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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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gar nichts gesehen, und jetzt fast alle Stücke auf mich
eine ganz frische Wirkung ausübten. Ja, fügte ich
hinzu, es ist mit mir so arg, daß es mich heute sogar
in Unruhe und Zwiespalt gebracht hat, obgleich mir bey
Ihnen eine so bedeutende, Abendunterhaltung bevorsteht.

"Wissen Sie was? sagte Goethe darauf, indem er
stille stand und mich groß und freundlich ansah, gehen
Sie hin! geniren Sie sich nicht! ist Ihnen das heitere
Stück diesen Abend vielleicht bequemer, Ihren Zuständen
angemessener, so gehen Sie hin. Bey mir haben Sie
Musik, das werden Sie noch öfter haben." Ja, sagte
ich, so will ich hingehen, es wird mir überdieß vielleicht
besser seyn, daß ich lache. "Nun, sagte Goethe, so
bleiben Sie bis gegen sechs Uhr bey mir, da können wir
noch ein Wörtchen reden."

Stadelmann brachte zwey Wachslichter, die er auf
Goethes Arbeitstisch stellte. Goethe ersuchte mich, vor
den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu
lesen geben. Und was legte er mir vor? Sein neuestes,
liebstes Gedicht, seine Elegie von Marienbad.

Ich muß hier in Bezug auf den Inhalt dieses Ge¬
dichts Einiges nachholen. Gleich nach Goethe's die߬
maliger Zurückkunft aus genanntem Badeort verbreitete
sich hier die Sage, er habe dort die Bekanntschaft einer
an Körper und Geist gleich liebenswürdigen jungen
Dame gemacht und zu ihr eine leidenschaftliche Neigung
gefaßt. Wenn er in der Brunnen-Allee ihre Stimme ge¬

gar nichts geſehen, und jetzt faſt alle Stuͤcke auf mich
eine ganz friſche Wirkung ausuͤbten. Ja, fuͤgte ich
hinzu, es iſt mit mir ſo arg, daß es mich heute ſogar
in Unruhe und Zwieſpalt gebracht hat, obgleich mir bey
Ihnen eine ſo bedeutende, Abendunterhaltung bevorſteht.

„Wiſſen Sie was? ſagte Goethe darauf, indem er
ſtille ſtand und mich groß und freundlich anſah, gehen
Sie hin! geniren Sie ſich nicht! iſt Ihnen das heitere
Stuͤck dieſen Abend vielleicht bequemer, Ihren Zuſtaͤnden
angemeſſener, ſo gehen Sie hin. Bey mir haben Sie
Muſik, das werden Sie noch oͤfter haben.“ Ja, ſagte
ich, ſo will ich hingehen, es wird mir uͤberdieß vielleicht
beſſer ſeyn, daß ich lache. „Nun, ſagte Goethe, ſo
bleiben Sie bis gegen ſechs Uhr bey mir, da koͤnnen wir
noch ein Woͤrtchen reden.“

Stadelmann brachte zwey Wachslichter, die er auf
Goethes Arbeitstiſch ſtellte. Goethe erſuchte mich, vor
den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu
leſen geben. Und was legte er mir vor? Sein neueſtes,
liebſtes Gedicht, ſeine Elegie von Marienbad.

Ich muß hier in Bezug auf den Inhalt dieſes Ge¬
dichts Einiges nachholen. Gleich nach Goethe's die߬
maliger Zuruͤckkunft aus genanntem Badeort verbreitete
ſich hier die Sage, er habe dort die Bekanntſchaft einer
an Koͤrper und Geiſt gleich liebenswuͤrdigen jungen
Dame gemacht und zu ihr eine leidenſchaftliche Neigung
gefaßt. Wenn er in der Brunnen-Allee ihre Stimme ge¬

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[70/0090] gar nichts geſehen, und jetzt faſt alle Stuͤcke auf mich eine ganz friſche Wirkung ausuͤbten. Ja, fuͤgte ich hinzu, es iſt mit mir ſo arg, daß es mich heute ſogar in Unruhe und Zwieſpalt gebracht hat, obgleich mir bey Ihnen eine ſo bedeutende, Abendunterhaltung bevorſteht. „Wiſſen Sie was? ſagte Goethe darauf, indem er ſtille ſtand und mich groß und freundlich anſah, gehen Sie hin! geniren Sie ſich nicht! iſt Ihnen das heitere Stuͤck dieſen Abend vielleicht bequemer, Ihren Zuſtaͤnden angemeſſener, ſo gehen Sie hin. Bey mir haben Sie Muſik, das werden Sie noch oͤfter haben.“ Ja, ſagte ich, ſo will ich hingehen, es wird mir uͤberdieß vielleicht beſſer ſeyn, daß ich lache. „Nun, ſagte Goethe, ſo bleiben Sie bis gegen ſechs Uhr bey mir, da koͤnnen wir noch ein Woͤrtchen reden.“ Stadelmann brachte zwey Wachslichter, die er auf Goethes Arbeitstiſch ſtellte. Goethe erſuchte mich, vor den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu leſen geben. Und was legte er mir vor? Sein neueſtes, liebſtes Gedicht, ſeine Elegie von Marienbad. Ich muß hier in Bezug auf den Inhalt dieſes Ge¬ dichts Einiges nachholen. Gleich nach Goethe's die߬ maliger Zuruͤckkunft aus genanntem Badeort verbreitete ſich hier die Sage, er habe dort die Bekanntſchaft einer an Koͤrper und Geiſt gleich liebenswuͤrdigen jungen Dame gemacht und zu ihr eine leidenſchaftliche Neigung gefaßt. Wenn er in der Brunnen-Allee ihre Stimme ge¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/90>, abgerufen am 24.11.2024.