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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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"14. Mai 1876. Miss Archer, Hochwohlgeboren hier. In-
zwischen eingelaufene Berichte aus den Kreisen meiner Zu-
hörerinnen haben mir für Ihren zweiten Brief, dessen Deutsch
ich mehrfach nicht zu deuten wusste, während das Englische des
ersten mich sicher doch wenigstens nicht im Unklaren liess,
den Schlüssel nicht geliefert, sondern meine Ueberraschung nur
vermehrt.

Von Seiten der jüdischen Literatin Hirsch sollen in den
letzten Stunden kopfschüttelnde Unwillenskundgebungen in offen-
bar erkünstelter und auf einen Zweck abzielender Weise aus-
gegangen sein und noch eine der sogenannten Aufsichtsdamen
mitaufgereizt haben. Ja man sagt sogar, dass Sie selbst in solche
Benehmungsart mithineingezogen wären. Solche Kundgebungen
konnten nicht an mich gerichtet sein; denn von mir gesehen,
würden sie auch nicht einen Augenblick gedauert haben. Es
scheint hienach ein vollständiges kleines Complott seit Ausgang
März gegen mich bestanden zu haben. Die eigentlichen Zu-
hörerinnen dagegen haben mir ihren Dank durch eine derselben
am Schluss der letzten Vorlesung aussprechen lassen.

Ich begreife nun nicht, wie Sie glauben können, durch Ihren
letzten dunklen Brief und Berufung auf ein "reines Herz" den
Bruch einer schriftlichen Zusicherung der "mit der grössten Frei-
heit in ganz Berlin" wahrzunehmenden Stelle als Docent ohne
jede Grundangabe zu rechtfertigen. Eine öffentliche
Vertheidigung gegen die Thatsache und überdies gegen die be-
sonders empörende Art, in welcher ein Schriftsteller, der ziemlich
weit in der Welt bekannt ist, allem Anschein nach auf Veran-
lassung von Kleinlichkeiten, seinen im Hintergrund stehenden
Neidern zu Gefallen, wie irgend ein beliebiger Dutzendlehrer be-
seitigt wurde, - eine solche öffentliche Genugthuung wird Sie
voraussichtlich nicht überraschen. Dühring."

Der folgende würdige Antrag, die Frucht der Scheu vor
der Oeffentlichkeit und eines argen Missverständnisses meines
Charakters, wird den Leser in Humor versetzen, zumal wenn er
bedenkt, dass mir die zugedachte Annehmlichkeit nur zur Un-
ehre, die volle Wahrheit über meine Vertreibung aber nur zur
Ehre gereichen konnte. Das Antragschreiben lautete:

"17. Mai 1876. Hochgeehrter Herr! Tief beklage ich es,
dass Sie meinen Brief so missverstanden. Sie scheiden aus dem
Victoria-Lyceum in derselben ehrenvollen Weise, wie vor Ihnen

„14. Mai 1876. Miss Archer, Hochwohlgeboren hier. In-
zwischen eingelaufene Berichte aus den Kreisen meiner Zu-
hörerinnen haben mir für Ihren zweiten Brief, dessen Deutsch
ich mehrfach nicht zu deuten wusste, während das Englische des
ersten mich sicher doch wenigstens nicht im Unklaren liess,
den Schlüssel nicht geliefert, sondern meine Ueberraschung nur
vermehrt.

Von Seiten der jüdischen Literatin Hirsch sollen in den
letzten Stunden kopfschüttelnde Unwillenskundgebungen in offen-
bar erkünstelter und auf einen Zweck abzielender Weise aus-
gegangen sein und noch eine der sogenannten Aufsichtsdamen
mitaufgereizt haben. Ja man sagt sogar, dass Sie selbst in solche
Benehmungsart mithineingezogen wären. Solche Kundgebungen
konnten nicht an mich gerichtet sein; denn von mir gesehen,
würden sie auch nicht einen Augenblick gedauert haben. Es
scheint hienach ein vollständiges kleines Complott seit Ausgang
März gegen mich bestanden zu haben. Die eigentlichen Zu-
hörerinnen dagegen haben mir ihren Dank durch eine derselben
am Schluss der letzten Vorlesung aussprechen lassen.

Ich begreife nun nicht, wie Sie glauben können, durch Ihren
letzten dunklen Brief und Berufung auf ein „reines Herz“ den
Bruch einer schriftlichen Zusicherung der „mit der grössten Frei-
heit in ganz Berlin“ wahrzunehmenden Stelle als Docent ohne
jede Grundangabe zu rechtfertigen. Eine öffentliche
Vertheidigung gegen die Thatsache und überdies gegen die be-
sonders empörende Art, in welcher ein Schriftsteller, der ziemlich
weit in der Welt bekannt ist, allem Anschein nach auf Veran-
lassung von Kleinlichkeiten, seinen im Hintergrund stehenden
Neidern zu Gefallen, wie irgend ein beliebiger Dutzendlehrer be-
seitigt wurde, – eine solche öffentliche Genugthuung wird Sie
voraussichtlich nicht überraschen. Dühring.“

Der folgende würdige Antrag, die Frucht der Scheu vor
der Oeffentlichkeit und eines argen Missverständnisses meines
Charakters, wird den Leser in Humor versetzen, zumal wenn er
bedenkt, dass mir die zugedachte Annehmlichkeit nur zur Un-
ehre, die volle Wahrheit über meine Vertreibung aber nur zur
Ehre gereichen konnte. Das Antragschreiben lautete:

„17. Mai 1876. Hochgeehrter Herr! Tief beklage ich es,
dass Sie meinen Brief so missverstanden. Sie scheiden aus dem
Victoria-Lyceum in derselben ehrenvollen Weise, wie vor Ihnen

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[72/0081] „14. Mai 1876. Miss Archer, Hochwohlgeboren hier. In- zwischen eingelaufene Berichte aus den Kreisen meiner Zu- hörerinnen haben mir für Ihren zweiten Brief, dessen Deutsch ich mehrfach nicht zu deuten wusste, während das Englische des ersten mich sicher doch wenigstens nicht im Unklaren liess, den Schlüssel nicht geliefert, sondern meine Ueberraschung nur vermehrt. Von Seiten der jüdischen Literatin Hirsch sollen in den letzten Stunden kopfschüttelnde Unwillenskundgebungen in offen- bar erkünstelter und auf einen Zweck abzielender Weise aus- gegangen sein und noch eine der sogenannten Aufsichtsdamen mitaufgereizt haben. Ja man sagt sogar, dass Sie selbst in solche Benehmungsart mithineingezogen wären. Solche Kundgebungen konnten nicht an mich gerichtet sein; denn von mir gesehen, würden sie auch nicht einen Augenblick gedauert haben. Es scheint hienach ein vollständiges kleines Complott seit Ausgang März gegen mich bestanden zu haben. Die eigentlichen Zu- hörerinnen dagegen haben mir ihren Dank durch eine derselben am Schluss der letzten Vorlesung aussprechen lassen. Ich begreife nun nicht, wie Sie glauben können, durch Ihren letzten dunklen Brief und Berufung auf ein „reines Herz“ den Bruch einer schriftlichen Zusicherung der „mit der grössten Frei- heit in ganz Berlin“ wahrzunehmenden Stelle als Docent ohne jede Grundangabe zu rechtfertigen. Eine öffentliche Vertheidigung gegen die Thatsache und überdies gegen die be- sonders empörende Art, in welcher ein Schriftsteller, der ziemlich weit in der Welt bekannt ist, allem Anschein nach auf Veran- lassung von Kleinlichkeiten, seinen im Hintergrund stehenden Neidern zu Gefallen, wie irgend ein beliebiger Dutzendlehrer be- seitigt wurde, – eine solche öffentliche Genugthuung wird Sie voraussichtlich nicht überraschen. Dühring.“ Der folgende würdige Antrag, die Frucht der Scheu vor der Oeffentlichkeit und eines argen Missverständnisses meines Charakters, wird den Leser in Humor versetzen, zumal wenn er bedenkt, dass mir die zugedachte Annehmlichkeit nur zur Un- ehre, die volle Wahrheit über meine Vertreibung aber nur zur Ehre gereichen konnte. Das Antragschreiben lautete: „17. Mai 1876. Hochgeehrter Herr! Tief beklage ich es, dass Sie meinen Brief so missverstanden. Sie scheiden aus dem Victoria-Lyceum in derselben ehrenvollen Weise, wie vor Ihnen

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/81>, abgerufen am 28.04.2024.