Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 4. Hildesheim, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite
Physicalische und Moralische Betrachtung.
Wenn wir, der Seelen Trieb nicht zu erklären wü-
sten.

Es wäre diese Welt nicht anders anzusehn,
Als eine Wüstenei, wo stumme Menschen gehn.
Wie glüklich sind wir jezt, da wir durch Zung und
Kehlen,

Einander was uns plagt, was uns erfreut, erzäh-
len?

Der Zungen reger Schwamm dient uns zur Spra-
che auch,

Wie glüklich sind wir nicht durch dieses Glieds Ge-
brauch:

Allein wer denkt daran, daß wir des Höchsten Ga-
ben,

Die Zung zu seinen Ruhm auch mit empfangen ha-
ben,

Wer macht mit flüßger Zung, durch seine Sprach
und Mund

Der Gottheit Lob und Preis, wie sichs gebüh-
ret kund?

Wer denket wol daran, daß uns dies Glied ge-
geben,

Damit wir in der Welt des Höchsten Ruhm er-
heben.

Die Zunge ist ein Glied, das zu des Nächsten
Nuz,

Zu eignen Wolfahrt ist, zu unsrer Lust, zum
Schuz

Nach einem weisen Rath aus lauter Güt geschen-
ket,

Wie? wird sie jederzeit zu diesen Zwek gelenket?
Die Zung ist leider auch, mit Sünden-Gifft be-
sprüzt,

Das Böse das im Blut, im Herzen heimlich sizt,
Wird
Phyſicaliſche und Moraliſche Betrachtung.
Wenn wir, der Seelen Trieb nicht zu erklaͤren wuͤ-
ſten.

Es waͤre dieſe Welt nicht anders anzuſehn,
Als eine Wuͤſtenei, wo ſtumme Menſchen gehn.
Wie gluͤklich ſind wir jezt, da wir durch Zung und
Kehlen,

Einander was uns plagt, was uns erfreut, erzaͤh-
len?

Der Zungen reger Schwamm dient uns zur Spra-
che auch,

Wie gluͤklich ſind wir nicht durch dieſes Glieds Ge-
brauch:

Allein wer denkt daran, daß wir des Hoͤchſten Ga-
ben,

Die Zung zu ſeinen Ruhm auch mit empfangen ha-
ben,

Wer macht mit fluͤßger Zung, durch ſeine Sprach
und Mund

Der Gottheit Lob und Preis, wie ſichs gebuͤh-
ret kund?

Wer denket wol daran, daß uns dies Glied ge-
geben,

Damit wir in der Welt des Hoͤchſten Ruhm er-
heben.

Die Zunge iſt ein Glied, das zu des Naͤchſten
Nuz,

Zu eignen Wolfahrt iſt, zu unſrer Luſt, zum
Schuz

Nach einem weiſen Rath aus lauter Guͤt geſchen-
ket,

Wie? wird ſie jederzeit zu dieſen Zwek gelenket?
Die Zung iſt leider auch, mit Suͤnden-Gifft be-
ſpruͤzt,

Das Boͤſe das im Blut, im Herzen heimlich ſizt,
Wird
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0282" n="266"/>
          <fw place="top" type="header">Phy&#x017F;icali&#x017F;che und Morali&#x017F;che Betrachtung.</fw><lb/>
          <l>Wenn wir, der Seelen Trieb nicht zu erkla&#x0364;ren wu&#x0364;-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ten.</hi></l><lb/>
          <l>Es wa&#x0364;re die&#x017F;e Welt nicht anders anzu&#x017F;ehn,</l><lb/>
          <l>Als eine Wu&#x0364;&#x017F;tenei, wo &#x017F;tumme Men&#x017F;chen gehn.</l><lb/>
          <l>Wie glu&#x0364;klich &#x017F;ind wir jezt, da wir durch Zung und<lb/><hi rendition="#et">Kehlen,</hi></l><lb/>
          <l>Einander was uns plagt, was uns erfreut, erza&#x0364;h-<lb/><hi rendition="#et">len?</hi></l><lb/>
          <l>Der Zungen reger Schwamm dient uns zur Spra-<lb/><hi rendition="#et">che auch,</hi></l><lb/>
          <l>Wie glu&#x0364;klich &#x017F;ind wir nicht durch die&#x017F;es Glieds Ge-<lb/><hi rendition="#et">brauch:</hi></l><lb/>
          <l>Allein wer denkt daran, daß wir des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ga-<lb/><hi rendition="#et">ben,</hi></l><lb/>
          <l>Die Zung zu &#x017F;einen Ruhm auch mit empfangen ha-<lb/><hi rendition="#et">ben,</hi></l><lb/>
          <l>Wer macht mit flu&#x0364;ßger Zung, durch &#x017F;eine Sprach<lb/><hi rendition="#et">und Mund</hi></l><lb/>
          <l>Der Gottheit Lob und Preis, wie &#x017F;ichs gebu&#x0364;h-<lb/><hi rendition="#et">ret kund?</hi></l><lb/>
          <l>Wer denket wol daran, daß uns dies Glied ge-<lb/><hi rendition="#et">geben,</hi></l><lb/>
          <l>Damit wir in der Welt des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ruhm er-<lb/><hi rendition="#et">heben.</hi></l><lb/>
          <l>Die Zunge i&#x017F;t ein Glied, das zu des Na&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/><hi rendition="#et">Nuz,</hi></l><lb/>
          <l>Zu eignen Wolfahrt i&#x017F;t, zu un&#x017F;rer Lu&#x017F;t, zum<lb/><hi rendition="#et">Schuz</hi></l><lb/>
          <l>Nach einem wei&#x017F;en Rath aus lauter Gu&#x0364;t ge&#x017F;chen-<lb/><hi rendition="#et">ket,</hi></l><lb/>
          <l>Wie? wird &#x017F;ie jederzeit zu die&#x017F;en Zwek gelenket?</l><lb/>
          <l>Die Zung i&#x017F;t leider auch, mit Su&#x0364;nden-Gifft be-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;pru&#x0364;zt,</hi></l><lb/>
          <l>Das Bo&#x0364;&#x017F;e das im Blut, im Herzen heimlich &#x017F;izt,</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wird</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0282] Phyſicaliſche und Moraliſche Betrachtung. Wenn wir, der Seelen Trieb nicht zu erklaͤren wuͤ- ſten. Es waͤre dieſe Welt nicht anders anzuſehn, Als eine Wuͤſtenei, wo ſtumme Menſchen gehn. Wie gluͤklich ſind wir jezt, da wir durch Zung und Kehlen, Einander was uns plagt, was uns erfreut, erzaͤh- len? Der Zungen reger Schwamm dient uns zur Spra- che auch, Wie gluͤklich ſind wir nicht durch dieſes Glieds Ge- brauch: Allein wer denkt daran, daß wir des Hoͤchſten Ga- ben, Die Zung zu ſeinen Ruhm auch mit empfangen ha- ben, Wer macht mit fluͤßger Zung, durch ſeine Sprach und Mund Der Gottheit Lob und Preis, wie ſichs gebuͤh- ret kund? Wer denket wol daran, daß uns dies Glied ge- geben, Damit wir in der Welt des Hoͤchſten Ruhm er- heben. Die Zunge iſt ein Glied, das zu des Naͤchſten Nuz, Zu eignen Wolfahrt iſt, zu unſrer Luſt, zum Schuz Nach einem weiſen Rath aus lauter Guͤt geſchen- ket, Wie? wird ſie jederzeit zu dieſen Zwek gelenket? Die Zung iſt leider auch, mit Suͤnden-Gifft be- ſpruͤzt, Das Boͤſe das im Blut, im Herzen heimlich ſizt, Wird

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen04_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen04_1747/282
Zitationshilfe: Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 4. Hildesheim, 1747, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen04_1747/282>, abgerufen am 21.11.2024.