Aus gleicher Ursache schätzt und rühmt er an seinem Freunde Meyer, daß dieser ausschließlich auf das Studium der Kunst sein ganzes Leben verwendet habe, wodurch man ihm denn die höchste Einsicht in diesem Fache zugestehen müsse.
"Ich bin auch in solcher Richtung frühzeitig her¬ gekommen, sagte Goethe, und habe auch fast ein halbes Leben an Betrachtung und Studium von Kunstwerken gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬ wisser Hinsicht nicht gleich thun. Ich hüte mich daher auch wohl, ein neues Gemälde diesem Freunde sogleich zu zeigen, sondern ich sehe zuvor zu, wieweit ich ihm meinerseits beykommen kann. Glaube ich nun, über das Gelungene und Mangelhafte völlig im Klaren zu seyn, so zeige ich es Meyern, der denn freylich weit schärfer sieht, und dem in manchem Betracht noch ganz andere Lichter dabey aufgehen. Und so sehe ich immer von neuem, was es sagen will und was dazu gehört, um in einer Sache durchaus groß zu seyn. In Meyern liegt eine Kunst-Einsicht von ganzen Jahr¬ tausenden."
Nun aber könnte man fragen, warum denn Goethe, wenn er so lebhaft durchdrungen sey, daß der Mensch nur ein Einziges thun solle, warum denn gerade er selbst sein Leben an so höchst vielseitige Richtungen ver¬ wendet habe?
Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in
Aus gleicher Urſache ſchaͤtzt und ruͤhmt er an ſeinem Freunde Meyer, daß dieſer ausſchließlich auf das Studium der Kunſt ſein ganzes Leben verwendet habe, wodurch man ihm denn die hoͤchſte Einſicht in dieſem Fache zugeſtehen muͤſſe.
„Ich bin auch in ſolcher Richtung fruͤhzeitig her¬ gekommen, ſagte Goethe, und habe auch faſt ein halbes Leben an Betrachtung und Studium von Kunſtwerken gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬ wiſſer Hinſicht nicht gleich thun. Ich huͤte mich daher auch wohl, ein neues Gemaͤlde dieſem Freunde ſogleich zu zeigen, ſondern ich ſehe zuvor zu, wieweit ich ihm meinerſeits beykommen kann. Glaube ich nun, uͤber das Gelungene und Mangelhafte voͤllig im Klaren zu ſeyn, ſo zeige ich es Meyern, der denn freylich weit ſchaͤrfer ſieht, und dem in manchem Betracht noch ganz andere Lichter dabey aufgehen. Und ſo ſehe ich immer von neuem, was es ſagen will und was dazu gehoͤrt, um in einer Sache durchaus groß zu ſeyn. In Meyern liegt eine Kunſt-Einſicht von ganzen Jahr¬ tauſenden.“
Nun aber koͤnnte man fragen, warum denn Goethe, wenn er ſo lebhaft durchdrungen ſey, daß der Menſch nur ein Einziges thun ſolle, warum denn gerade er ſelbſt ſein Leben an ſo hoͤchſt vielſeitige Richtungen ver¬ wendet habe?
Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0235"n="215"/><p>Aus gleicher Urſache ſchaͤtzt und ruͤhmt er an ſeinem<lb/>
Freunde <hirendition="#g">Meyer</hi>, daß dieſer ausſchließlich auf das<lb/>
Studium der Kunſt ſein ganzes Leben verwendet habe,<lb/>
wodurch man ihm denn die hoͤchſte Einſicht in dieſem<lb/>
Fache zugeſtehen muͤſſe.</p><lb/><p>„Ich bin auch in ſolcher Richtung fruͤhzeitig her¬<lb/>
gekommen, ſagte Goethe, und habe auch faſt ein halbes<lb/>
Leben an Betrachtung und Studium von Kunſtwerken<lb/>
gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬<lb/>
wiſſer Hinſicht nicht gleich thun. Ich huͤte mich daher<lb/>
auch wohl, ein neues Gemaͤlde dieſem Freunde ſogleich<lb/>
zu zeigen, ſondern ich ſehe zuvor zu, wieweit ich ihm<lb/>
meinerſeits beykommen kann. Glaube ich nun, uͤber<lb/>
das Gelungene und Mangelhafte voͤllig im Klaren zu<lb/>ſeyn, ſo zeige ich es Meyern, der denn freylich weit<lb/>ſchaͤrfer ſieht, und dem in manchem Betracht noch ganz<lb/>
andere Lichter dabey aufgehen. Und ſo ſehe ich immer<lb/>
von neuem, was es ſagen will und was dazu gehoͤrt,<lb/>
um in <hirendition="#g">einer</hi> Sache durchaus groß zu ſeyn. In<lb/><hirendition="#g">Meyern</hi> liegt eine Kunſt-Einſicht von ganzen Jahr¬<lb/>
tauſenden.“</p><lb/><p>Nun aber koͤnnte man fragen, warum denn Goethe,<lb/>
wenn er ſo lebhaft durchdrungen ſey, daß der Menſch<lb/>
nur ein Einziges thun ſolle, warum denn gerade er<lb/>ſelbſt ſein Leben an ſo hoͤchſt vielſeitige Richtungen ver¬<lb/>
wendet habe?</p><lb/><p>Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[215/0235]
Aus gleicher Urſache ſchaͤtzt und ruͤhmt er an ſeinem
Freunde Meyer, daß dieſer ausſchließlich auf das
Studium der Kunſt ſein ganzes Leben verwendet habe,
wodurch man ihm denn die hoͤchſte Einſicht in dieſem
Fache zugeſtehen muͤſſe.
„Ich bin auch in ſolcher Richtung fruͤhzeitig her¬
gekommen, ſagte Goethe, und habe auch faſt ein halbes
Leben an Betrachtung und Studium von Kunſtwerken
gewendet, aber Meyern kann ich es denn doch in ge¬
wiſſer Hinſicht nicht gleich thun. Ich huͤte mich daher
auch wohl, ein neues Gemaͤlde dieſem Freunde ſogleich
zu zeigen, ſondern ich ſehe zuvor zu, wieweit ich ihm
meinerſeits beykommen kann. Glaube ich nun, uͤber
das Gelungene und Mangelhafte voͤllig im Klaren zu
ſeyn, ſo zeige ich es Meyern, der denn freylich weit
ſchaͤrfer ſieht, und dem in manchem Betracht noch ganz
andere Lichter dabey aufgehen. Und ſo ſehe ich immer
von neuem, was es ſagen will und was dazu gehoͤrt,
um in einer Sache durchaus groß zu ſeyn. In
Meyern liegt eine Kunſt-Einſicht von ganzen Jahr¬
tauſenden.“
Nun aber koͤnnte man fragen, warum denn Goethe,
wenn er ſo lebhaft durchdrungen ſey, daß der Menſch
nur ein Einziges thun ſolle, warum denn gerade er
ſelbſt ſein Leben an ſo hoͤchſt vielſeitige Richtungen ver¬
wendet habe?
Hierauf antworte ich, daß, wenn Goethe jetzt in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/235>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.