"Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬ handlungen mit Buchhändlern, einen Fehler und es that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber haben sich die Umstände so geändert, daß ich einen großen Fehler begangen haben würde, wenn ich jenen nicht gemacht hätte. Dergleichen wiederholt sich im Leben häufig, und Weltmenschen, welche dieses wissen, sieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬ stigkeit zu Werke gehen."
Ich merkte mir diese Beobachtung, die mir neu war. Ich brachte sodann das Gespräch auf einige sei¬ ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis und Dora.
"An diesem Gedicht, sagte Goethe, tadelten die Menschen den starken leidenschaftlichen Schluß und ver¬ langten, daß die Elegie sanft und ruhig ausgehen solle, ohne jene eifersüchtige Aufwallung; allein ich konnte nicht einsehen, daß jene Menschen Recht hätten. Die Eifersucht liegt hier so nahe und ist so in der Sache, daß dem Gedicht etwas fehlen würde, wenn sie nicht dawäre. Ich habe selbst einen jungen Menschen gekannt, der in leidenschaftlicher Liebe zu einem schnell gewonne¬ nen Mädchen ausrief: aber wird sie es nicht einem an¬ dern eben so machen wie mir?"
Ich stimmte Goethen vollkommen bey und erwähnte sodann der eigenthümlichen Zustände dieser Elegie, wo in so kleinem Raum mit wenig Zügen alles so wohl
„Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬ handlungen mit Buchhaͤndlern, einen Fehler und es that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber haben ſich die Umſtaͤnde ſo geaͤndert, daß ich einen großen Fehler begangen haben wuͤrde, wenn ich jenen nicht gemacht haͤtte. Dergleichen wiederholt ſich im Leben haͤufig, und Weltmenſchen, welche dieſes wiſſen, ſieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬ ſtigkeit zu Werke gehen.“
Ich merkte mir dieſe Beobachtung, die mir neu war. Ich brachte ſodann das Geſpraͤch auf einige ſei¬ ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis und Dora.
„An dieſem Gedicht, ſagte Goethe, tadelten die Menſchen den ſtarken leidenſchaftlichen Schluß und ver¬ langten, daß die Elegie ſanft und ruhig ausgehen ſolle, ohne jene eiferſuͤchtige Aufwallung; allein ich konnte nicht einſehen, daß jene Menſchen Recht haͤtten. Die Eiferſucht liegt hier ſo nahe und iſt ſo in der Sache, daß dem Gedicht etwas fehlen wuͤrde, wenn ſie nicht dawaͤre. Ich habe ſelbſt einen jungen Menſchen gekannt, der in leidenſchaftlicher Liebe zu einem ſchnell gewonne¬ nen Maͤdchen ausrief: aber wird ſie es nicht einem an¬ dern eben ſo machen wie mir?“
Ich ſtimmte Goethen vollkommen bey und erwaͤhnte ſodann der eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnde dieſer Elegie, wo in ſo kleinem Raum mit wenig Zuͤgen alles ſo wohl
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„Ich machte vor einiger Zeit, eben bey jenen Unter¬
handlungen mit Buchhaͤndlern, einen Fehler und es
that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber
haben ſich die Umſtaͤnde ſo geaͤndert, daß ich einen
großen Fehler begangen haben wuͤrde, wenn ich jenen
nicht gemacht haͤtte. Dergleichen wiederholt ſich im
Leben haͤufig, und Weltmenſchen, welche dieſes wiſſen,
ſieht man daher mit einer großen Frechheit und Drei¬
ſtigkeit zu Werke gehen.“
Ich merkte mir dieſe Beobachtung, die mir neu
war. Ich brachte ſodann das Geſpraͤch auf einige ſei¬
ner Werke und wir kamen auch auf die Elegie Alexis
und Dora.
„An dieſem Gedicht, ſagte Goethe, tadelten die
Menſchen den ſtarken leidenſchaftlichen Schluß und ver¬
langten, daß die Elegie ſanft und ruhig ausgehen ſolle,
ohne jene eiferſuͤchtige Aufwallung; allein ich konnte
nicht einſehen, daß jene Menſchen Recht haͤtten. Die
Eiferſucht liegt hier ſo nahe und iſt ſo in der Sache,
daß dem Gedicht etwas fehlen wuͤrde, wenn ſie nicht
dawaͤre. Ich habe ſelbſt einen jungen Menſchen gekannt,
der in leidenſchaftlicher Liebe zu einem ſchnell gewonne¬
nen Maͤdchen ausrief: aber wird ſie es nicht einem an¬
dern eben ſo machen wie mir?“
Ich ſtimmte Goethen vollkommen bey und erwaͤhnte
ſodann der eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnde dieſer Elegie, wo
in ſo kleinem Raum mit wenig Zuͤgen alles ſo wohl
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/249>, abgerufen am 21.11.2024.
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