ich als Einzelner einen Fehler begangen, so konnte ich ihn wieder gut machen; hätte ich ihn aber zu dreyen und mehreren begangen, so wäre ein Gutmachen un¬ möglich gewesen, denn unter Vielen ist zu vielerley Meinung."
Darauf bey Tisch war Goethe von der heitersten Laune. Er zeigte mir das Stammbuch der Frau von Spiegel, worin er sehr schöne Verse geschrieben. Es war ein Platz für ihn zwey Jahre lang offen gelassen und er war nun froh, daß es ihm gelungen, ein altes Versprechen endlich zu erfüllen. Nachdem ich das Ge¬ dicht an Frau von Spiegel gelesen, blätterte ich in dem Buche weiter, wobey ich auf manchen bedeutenden Namen stieß. Gleich auf der nächsten Seite stand ein Gedicht von Tiedge, ganz in der Gesinnung und dem Tone seiner Urania geschrieben. "In einer Anwandlung von Verwegenheit, sagte Goethe, war ich im Begriff einige Verse darunter zu setzen; es freut mich aber, daß ich es unterlassen, denn es ist nicht das erste Mal, daß ich durch rückhaltlose Äußerungen gute Menschen zurück¬ gestoßen und die Wirkung meiner besten Sachen verdor¬ ben habe."
"Indessen, fuhr Goethe fort, habe ich von Tiedge's Urania nicht wenig auszustehen gehabt; denn es gab eine Zeit, wo nichts gesungen und nichts declamirt wurde als die Urania. Wo man hinkam, fand man die Urania auf allen Tischen; die Urania und die Un¬
ich als Einzelner einen Fehler begangen, ſo konnte ich ihn wieder gut machen; haͤtte ich ihn aber zu dreyen und mehreren begangen, ſo waͤre ein Gutmachen un¬ moͤglich geweſen, denn unter Vielen iſt zu vielerley Meinung.“
Darauf bey Tiſch war Goethe von der heiterſten Laune. Er zeigte mir das Stammbuch der Frau von Spiegel, worin er ſehr ſchoͤne Verſe geſchrieben. Es war ein Platz fuͤr ihn zwey Jahre lang offen gelaſſen und er war nun froh, daß es ihm gelungen, ein altes Verſprechen endlich zu erfuͤllen. Nachdem ich das Ge¬ dicht an Frau von Spiegel geleſen, blaͤtterte ich in dem Buche weiter, wobey ich auf manchen bedeutenden Namen ſtieß. Gleich auf der naͤchſten Seite ſtand ein Gedicht von Tiedge, ganz in der Geſinnung und dem Tone ſeiner Urania geſchrieben. „In einer Anwandlung von Verwegenheit, ſagte Goethe, war ich im Begriff einige Verſe darunter zu ſetzen; es freut mich aber, daß ich es unterlaſſen, denn es iſt nicht das erſte Mal, daß ich durch ruͤckhaltloſe Äußerungen gute Menſchen zuruͤck¬ geſtoßen und die Wirkung meiner beſten Sachen verdor¬ ben habe.“
„Indeſſen, fuhr Goethe fort, habe ich von Tiedge's Urania nicht wenig auszuſtehen gehabt; denn es gab eine Zeit, wo nichts geſungen und nichts declamirt wurde als die Urania. Wo man hinkam, fand man die Urania auf allen Tiſchen; die Urania und die Un¬
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ich als Einzelner einen Fehler begangen, ſo konnte ich
ihn wieder gut machen; haͤtte ich ihn aber zu dreyen
und mehreren begangen, ſo waͤre ein Gutmachen un¬
moͤglich geweſen, denn unter Vielen iſt zu vielerley
Meinung.“
Darauf bey Tiſch war Goethe von der heiterſten
Laune. Er zeigte mir das Stammbuch der Frau von
Spiegel, worin er ſehr ſchoͤne Verſe geſchrieben. Es
war ein Platz fuͤr ihn zwey Jahre lang offen gelaſſen
und er war nun froh, daß es ihm gelungen, ein altes
Verſprechen endlich zu erfuͤllen. Nachdem ich das Ge¬
dicht an Frau von Spiegel geleſen, blaͤtterte ich in dem
Buche weiter, wobey ich auf manchen bedeutenden
Namen ſtieß. Gleich auf der naͤchſten Seite ſtand ein
Gedicht von Tiedge, ganz in der Geſinnung und dem
Tone ſeiner Urania geſchrieben. „In einer Anwandlung
von Verwegenheit, ſagte Goethe, war ich im Begriff
einige Verſe darunter zu ſetzen; es freut mich aber, daß
ich es unterlaſſen, denn es iſt nicht das erſte Mal, daß
ich durch ruͤckhaltloſe Äußerungen gute Menſchen zuruͤck¬
geſtoßen und die Wirkung meiner beſten Sachen verdor¬
ben habe.“
„Indeſſen, fuhr Goethe fort, habe ich von Tiedge's
Urania nicht wenig auszuſtehen gehabt; denn es gab
eine Zeit, wo nichts geſungen und nichts declamirt
wurde als die Urania. Wo man hinkam, fand man
die Urania auf allen Tiſchen; die Urania und die Un¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/140>, abgerufen am 28.11.2024.
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