Goethe sprach darauf viel über die Franzosen, beson¬ ders über Cousin, Villemain und Guizot. "Die Einsicht, Umsicht und Durchsicht dieser Männer, sagte er, ist groß; sie verbinden vollkommene Kenntniß des Vergangenen, mit dem Geist des neunzehnten Jahrhun¬ derts, welches denn freylich Wunder thut."
Von diesen kamen wir auf die neuesten französischen Dichter und auf die Bedeutung von classisch und romantisch. "Mir ist ein neuer Ausdruck eingefallen, sagte Goethe, der das Verhältniß nicht übel bezeichnet. Das Classische nenne ich das Gesunde, und das Ro¬ mantische das Kranke. Und da sind die Nibelungen classisch wie der Homer, denn beyde sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht classisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. Wenn wir nach solchen Qualitäten Classisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im Reinen seyn."
Das Gespräch lenkte sich auf Berangers Gefan¬ genschaft. "Es geschieht ihm ganz Recht, sagt Goethe. Seine letzten Gedichte sind wirklich ohne Zucht und Ord¬ nung, und er hat gegen König, Staat und friedlichen Bürgersinn seine Strafe vollkommen verwirkt. Seine früheren Gedichte dagegen sind heiter und harmlos, und ganz geeignet, einen Zirkel froher glücklicher Menschen
Goethe ſprach darauf viel uͤber die Franzoſen, beſon¬ ders uͤber Couſin, Villemain und Guizot. „Die Einſicht, Umſicht und Durchſicht dieſer Maͤnner, ſagte er, iſt groß; ſie verbinden vollkommene Kenntniß des Vergangenen, mit dem Geiſt des neunzehnten Jahrhun¬ derts, welches denn freylich Wunder thut.“
Von dieſen kamen wir auf die neueſten franzoͤſiſchen Dichter und auf die Bedeutung von claſſiſch und romantiſch. „Mir iſt ein neuer Ausdruck eingefallen, ſagte Goethe, der das Verhaͤltniß nicht uͤbel bezeichnet. Das Claſſiſche nenne ich das Geſunde, und das Ro¬ mantiſche das Kranke. Und da ſind die Nibelungen claſſiſch wie der Homer, denn beyde ſind geſund und tuͤchtig. Das meiſte Neuere iſt nicht romantiſch, weil es neu, ſondern weil es ſchwach, kraͤnklich und krank iſt, und das Alte iſt nicht claſſiſch, weil es alt, ſondern weil es ſtark, friſch, froh und geſund iſt. Wenn wir nach ſolchen Qualitaͤten Claſſiſches und Romantiſches unterſcheiden, ſo werden wir bald im Reinen ſeyn.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf Bérangers Gefan¬ genſchaft. „Es geſchieht ihm ganz Recht, ſagt Goethe. Seine letzten Gedichte ſind wirklich ohne Zucht und Ord¬ nung, und er hat gegen Koͤnig, Staat und friedlichen Buͤrgerſinn ſeine Strafe vollkommen verwirkt. Seine fruͤheren Gedichte dagegen ſind heiter und harmlos, und ganz geeignet, einen Zirkel froher gluͤcklicher Menſchen
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Goethe ſprach darauf viel uͤber die Franzoſen, beſon¬
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Einſicht, Umſicht und Durchſicht dieſer Maͤnner, ſagte
er, iſt groß; ſie verbinden vollkommene Kenntniß des
Vergangenen, mit dem Geiſt des neunzehnten Jahrhun¬
derts, welches denn freylich Wunder thut.“
Von dieſen kamen wir auf die neueſten franzoͤſiſchen
Dichter und auf die Bedeutung von claſſiſch und
romantiſch. „Mir iſt ein neuer Ausdruck eingefallen,
ſagte Goethe, der das Verhaͤltniß nicht uͤbel bezeichnet.
Das Claſſiſche nenne ich das Geſunde, und das Ro¬
mantiſche das Kranke. Und da ſind die Nibelungen
claſſiſch wie der Homer, denn beyde ſind geſund und
tuͤchtig. Das meiſte Neuere iſt nicht romantiſch, weil
es neu, ſondern weil es ſchwach, kraͤnklich und krank iſt,
und das Alte iſt nicht claſſiſch, weil es alt, ſondern
weil es ſtark, friſch, froh und geſund iſt. Wenn wir
nach ſolchen Qualitaͤten Claſſiſches und Romantiſches
unterſcheiden, ſo werden wir bald im Reinen ſeyn.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf B é rangers Gefan¬
genſchaft. „Es geſchieht ihm ganz Recht, ſagt Goethe.
Seine letzten Gedichte ſind wirklich ohne Zucht und Ord¬
nung, und er hat gegen Koͤnig, Staat und friedlichen
Buͤrgerſinn ſeine Strafe vollkommen verwirkt. Seine
fruͤheren Gedichte dagegen ſind heiter und harmlos, und
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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