chen darauf, so daß der Schein des Kerzenlichtes vom Stäbchen aus einen Schatten warf nach dem Lichte des Tages zu. "Nun, sagte Goethe, was sagen Sie zu diesem Schatten?" Der Schatten ist blau, antwor¬ tete ich. "Da hätten Sie also das Blaue wieder, sagte Goethe, aber auf dieser andern Seite des Stäb¬ chens nach der Kerze zu, was sehen Sie da?" Auch einen Schatten. "Aber von welcher Farbe?" Der Schatten ist ein röthliches Gelb, antwortete ich; doch wie entsteht dieses doppelte Phänomen? "Das ist nun Ihre Sache; sagte Goethe; sehen Sie zu, daß Sie es herausbringen. Zu finden ist es, aber es ist schwer. Sehen Sie nicht früher in meiner Farbenlehre nach, als bis Sie die Hoffnung aufgegeben haben, es selber her¬ auszubringen." Ich versprach dieses mit vieler Freude.
"Das Phänomen am untern Theile der Kerze, fuhr Goethe fort, wo ein durchsichtiges Helle vor die Fin¬ sterniß tritt und die blaue Farbe hervorbringt, will ich Ihnen jetzt in vergrößertem Maße zeigen." Er nahm einen Löffel, goß Spiritus hinein und zündete ihn an. Da entstand denn wieder ein durchsichtiges Helle, wo¬ durch die Finsterniß blau erschien. Wendete ich den brennenden Spiritus vor die Dunkelheit der Nacht, so nahm die Bläue an Kräftigkeit zu; hielt ich ihn ge¬ gen das Helle, so schwächte sie sich, oder verschwand gänzlich.
Ich hatte meine Freude an dem Phänomen. "Ja,
chen darauf, ſo daß der Schein des Kerzenlichtes vom Staͤbchen aus einen Schatten warf nach dem Lichte des Tages zu. „Nun, ſagte Goethe, was ſagen Sie zu dieſem Schatten?“ Der Schatten iſt blau, antwor¬ tete ich. „Da haͤtten Sie alſo das Blaue wieder, ſagte Goethe, aber auf dieſer andern Seite des Staͤb¬ chens nach der Kerze zu, was ſehen Sie da?“ Auch einen Schatten. „Aber von welcher Farbe?“ Der Schatten iſt ein roͤthliches Gelb, antwortete ich; doch wie entſteht dieſes doppelte Phaͤnomen? „Das iſt nun Ihre Sache; ſagte Goethe; ſehen Sie zu, daß Sie es herausbringen. Zu finden iſt es, aber es iſt ſchwer. Sehen Sie nicht fruͤher in meiner Farbenlehre nach, als bis Sie die Hoffnung aufgegeben haben, es ſelber her¬ auszubringen.“ Ich verſprach dieſes mit vieler Freude.
„Das Phaͤnomen am untern Theile der Kerze, fuhr Goethe fort, wo ein durchſichtiges Helle vor die Fin¬ ſterniß tritt und die blaue Farbe hervorbringt, will ich Ihnen jetzt in vergroͤßertem Maße zeigen.“ Er nahm einen Loͤffel, goß Spiritus hinein und zuͤndete ihn an. Da entſtand denn wieder ein durchſichtiges Helle, wo¬ durch die Finſterniß blau erſchien. Wendete ich den brennenden Spiritus vor die Dunkelheit der Nacht, ſo nahm die Blaͤue an Kraͤftigkeit zu; hielt ich ihn ge¬ gen das Helle, ſo ſchwaͤchte ſie ſich, oder verſchwand gaͤnzlich.
Ich hatte meine Freude an dem Phaͤnomen. „Ja,
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chen darauf, ſo daß der Schein des Kerzenlichtes vom
Staͤbchen aus einen Schatten warf nach dem Lichte
des Tages zu. „Nun, ſagte Goethe, was ſagen Sie
zu dieſem Schatten?“ Der Schatten iſt blau, antwor¬
tete ich. „Da haͤtten Sie alſo das Blaue wieder,
ſagte Goethe, aber auf dieſer andern Seite des Staͤb¬
chens nach der Kerze zu, was ſehen Sie da?“ Auch
einen Schatten. „Aber von welcher Farbe?“ Der
Schatten iſt ein roͤthliches Gelb, antwortete ich; doch
wie entſteht dieſes doppelte Phaͤnomen? „Das iſt nun
Ihre Sache; ſagte Goethe; ſehen Sie zu, daß Sie es
herausbringen. Zu finden iſt es, aber es iſt ſchwer.
Sehen Sie nicht fruͤher in meiner Farbenlehre nach, als
bis Sie die Hoffnung aufgegeben haben, es ſelber her¬
auszubringen.“ Ich verſprach dieſes mit vieler Freude.
„Das Phaͤnomen am untern Theile der Kerze, fuhr
Goethe fort, wo ein durchſichtiges Helle vor die Fin¬
ſterniß tritt und die blaue Farbe hervorbringt, will ich
Ihnen jetzt in vergroͤßertem Maße zeigen.“ Er nahm
einen Loͤffel, goß Spiritus hinein und zuͤndete ihn an.
Da entſtand denn wieder ein durchſichtiges Helle, wo¬
durch die Finſterniß blau erſchien. Wendete ich den
brennenden Spiritus vor die Dunkelheit der Nacht, ſo
nahm die Blaͤue an Kraͤftigkeit zu; hielt ich ihn ge¬
gen das Helle, ſo ſchwaͤchte ſie ſich, oder verſchwand
gaͤnzlich.
Ich hatte meine Freude an dem Phaͤnomen. „Ja,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/285>, abgerufen am 24.11.2024.
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