Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864."Mein Vater war wohlberechtigt euch zu strafen," "Zürne nicht, o König," antwortete der Massaget; Kambyses schwieg; der Gesandte aber fuhr fort: "Kyros entschied sich, wie Kriegsgefangne uns später „Mein Vater war wohlberechtigt euch zu ſtrafen,“ „Zürne nicht, o König,“ antwortete der Maſſaget; Kambyſes ſchwieg; der Geſandte aber fuhr fort: „Kyros entſchied ſich, wie Kriegsgefangne uns ſpäter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0076" n="74"/> <p>„Mein Vater war wohlberechtigt euch zu ſtrafen,“<lb/> unterbrach der König den Redner, „denn eure Fürſtin<lb/> Tomyris vermaß ſich, ihm eine abſchlägige Antwort zu<lb/> geben, als er ſich um ihre Hand bewarb.“</p><lb/> <p>„Zürne nicht, o König,“ antwortete der Maſſaget;<lb/> „aber ich muß Dir ſagen, daß unſer ganzes Volk dieſe<lb/> Weigerung billigte. Einem Kinde konnte es ja nicht ver-<lb/> borgen ſein, daß der greiſe Kyros unſre Königin nur<lb/> darum der Zahl ſeiner Gattinnen beizugeſellen wünſchte,<lb/> weil er, unerſättlich nach Ländern, mit derſelben auch un-<lb/> ſer Gebiet zu gewinnen hoffte.“</p><lb/> <p>Kambyſes ſchwieg; der Geſandte aber fuhr fort:<lb/> „Kyros ließ den Araxes, unſern Grenzſtrom, überbrücken.<lb/> Wir fürchteten nichts; darum ließ Tomyris ihm ſagen, er<lb/> möge ſich die Mühe des Brückenſchlagens erſparen, denn<lb/> wir wären bereit, ihn entweder in unſerm Lande ruhig zu<lb/> erwarten und ihm den Uebergang über den Araxes frei<lb/> zu laſſen, oder ihm in ſein eignes Land entgegen zu<lb/> ziehen.</p><lb/> <p>„Kyros entſchied ſich, wie Kriegsgefangne uns ſpäter<lb/> mittheilten, auf den Rath des entthronten Königs von<lb/> Lydien, Kröſus, dafür, uns in unſerm eignen Gebiete auf-<lb/> zuſuchen und durch Liſt zu verderben. Er ſandte uns nur<lb/> einen kleinen Theil ſeines Heeres entgegen, ließ daſſelbe<lb/> von unſern Pfeilen und Lanzen aufreiben und geſtattete,<lb/> daß wir uns ſeines Lagers ohne einen Schwertſtreich be-<lb/> mächtigten. Wir glaubten den Unerſättlichen beſiegt zu<lb/> haben und ſchmausten von euren reichen Vorräthen. Als<lb/> wir, vergiftet von jenem ſüßen Tranke, welchen wir noch<lb/> niemals verſucht hatten und den ihr ‚Wein‘ benennt, in<lb/> einen der Betäubung gleichen Schlummer verſunken waren,<lb/> überfiel uns euer Heer und mordete einen großen Theil<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0076]
„Mein Vater war wohlberechtigt euch zu ſtrafen,“
unterbrach der König den Redner, „denn eure Fürſtin
Tomyris vermaß ſich, ihm eine abſchlägige Antwort zu
geben, als er ſich um ihre Hand bewarb.“
„Zürne nicht, o König,“ antwortete der Maſſaget;
„aber ich muß Dir ſagen, daß unſer ganzes Volk dieſe
Weigerung billigte. Einem Kinde konnte es ja nicht ver-
borgen ſein, daß der greiſe Kyros unſre Königin nur
darum der Zahl ſeiner Gattinnen beizugeſellen wünſchte,
weil er, unerſättlich nach Ländern, mit derſelben auch un-
ſer Gebiet zu gewinnen hoffte.“
Kambyſes ſchwieg; der Geſandte aber fuhr fort:
„Kyros ließ den Araxes, unſern Grenzſtrom, überbrücken.
Wir fürchteten nichts; darum ließ Tomyris ihm ſagen, er
möge ſich die Mühe des Brückenſchlagens erſparen, denn
wir wären bereit, ihn entweder in unſerm Lande ruhig zu
erwarten und ihm den Uebergang über den Araxes frei
zu laſſen, oder ihm in ſein eignes Land entgegen zu
ziehen.
„Kyros entſchied ſich, wie Kriegsgefangne uns ſpäter
mittheilten, auf den Rath des entthronten Königs von
Lydien, Kröſus, dafür, uns in unſerm eignen Gebiete auf-
zuſuchen und durch Liſt zu verderben. Er ſandte uns nur
einen kleinen Theil ſeines Heeres entgegen, ließ daſſelbe
von unſern Pfeilen und Lanzen aufreiben und geſtattete,
daß wir uns ſeines Lagers ohne einen Schwertſtreich be-
mächtigten. Wir glaubten den Unerſättlichen beſiegt zu
haben und ſchmausten von euren reichen Vorräthen. Als
wir, vergiftet von jenem ſüßen Tranke, welchen wir noch
niemals verſucht hatten und den ihr ‚Wein‘ benennt, in
einen der Betäubung gleichen Schlummer verſunken waren,
überfiel uns euer Heer und mordete einen großen Theil
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