das Phänomen in vollkommener Schönheit da. Der Schatten nach dem Lichte zu zeigte sich entschieden gelb, der andere, nach dem Fenster zu, vollkommen blau.
"Nun, sagte Göthe, wie entsteht zunächst der blaue Schatten?" Ehe ich dieses erkläre, sagte ich, will ich das Grundgesetz aussprechen, aus dem ich beyde Erscheinun¬ gen ableite.
Licht und Finsterniß, sagte ich, sind keine Farben, sondern sie sind zwey Extreme, in deren Mitte die Far¬ ben liegen und entstehen, und zwar durch eine Modi¬ fication von beyden.
Den Extremen Licht und Finsterniß zunächst entste¬ hen die beyden Farben gelb und blau. Die gelbe an der Grenze des Lichtes, indem ich dieses durch ein Ge¬ trübtes, die blaue an der Grenze der Finsterniß, indem ich diese durch ein erleuchtetes Durchsichtige betrachte.
Kommen wir nun, fuhr ich fort, zu unserm Phä¬ nomen, so sehen wir, daß das Stäbchen vermöge der Gewalt des Kerzenlichtes einen entschiedenen Schatten wirft. Dieser Schatten würde als schwarze Finsterniß erscheinen, wenn ich die Läden schlösse und das Tages¬ licht absperrte. Nun aber dringt durch die offenen Fen¬ ster das Tageslicht frey herein und bildet ein erhelltes Medium, durch welches ich die Finsterniß des Schattens sehe, und so entsteht denn, dem Gesetze gemäß, die blaue Farbe. Goethe lachte. "Das wäre der blaue, sagte er; wie aber erklären Sie den gelben Schatten?"
das Phaͤnomen in vollkommener Schoͤnheit da. Der Schatten nach dem Lichte zu zeigte ſich entſchieden gelb, der andere, nach dem Fenſter zu, vollkommen blau.
„Nun, ſagte Goͤthe, wie entſteht zunaͤchſt der blaue Schatten?“ Ehe ich dieſes erklaͤre, ſagte ich, will ich das Grundgeſetz ausſprechen, aus dem ich beyde Erſcheinun¬ gen ableite.
Licht und Finſterniß, ſagte ich, ſind keine Farben, ſondern ſie ſind zwey Extreme, in deren Mitte die Far¬ ben liegen und entſtehen, und zwar durch eine Modi¬ fication von beyden.
Den Extremen Licht und Finſterniß zunaͤchſt entſte¬ hen die beyden Farben gelb und blau. Die gelbe an der Grenze des Lichtes, indem ich dieſes durch ein Ge¬ truͤbtes, die blaue an der Grenze der Finſterniß, indem ich dieſe durch ein erleuchtetes Durchſichtige betrachte.
Kommen wir nun, fuhr ich fort, zu unſerm Phaͤ¬ nomen, ſo ſehen wir, daß das Staͤbchen vermoͤge der Gewalt des Kerzenlichtes einen entſchiedenen Schatten wirft. Dieſer Schatten wuͤrde als ſchwarze Finſterniß erſcheinen, wenn ich die Laͤden ſchloͤſſe und das Tages¬ licht abſperrte. Nun aber dringt durch die offenen Fen¬ ſter das Tageslicht frey herein und bildet ein erhelltes Medium, durch welches ich die Finſterniß des Schattens ſehe, und ſo entſteht denn, dem Geſetze gemaͤß, die blaue Farbe. Goethe lachte. „Das waͤre der blaue, ſagte er; wie aber erklaͤren Sie den gelben Schatten?“
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das Phaͤnomen in vollkommener Schoͤnheit da. Der
Schatten nach dem Lichte zu zeigte ſich entſchieden gelb,
der andere, nach dem Fenſter zu, vollkommen blau.
„Nun, ſagte Goͤthe, wie entſteht zunaͤchſt der blaue
Schatten?“ Ehe ich dieſes erklaͤre, ſagte ich, will ich das
Grundgeſetz ausſprechen, aus dem ich beyde Erſcheinun¬
gen ableite.
Licht und Finſterniß, ſagte ich, ſind keine Farben,
ſondern ſie ſind zwey Extreme, in deren Mitte die Far¬
ben liegen und entſtehen, und zwar durch eine Modi¬
fication von beyden.
Den Extremen Licht und Finſterniß zunaͤchſt entſte¬
hen die beyden Farben gelb und blau. Die gelbe an
der Grenze des Lichtes, indem ich dieſes durch ein Ge¬
truͤbtes, die blaue an der Grenze der Finſterniß, indem
ich dieſe durch ein erleuchtetes Durchſichtige betrachte.
Kommen wir nun, fuhr ich fort, zu unſerm Phaͤ¬
nomen, ſo ſehen wir, daß das Staͤbchen vermoͤge der
Gewalt des Kerzenlichtes einen entſchiedenen Schatten
wirft. Dieſer Schatten wuͤrde als ſchwarze Finſterniß
erſcheinen, wenn ich die Laͤden ſchloͤſſe und das Tages¬
licht abſperrte. Nun aber dringt durch die offenen Fen¬
ſter das Tageslicht frey herein und bildet ein erhelltes
Medium, durch welches ich die Finſterniß des Schattens
ſehe, und ſo entſteht denn, dem Geſetze gemaͤß, die
blaue Farbe. Goethe lachte. „Das waͤre der blaue,
ſagte er; wie aber erklaͤren Sie den gelben Schatten?“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/291>, abgerufen am 24.11.2024.
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