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Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 2. Hildesheim, 1747.

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Der Zorn.

Jhr wolt, o! blind und tolles Wagen!
Mit eurer Wuht den Fels zerschlagen,
Es sollen oft Erz, Marmel, Stein
Durch euren Grim zerbrochen seyn:
Jhr rennt; daran ihr prallt zurükke,
Der Fels bleibt stehn; ihr brechts Genikke.

Ein zorniger der schadt sich selber,
Und öfnet sich die Sterbgewölber
Wo er als Staub und Asche liegt,
Von kleinen Würmern wird besiegt.
Der alles wil zu Boden schlagen,
Der muß sich selbst im Grim zernagen
Bis er den welken Ueberrest,
Den Maden dreinst zur Beute läst;
Die Seele in die Hölle bringet,
Die feurig in die Flammen springet.
Jhr prahlt von dem gerechten Eifer,
Und ziehet eurem grimgen Geifer,
Das Kleid der reinen Tugend an,
Jhr denkt: ihr habet recht gethan,
Wenn ihr mit eurem strengen Wüten,
Der Bosheit Raserei bestritten:
Allein ihr irrt. Der Zorn taugt nicht,
Wenn er das Böse gleich zerbricht;
Gerechter Eiffer wird verspürret,
Wo Liebe und Gedult regieret.
Wer Ungerechtigkeit besieget,
Und seine Jchheit nicht bekrieget,
Der ist, wenn er die ganze Welt
Beherrschet, doch kein grosser Held.
O!

Der Zorn.

Jhr wolt, o! blind und tolles Wagen!
Mit eurer Wuht den Fels zerſchlagen,
Es ſollen oft Erz, Marmel, Stein
Durch euren Grim zerbrochen ſeyn:
Jhr rennt; daran ihr prallt zuruͤkke,
Der Fels bleibt ſtehn; ihr brechts Genikke.

Ein zorniger der ſchadt ſich ſelber,
Und oͤfnet ſich die Sterbgewoͤlber
Wo er als Staub und Aſche liegt,
Von kleinen Wuͤrmern wird beſiegt.
Der alles wil zu Boden ſchlagen,
Der muß ſich ſelbſt im Grim zernagen
Bis er den welken Ueberreſt,
Den Maden dreinſt zur Beute laͤſt;
Die Seele in die Hoͤlle bringet,
Die feurig in die Flammen ſpringet.
Jhr prahlt von dem gerechten Eifer,
Und ziehet eurem grimgen Geifer,
Das Kleid der reinen Tugend an,
Jhr denkt: ihr habet recht gethan,
Wenn ihr mit eurem ſtrengen Wuͤten,
Der Bosheit Raſerei beſtritten:
Allein ihr irrt. Der Zorn taugt nicht,
Wenn er das Boͤſe gleich zerbricht;
Gerechter Eiffer wird verſpuͤrret,
Wo Liebe und Gedult regieret.
Wer Ungerechtigkeit beſieget,
Und ſeine Jchheit nicht bekrieget,
Der iſt, wenn er die ganze Welt
Beherrſchet, doch kein groſſer Held.
O!
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[348/0360] Der Zorn. Jhr wolt, o! blind und tolles Wagen! Mit eurer Wuht den Fels zerſchlagen, Es ſollen oft Erz, Marmel, Stein Durch euren Grim zerbrochen ſeyn: Jhr rennt; daran ihr prallt zuruͤkke, Der Fels bleibt ſtehn; ihr brechts Genikke. Ein zorniger der ſchadt ſich ſelber, Und oͤfnet ſich die Sterbgewoͤlber Wo er als Staub und Aſche liegt, Von kleinen Wuͤrmern wird beſiegt. Der alles wil zu Boden ſchlagen, Der muß ſich ſelbſt im Grim zernagen Bis er den welken Ueberreſt, Den Maden dreinſt zur Beute laͤſt; Die Seele in die Hoͤlle bringet, Die feurig in die Flammen ſpringet. Jhr prahlt von dem gerechten Eifer, Und ziehet eurem grimgen Geifer, Das Kleid der reinen Tugend an, Jhr denkt: ihr habet recht gethan, Wenn ihr mit eurem ſtrengen Wuͤten, Der Bosheit Raſerei beſtritten: Allein ihr irrt. Der Zorn taugt nicht, Wenn er das Boͤſe gleich zerbricht; Gerechter Eiffer wird verſpuͤrret, Wo Liebe und Gedult regieret. Wer Ungerechtigkeit beſieget, Und ſeine Jchheit nicht bekrieget, Der iſt, wenn er die ganze Welt Beherrſchet, doch kein groſſer Held. O!

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Zitationshilfe: Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 2. Hildesheim, 1747, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen02_1747/360>, abgerufen am 24.05.2024.