Leben halten mögen. Es giebt in der Natur ein Zu¬ gängliches und ein Unzugängliches. Dieses unterscheide und bedenke man wohl und habe Respect. Es ist uns schon geholfen, wenn wir es überall nur wissen, wie¬ wohl es immer sehr schwer bleibt zu sehen, wo das Eine aufhört und das Andere beginnt. Wer es nicht weiß, quält sich vielleicht lebenslänglich am Unzugäng¬ lichen ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber weiß und klug ist, wird sich am Zugänglichen halten, und indem er in dieser Region nach allen Sei¬ ten geht und sich befestiget, wird er sogar auf diesem Wege dem Unzugänglichen etwas abgewinnen können, wiewohl er hier doch zuletzt gestehen wird, daß manchen Dingen nur bis zu einem gewissen Grade beyzukommen ist, und die Natur immer etwas Problematisches hinter sich behalte, welches zu ergründen die menschlichen Fähig¬ keiten nicht hinreichen."
Unter diesen Worten waren wir wieder in die Stadt hereingefahren. Das Gespräch lenkte sich auf unbedeu¬ tende Gegenstände, wobey jene hohen Ansichten noch eine Weile in meinem Innern fortleben konnten.
Wir waren zu früh zurückgekehrt, um sogleich an Tisch zu gehen, und Goethe zeigte mir vorher noch eine Landschaft von Rubens und zwar einen Sommer- Abend. Links im Vordergrunde sah man Feldarbeiter nach Hause gehen; in der Mitte des Bildes folgte eine Herde Schafe ihrem Hirten dem Dorfe zu; rechts tiefer
Leben halten moͤgen. Es giebt in der Natur ein Zu¬ gaͤngliches und ein Unzugaͤngliches. Dieſes unterſcheide und bedenke man wohl und habe Reſpect. Es iſt uns ſchon geholfen, wenn wir es uͤberall nur wiſſen, wie¬ wohl es immer ſehr ſchwer bleibt zu ſehen, wo das Eine aufhoͤrt und das Andere beginnt. Wer es nicht weiß, quaͤlt ſich vielleicht lebenslaͤnglich am Unzugaͤng¬ lichen ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber weiß und klug iſt, wird ſich am Zugaͤnglichen halten, und indem er in dieſer Region nach allen Sei¬ ten geht und ſich befeſtiget, wird er ſogar auf dieſem Wege dem Unzugaͤnglichen etwas abgewinnen koͤnnen, wiewohl er hier doch zuletzt geſtehen wird, daß manchen Dingen nur bis zu einem gewiſſen Grade beyzukommen iſt, und die Natur immer etwas Problematiſches hinter ſich behalte, welches zu ergruͤnden die menſchlichen Faͤhig¬ keiten nicht hinreichen.“
Unter dieſen Worten waren wir wieder in die Stadt hereingefahren. Das Geſpraͤch lenkte ſich auf unbedeu¬ tende Gegenſtaͤnde, wobey jene hohen Anſichten noch eine Weile in meinem Innern fortleben konnten.
Wir waren zu fruͤh zuruͤckgekehrt, um ſogleich an Tiſch zu gehen, und Goethe zeigte mir vorher noch eine Landſchaft von Rubens und zwar einen Sommer- Abend. Links im Vordergrunde ſah man Feldarbeiter nach Hauſe gehen; in der Mitte des Bildes folgte eine Herde Schafe ihrem Hirten dem Dorfe zu; rechts tiefer
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Leben halten moͤgen. Es giebt in der Natur ein Zu¬
gaͤngliches und ein Unzugaͤngliches. Dieſes unterſcheide
und bedenke man wohl und habe Reſpect. Es iſt uns
ſchon geholfen, wenn wir es uͤberall nur wiſſen, wie¬
wohl es immer ſehr ſchwer bleibt zu ſehen, wo das
Eine aufhoͤrt und das Andere beginnt. Wer es nicht
weiß, quaͤlt ſich vielleicht lebenslaͤnglich am Unzugaͤng¬
lichen ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer
es aber weiß und klug iſt, wird ſich am Zugaͤnglichen
halten, und indem er in dieſer Region nach allen Sei¬
ten geht und ſich befeſtiget, wird er ſogar auf dieſem
Wege dem Unzugaͤnglichen etwas abgewinnen koͤnnen,
wiewohl er hier doch zuletzt geſtehen wird, daß manchen
Dingen nur bis zu einem gewiſſen Grade beyzukommen
iſt, und die Natur immer etwas Problematiſches hinter
ſich behalte, welches zu ergruͤnden die menſchlichen Faͤhig¬
keiten nicht hinreichen.“
Unter dieſen Worten waren wir wieder in die Stadt
hereingefahren. Das Geſpraͤch lenkte ſich auf unbedeu¬
tende Gegenſtaͤnde, wobey jene hohen Anſichten noch
eine Weile in meinem Innern fortleben konnten.
Wir waren zu fruͤh zuruͤckgekehrt, um ſogleich an
Tiſch zu gehen, und Goethe zeigte mir vorher noch eine
Landſchaft von Rubens und zwar einen Sommer-
Abend. Links im Vordergrunde ſah man Feldarbeiter
nach Hauſe gehen; in der Mitte des Bildes folgte eine
Herde Schafe ihrem Hirten dem Dorfe zu; rechts tiefer
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/367>, abgerufen am 22.11.2024.
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