Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 4. Hildesheim, 1747.Physicalische und Moraeische Betrachtung. Damit sie Redligkeit und Unschuld stark versehrt.Der Neid macht sie zum Pfeil, die Tugend zu ver- lezzen, Die Prahlsucht brauchet sie sich selber hoch zuschäz- zen, Und der Verläumder meint, die Zung sey ihm ver- liehn, Damit, was ehrlich heist, nur hönisch durchzuziehn. Die Bosheit, Grim und Zorn die Jäscht und Geif- fer sprüzzen, Die brauchen auch die Zung, damit sie wittern, bliz- zen. Die Zunge wird auch offt, dem der zu dreiste spricht, Ein Dolch damit er sich selbst in das Herze sticht; Wer sie nicht recht verwahrt, nicht klüglich sucht zu lenken, Der kan sich dadurch selbst in grosses Unglük sen- ken. Dies lehrt dir deine Pflicht O Mensche! denk dar- an, Was dieses schlüpfrich Glied vor Uebel bringen kan, Wenn es nicht wird bewahrt. Drum brauche Schlos und Riegel Nach jenes Weisen Rath; Halt deine Zung im Zügel, Die wie ein kollernd Pferd, wenn sie nicht wird re- giert, Dich ehe du es meinst, in dein Verderben führt. Bedenke ihren Zwek, warum sie dir gegeben; Wer seinen Mund bewahrt, bewahret auch sein Le- ben. Selbst die Natur giebt dir ein Denkbild an die Hand, Du merkst wie deine Zung am Gaum fest ange- spannt, Wie
Phyſicaliſche und Moraeiſche Betrachtung. Damit ſie Redligkeit und Unſchuld ſtark verſehrt.Der Neid macht ſie zum Pfeil, die Tugend zu ver- lezzen, Die Prahlſucht brauchet ſie ſich ſelber hoch zuſchaͤz- zen, Und der Verlaͤumder meint, die Zung ſey ihm ver- liehn, Damit, was ehrlich heiſt, nur hoͤniſch durchzuziehn. Die Bosheit, Grim und Zorn die Jaͤſcht und Geif- fer ſpruͤzzen, Die brauchen auch die Zung, damit ſie wittern, bliz- zen. Die Zunge wird auch offt, dem der zu dreiſte ſpricht, Ein Dolch damit er ſich ſelbſt in das Herze ſticht; Wer ſie nicht recht verwahrt, nicht kluͤglich ſucht zu lenken, Der kan ſich dadurch ſelbſt in groſſes Ungluͤk ſen- ken. Dies lehrt dir deine Pflicht O Menſche! denk dar- an, Was dieſes ſchluͤpfrich Glied vor Uebel bringen kan, Wenn es nicht wird bewahrt. Drum brauche Schlos und Riegel Nach jenes Weiſen Rath; Halt deine Zung im Zuͤgel, Die wie ein kollernd Pferd, wenn ſie nicht wird re- giert, Dich ehe du es meinſt, in dein Verderben fuͤhrt. Bedenke ihren Zwek, warum ſie dir gegeben; Wer ſeinen Mund bewahrt, bewahret auch ſein Le- ben. Selbſt die Natur giebt dir ein Denkbild an die Hand, Du merkſt wie deine Zung am Gaum feſt ange- ſpannt, Wie
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0284" n="268"/> <fw place="top" type="header">Phyſicaliſche und Moraeiſche Betrachtung.</fw><lb/> <l>Damit ſie Redligkeit und Unſchuld ſtark verſehrt.</l><lb/> <l>Der Neid macht ſie zum Pfeil, die Tugend zu ver-<lb/><hi rendition="#et">lezzen,</hi></l><lb/> <l>Die Prahlſucht brauchet ſie ſich ſelber hoch zuſchaͤz-<lb/><hi rendition="#et">zen,</hi></l><lb/> <l>Und der Verlaͤumder meint, die Zung ſey ihm ver-<lb/><hi rendition="#et">liehn,</hi></l><lb/> <l>Damit, was ehrlich heiſt, nur hoͤniſch durchzuziehn.</l><lb/> <l>Die Bosheit, Grim und Zorn die Jaͤſcht und Geif-<lb/><hi rendition="#et">fer ſpruͤzzen,</hi></l><lb/> <l>Die brauchen auch die Zung, damit ſie wittern, bliz-<lb/><hi rendition="#et">zen.</hi></l><lb/> <l>Die Zunge wird auch offt, dem der zu dreiſte ſpricht,</l><lb/> <l>Ein Dolch damit er ſich ſelbſt in das Herze ſticht;</l><lb/> <l>Wer ſie nicht recht verwahrt, nicht kluͤglich ſucht zu<lb/><hi rendition="#et">lenken,</hi></l><lb/> <l>Der kan ſich dadurch ſelbſt in groſſes Ungluͤk ſen-<lb/><hi rendition="#et">ken.</hi></l><lb/> <l>Dies lehrt dir deine Pflicht O Menſche! denk dar-<lb/><hi rendition="#et">an,</hi></l><lb/> <l>Was dieſes ſchluͤpfrich Glied vor Uebel bringen kan,</l><lb/> <l>Wenn es nicht wird bewahrt. Drum brauche Schlos<lb/><hi rendition="#et">und Riegel</hi></l><lb/> <l>Nach jenes Weiſen Rath; Halt deine Zung im Zuͤgel,</l><lb/> <l>Die wie ein kollernd Pferd, wenn ſie nicht wird re-<lb/><hi rendition="#et">giert,</hi></l><lb/> <l>Dich ehe du es meinſt, in dein Verderben fuͤhrt.</l><lb/> <l>Bedenke ihren Zwek, warum ſie dir gegeben;</l><lb/> <l>Wer ſeinen Mund bewahrt, bewahret auch ſein Le-<lb/><hi rendition="#et">ben.</hi></l><lb/> <l>Selbſt die Natur giebt dir ein Denkbild an die<lb/><hi rendition="#et">Hand,</hi></l><lb/> <l>Du merkſt wie deine Zung am Gaum feſt ange-<lb/><hi rendition="#et">ſpannt,</hi></l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [268/0284]
Phyſicaliſche und Moraeiſche Betrachtung.
Damit ſie Redligkeit und Unſchuld ſtark verſehrt.
Der Neid macht ſie zum Pfeil, die Tugend zu ver-
lezzen,
Die Prahlſucht brauchet ſie ſich ſelber hoch zuſchaͤz-
zen,
Und der Verlaͤumder meint, die Zung ſey ihm ver-
liehn,
Damit, was ehrlich heiſt, nur hoͤniſch durchzuziehn.
Die Bosheit, Grim und Zorn die Jaͤſcht und Geif-
fer ſpruͤzzen,
Die brauchen auch die Zung, damit ſie wittern, bliz-
zen.
Die Zunge wird auch offt, dem der zu dreiſte ſpricht,
Ein Dolch damit er ſich ſelbſt in das Herze ſticht;
Wer ſie nicht recht verwahrt, nicht kluͤglich ſucht zu
lenken,
Der kan ſich dadurch ſelbſt in groſſes Ungluͤk ſen-
ken.
Dies lehrt dir deine Pflicht O Menſche! denk dar-
an,
Was dieſes ſchluͤpfrich Glied vor Uebel bringen kan,
Wenn es nicht wird bewahrt. Drum brauche Schlos
und Riegel
Nach jenes Weiſen Rath; Halt deine Zung im Zuͤgel,
Die wie ein kollernd Pferd, wenn ſie nicht wird re-
giert,
Dich ehe du es meinſt, in dein Verderben fuͤhrt.
Bedenke ihren Zwek, warum ſie dir gegeben;
Wer ſeinen Mund bewahrt, bewahret auch ſein Le-
ben.
Selbſt die Natur giebt dir ein Denkbild an die
Hand,
Du merkſt wie deine Zung am Gaum feſt ange-
ſpannt,
Wie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen04_1747 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen04_1747/284 |
Zitationshilfe: | Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 4. Hildesheim, 1747, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen04_1747/284>, abgerufen am 26.06.2024. |