chen Sie ihn nicht mehr, denn was er Ihnen geben konnte, besitzen Sie schon. Wenn Sie einmal später etwas von ihm lesen wollen, so empfehle ich Ihnen seine Critik der Urtheilskraft, worin er die Rhetorik vortrefflich, die Poesie leidlich, die bildende Kunst aber unzulänglich behandelt hat,"
Haben Eure Excellenz je zu Kant ein persönliches Verhältniß gehabt? fragte ich.
"Nein, sagte Goethe. Kant hat nie von mir No¬ tiz genommen, wiewohl ich aus eigener Natur einen ähnlichen Weg ging als er. Meine Metamorphose der Pflanzen habe ich geschrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch ist sie ganz im Sinne seiner Lehre. Die Unterscheidung des Subjects vom Ob¬ ject, und ferner die Ansicht, daß jedes Geschöpf um sein selbst willen existirt und nicht etwa der Korkbaum gewachsen ist, damit wir unsere Flaschen propfen kön¬ nen, dieses hatte Kant mit mir gemein und ich freute mich ihm hierin zu begegnen. Später schrieb ich die Lehre vom Versuch, welche als Critik von Subject und Object und als Vermittelung von beyden anzu¬ sehen ist."
"Schiller pflegte mir immer das Studium der Kan¬ tischen Philosophie zu widerrathen. Er sagte gewöhnlich, Kant könne mir nichts geben. Er selbst studirte ihn dagegen eifrig, und ich habe ihn auch studirt und zwar nicht ohne Gewinn."
I. 23
chen Sie ihn nicht mehr, denn was er Ihnen geben konnte, beſitzen Sie ſchon. Wenn Sie einmal ſpaͤter etwas von ihm leſen wollen, ſo empfehle ich Ihnen ſeine Critik der Urtheilskraft, worin er die Rhetorik vortrefflich, die Poeſie leidlich, die bildende Kunſt aber unzulaͤnglich behandelt hat,“
Haben Eure Excellenz je zu Kant ein perſoͤnliches Verhaͤltniß gehabt? fragte ich.
„Nein, ſagte Goethe. Kant hat nie von mir No¬ tiz genommen, wiewohl ich aus eigener Natur einen aͤhnlichen Weg ging als er. Meine Metamorphoſe der Pflanzen habe ich geſchrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch iſt ſie ganz im Sinne ſeiner Lehre. Die Unterſcheidung des Subjects vom Ob¬ ject, und ferner die Anſicht, daß jedes Geſchoͤpf um ſein ſelbſt willen exiſtirt und nicht etwa der Korkbaum gewachſen iſt, damit wir unſere Flaſchen propfen koͤn¬ nen, dieſes hatte Kant mit mir gemein und ich freute mich ihm hierin zu begegnen. Spaͤter ſchrieb ich die Lehre vom Verſuch, welche als Critik von Subject und Object und als Vermittelung von beyden anzu¬ ſehen iſt.“
„Schiller pflegte mir immer das Studium der Kan¬ tiſchen Philoſophie zu widerrathen. Er ſagte gewoͤhnlich, Kant koͤnne mir nichts geben. Er ſelbſt ſtudirte ihn dagegen eifrig, und ich habe ihn auch ſtudirt und zwar nicht ohne Gewinn.“
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chen Sie ihn nicht mehr, denn was er Ihnen geben
konnte, beſitzen Sie ſchon. Wenn Sie einmal ſpaͤter
etwas von ihm leſen wollen, ſo empfehle ich Ihnen
ſeine Critik der Urtheilskraft, worin er die Rhetorik
vortrefflich, die Poeſie leidlich, die bildende Kunſt aber
unzulaͤnglich behandelt hat,“
Haben Eure Excellenz je zu Kant ein perſoͤnliches
Verhaͤltniß gehabt? fragte ich.
„Nein, ſagte Goethe. Kant hat nie von mir No¬
tiz genommen, wiewohl ich aus eigener Natur einen
aͤhnlichen Weg ging als er. Meine Metamorphoſe der
Pflanzen habe ich geſchrieben, ehe ich etwas von
Kant wußte, und doch iſt ſie ganz im Sinne ſeiner
Lehre. Die Unterſcheidung des Subjects vom Ob¬
ject, und ferner die Anſicht, daß jedes Geſchoͤpf um
ſein ſelbſt willen exiſtirt und nicht etwa der Korkbaum
gewachſen iſt, damit wir unſere Flaſchen propfen koͤn¬
nen, dieſes hatte Kant mit mir gemein und ich freute
mich ihm hierin zu begegnen. Spaͤter ſchrieb ich die
Lehre vom Verſuch, welche als Critik von Subject
und Object und als Vermittelung von beyden anzu¬
ſehen iſt.“
„Schiller pflegte mir immer das Studium der Kan¬
tiſchen Philoſophie zu widerrathen. Er ſagte gewoͤhnlich,
Kant koͤnne mir nichts geben. Er ſelbſt ſtudirte ihn
dagegen eifrig, und ich habe ihn auch ſtudirt und zwar
nicht ohne Gewinn.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/373>, abgerufen am 22.11.2024.
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