im Bilde stand ein Heuwagen, um welchen Arbeiter mit Aufladen beschäftigt waren, abgespannte Pferde graseten nebenbey; sodann abseits in Wiesen und Ge¬ büsch zerstreut weideten mehrere Stuten mit ihren Foh¬ len, denen man ansah, daß sie auch in der Nacht drau¬ ßen bleiben würden. Verschiedene Dörfer und eine Stadt schlossen den hellen Horizont des Bildes, worin man den Begriff von Thätigkeit und Ruhe auf das Anmuthigste ausgedrückt fand.
Das Ganze schien mir mit solcher Wahrheit zusam¬ men zu hängen und das Einzelne lag mir mit solcher Treue vor Augen, daß ich die Meinung äußerte: Ru¬ bens habe dieses Bild wohl ganz nach der Natur ab¬ geschrieben.
"Keineswegs, sagte Goethe; ein so vollkommenes Bild ist niemals in der Natur gesehen worden, sondern wir verdanken diese Composition dem poetischen Geiste des Malers. Aber der große Rubens hatte ein so außerordentliches Gedächtniß, daß er die ganze Natur im Kopfe trug und sie ihm in ihren Einzelnheiten im¬ mer zu Befehl war. Daher kommt diese Wahrheit des Ganzen und Einzelnen, so daß wir glauben, alles sey eine reine Copie nach der Natur. Jetzt wird eine solche Landschaft gar nicht mehr gemacht, diese Art zu em¬ pfinden und die Natur zu sehen, ist ganz verschwunden, es mangelt unsern Malern an Poesie."
"Und dann sind unsere jungen Talente sich selber
im Bilde ſtand ein Heuwagen, um welchen Arbeiter mit Aufladen beſchaͤftigt waren, abgeſpannte Pferde graſeten nebenbey; ſodann abſeits in Wieſen und Ge¬ buͤſch zerſtreut weideten mehrere Stuten mit ihren Foh¬ len, denen man anſah, daß ſie auch in der Nacht drau¬ ßen bleiben wuͤrden. Verſchiedene Doͤrfer und eine Stadt ſchloſſen den hellen Horizont des Bildes, worin man den Begriff von Thaͤtigkeit und Ruhe auf das Anmuthigſte ausgedruͤckt fand.
Das Ganze ſchien mir mit ſolcher Wahrheit zuſam¬ men zu haͤngen und das Einzelne lag mir mit ſolcher Treue vor Augen, daß ich die Meinung aͤußerte: Ru¬ bens habe dieſes Bild wohl ganz nach der Natur ab¬ geſchrieben.
„Keineswegs, ſagte Goethe; ein ſo vollkommenes Bild iſt niemals in der Natur geſehen worden, ſondern wir verdanken dieſe Compoſition dem poetiſchen Geiſte des Malers. Aber der große Rubens hatte ein ſo außerordentliches Gedaͤchtniß, daß er die ganze Natur im Kopfe trug und ſie ihm in ihren Einzelnheiten im¬ mer zu Befehl war. Daher kommt dieſe Wahrheit des Ganzen und Einzelnen, ſo daß wir glauben, alles ſey eine reine Copie nach der Natur. Jetzt wird eine ſolche Landſchaft gar nicht mehr gemacht, dieſe Art zu em¬ pfinden und die Natur zu ſehen, iſt ganz verſchwunden, es mangelt unſern Malern an Poeſie.“
„Und dann ſind unſere jungen Talente ſich ſelber
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im Bilde ſtand ein Heuwagen, um welchen Arbeiter
mit Aufladen beſchaͤftigt waren, abgeſpannte Pferde
graſeten nebenbey; ſodann abſeits in Wieſen und Ge¬
buͤſch zerſtreut weideten mehrere Stuten mit ihren Foh¬
len, denen man anſah, daß ſie auch in der Nacht drau¬
ßen bleiben wuͤrden. Verſchiedene Doͤrfer und eine
Stadt ſchloſſen den hellen Horizont des Bildes, worin
man den Begriff von Thaͤtigkeit und Ruhe auf das
Anmuthigſte ausgedruͤckt fand.
Das Ganze ſchien mir mit ſolcher Wahrheit zuſam¬
men zu haͤngen und das Einzelne lag mir mit ſolcher
Treue vor Augen, daß ich die Meinung aͤußerte: Ru¬
bens habe dieſes Bild wohl ganz nach der Natur ab¬
geſchrieben.
„Keineswegs, ſagte Goethe; ein ſo vollkommenes
Bild iſt niemals in der Natur geſehen worden, ſondern
wir verdanken dieſe Compoſition dem poetiſchen Geiſte
des Malers. Aber der große Rubens hatte ein ſo
außerordentliches Gedaͤchtniß, daß er die ganze Natur
im Kopfe trug und ſie ihm in ihren Einzelnheiten im¬
mer zu Befehl war. Daher kommt dieſe Wahrheit des
Ganzen und Einzelnen, ſo daß wir glauben, alles ſey
eine reine Copie nach der Natur. Jetzt wird eine ſolche
Landſchaft gar nicht mehr gemacht, dieſe Art zu em¬
pfinden und die Natur zu ſehen, iſt ganz verſchwunden,
es mangelt unſern Malern an Poeſie.“
„Und dann ſind unſere jungen Talente ſich ſelber
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/368>, abgerufen am 22.11.2024.
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