Aussicht trat an die Stelle, aber die liebevolle Fähigkeit ging verloren, und da sich ein künstlerisches Talent weder technisch noch ästhetisch entwickeln konnte, so zer¬ floß mein Bestreben zu nichts."
"Man sagt mit Recht, fuhr Goethe fort, daß die gemeinsame Ausbildung menschlicher Kräfte zu wünschen und auch das Vorzüglichste sey. Der Mensch aber ist dazu nicht geboren, jeder muß sich eigentlich als ein besonderes Wesen bilden, aber den Begriff zu erlangen suchen, was alle zusammen sind."
Ich dachte hiebey an den Wilhelm Meister, wo gleichfalls ausgesprochen ist, daß nur alle Menschen zusammengenommen die Menschheit ausmachen und wir nur in sofern zu achten sind, als wir zu schätzen wissen.
So auch dachte ich an die Wanderjahre, wo Jarmo immer nur zu Einem Handwerk räth und dabey aus¬ spricht, daß jetzt die Zeit der Einseitigkeiten sey und man den glücklich zu preisen habe, der dieses begreife und für sich und Andere in solchem Sinne wirke.
Nun aber fragt es sich, was jemand für ein Hand¬ werk habe, damit er die Grenzen nicht überschreite, aber auch nicht zu wenig thue.
Wessen Sache es seyn wird, viele Fächer zu über¬ sehen, zu beurtheilen, zu leiten, der soll auch eine möglichste Einsicht in viele Fächer zu erlangen suchen. So kann ein Fürst, ein künftiger Staatsmann, sich
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Ausſicht trat an die Stelle, aber die liebevolle Faͤhigkeit ging verloren, und da ſich ein kuͤnſtleriſches Talent weder techniſch noch aͤſthetiſch entwickeln konnte, ſo zer¬ floß mein Beſtreben zu nichts.“
„Man ſagt mit Recht, fuhr Goethe fort, daß die gemeinſame Ausbildung menſchlicher Kraͤfte zu wuͤnſchen und auch das Vorzuͤglichſte ſey. Der Menſch aber iſt dazu nicht geboren, jeder muß ſich eigentlich als ein beſonderes Weſen bilden, aber den Begriff zu erlangen ſuchen, was alle zuſammen ſind.“
Ich dachte hiebey an den Wilhelm Meiſter, wo gleichfalls ausgeſprochen iſt, daß nur alle Menſchen zuſammengenommen die Menſchheit ausmachen und wir nur in ſofern zu achten ſind, als wir zu ſchaͤtzen wiſſen.
So auch dachte ich an die Wanderjahre, wo Jarmo immer nur zu Einem Handwerk raͤth und dabey aus¬ ſpricht, daß jetzt die Zeit der Einſeitigkeiten ſey und man den gluͤcklich zu preiſen habe, der dieſes begreife und fuͤr ſich und Andere in ſolchem Sinne wirke.
Nun aber fragt es ſich, was jemand fuͤr ein Hand¬ werk habe, damit er die Grenzen nicht uͤberſchreite, aber auch nicht zu wenig thue.
Weſſen Sache es ſeyn wird, viele Faͤcher zu uͤber¬ ſehen, zu beurtheilen, zu leiten, der ſoll auch eine moͤglichſte Einſicht in viele Faͤcher zu erlangen ſuchen. So kann ein Fuͤrſt, ein kuͤnftiger Staatsmann, ſich
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Ausſicht trat an die Stelle, aber die liebevolle Faͤhigkeit
ging verloren, und da ſich ein kuͤnſtleriſches Talent
weder techniſch noch aͤſthetiſch entwickeln konnte, ſo zer¬
floß mein Beſtreben zu nichts.“
„Man ſagt mit Recht, fuhr Goethe fort, daß die
gemeinſame Ausbildung menſchlicher Kraͤfte zu wuͤnſchen
und auch das Vorzuͤglichſte ſey. Der Menſch aber iſt
dazu nicht geboren, jeder muß ſich eigentlich als ein
beſonderes Weſen bilden, aber den Begriff zu erlangen
ſuchen, was alle zuſammen ſind.“
Ich dachte hiebey an den Wilhelm Meiſter, wo
gleichfalls ausgeſprochen iſt, daß nur alle Menſchen
zuſammengenommen die Menſchheit ausmachen und wir
nur in ſofern zu achten ſind, als wir zu ſchaͤtzen wiſſen.
So auch dachte ich an die Wanderjahre, wo Jarmo
immer nur zu Einem Handwerk raͤth und dabey aus¬
ſpricht, daß jetzt die Zeit der Einſeitigkeiten ſey und
man den gluͤcklich zu preiſen habe, der dieſes begreife
und fuͤr ſich und Andere in ſolchem Sinne wirke.
Nun aber fragt es ſich, was jemand fuͤr ein Hand¬
werk habe, damit er die Grenzen nicht uͤberſchreite, aber
auch nicht zu wenig thue.
Weſſen Sache es ſeyn wird, viele Faͤcher zu uͤber¬
ſehen, zu beurtheilen, zu leiten, der ſoll auch eine
moͤglichſte Einſicht in viele Faͤcher zu erlangen ſuchen.
So kann ein Fuͤrſt, ein kuͤnftiger Staatsmann, ſich
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/231>, abgerufen am 24.11.2024.
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