dennoch jeder moderne Gegenstand vorzuziehen sein, weil das Opfer, sich etwas sachlich Nutzloses mit grosser Mühe und erheblichen Kosten anzueignen, um eine blos formelle Uebungsfrucht davonzutragen, denn doch Angesichts des riesenmässig angewachsenen Materials unmittelbarer und lebendiger Sachinteressen eine zu komische Zumuthung wäre. Solch eine Zumuthung kann eben nur von Jemand ausgehen, der sich als philologischer Pedant in seine Winkelwelt derartig eingehaust hat, dass er in seiner Eitelkeit sein Wörterhäuschen für die grosse Welt der Dinge nimmt und seine „Facultas“ für lateinische und griechische Knabendrillung mindestens als eine Art Braminenthum der Bildung ansieht, während er sich doch in Wahrheit zu den Theologen gesellen und mit seinem altsprachlichen Priesterthum gegen wahrhaft auf- klärende Sachwissenschaft nur eine reactionäre Front formiren kann. Auch ist es der Mangel an wirklichem Wissen und ernst- hafterer Bildung, was die altsprachlichen Matadore so gewaltig aufregt, wenn Jemand der Heiligkeit und den Wunderwirkungen ihrer Manipulationen den Glauben versagt. Sie fühlen nämlich schon einigermaassen, dass sie nichts sind und mit ihrer sach- lichen Bildungslosigkeit zu einer komischen Figur werden müssen, wenn ihr altsprachliches Priesterthum erst von einer grösseren Menge durchschaut wird. Man ist schon früher in Frankreich und jetzt auch bei uns auf den der Beschränktheit naheliegenden Einfall gekommen, das Griechische im Verhältniss zum Latein mehr als bisher hervor- treten zu lassen. Diese Weisheit ist eine sehr ungeschichtliche und unpraktische; denn, wie schon gesagt, nach dem Rangver- hältniss der Literaturen ist die altsprachliche Drillung überhaupt nicht eingeführt worden. Es waren praktische Anknüpfungs- punkte gewesen, denen das Latein seine schulmässige Einbürgerung zu verdanken gehabt hatte. Nun thut man aber so, als wenn geistige Vorzüge einer relativ bessern Literatur, wie der griechi- schen, den Ausschlag geben müssten. Man kommt hiemit nicht nur ein halbes Jahrtausend zu spät, sondern versimpelt auch die ganze Betrachtungsart in das Ideologisch-Romantische hinein.

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/57>, abgerufen am 28.04.2024.