"Beym verstorbenen Großherzog war es in dem Grade, daß niemand ihm widerstehen konnte. Er übte auf die Menschen eine Anziehung durch seine ruhige Gegenwart, ohne daß er sich eben gütig und freundlich zu erweisen brauchte. Alles, was ich auf seinen Rath unternahm, glückte mir, so daß ich in Fällen, wo mein Verstand und meine Vernunft nicht hinreichte, ihn nur zu fragen brauchte was zu thun sey, wo er es denn instinktmäßig aussprach, und ich immer im Voraus eines guten Erfolgs gewiß seyn konnte."
"Ihm wäre zu gönnen gewesen, daß er sich meiner Ideen und höheren Bestrebungen hätte bemächtigen kön¬ nen; denn wenn ihn der dämonische Geist verließ, und nur das Menschliche zurückblieb, so wußte er mit sich nichts anzufangen und er war übel daran."
"Auch in Byron mag das Dämonische in hohem Grade wirksam gewesen seyn, weßhalb er auch die Attrac¬ tiva in großer Maße besessen, so daß ihm denn beson¬ ders die Frauen nicht haben widerstehen können."
In die Idee vom Göttlichen, sagte ich versuchend, scheint die wirkende Kraft, die wir das Dämonische nen¬ nen, nicht einzugehen.
"Liebes Kind, sagte Goethe, was wissen wir denn von der Idee des Göttlichen, und was wollen denn unsere engen Begriffe vom höchsten Wesen sagen! Wollte ich es, gleich einem Türken, mit hundert Namen nen¬ nen, so würde ich doch noch zu kurz kommen, und im
„Beym verſtorbenen Großherzog war es in dem Grade, daß niemand ihm widerſtehen konnte. Er uͤbte auf die Menſchen eine Anziehung durch ſeine ruhige Gegenwart, ohne daß er ſich eben guͤtig und freundlich zu erweiſen brauchte. Alles, was ich auf ſeinen Rath unternahm, gluͤckte mir, ſo daß ich in Faͤllen, wo mein Verſtand und meine Vernunft nicht hinreichte, ihn nur zu fragen brauchte was zu thun ſey, wo er es denn inſtinktmaͤßig ausſprach, und ich immer im Voraus eines guten Erfolgs gewiß ſeyn konnte.“
„Ihm waͤre zu goͤnnen geweſen, daß er ſich meiner Ideen und hoͤheren Beſtrebungen haͤtte bemaͤchtigen koͤn¬ nen; denn wenn ihn der daͤmoniſche Geiſt verließ, und nur das Menſchliche zuruͤckblieb, ſo wußte er mit ſich nichts anzufangen und er war uͤbel daran.“
„Auch in Byron mag das Daͤmoniſche in hohem Grade wirkſam geweſen ſeyn, weßhalb er auch die Attrac¬ tiva in großer Maße beſeſſen, ſo daß ihm denn beſon¬ ders die Frauen nicht haben widerſtehen koͤnnen.“
In die Idee vom Goͤttlichen, ſagte ich verſuchend, ſcheint die wirkende Kraft, die wir das Daͤmoniſche nen¬ nen, nicht einzugehen.
„Liebes Kind, ſagte Goethe, was wiſſen wir denn von der Idee des Goͤttlichen, und was wollen denn unſere engen Begriffe vom hoͤchſten Weſen ſagen! Wollte ich es, gleich einem Tuͤrken, mit hundert Namen nen¬ nen, ſo wuͤrde ich doch noch zu kurz kommen, und im
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„Beym verſtorbenen Großherzog war es in dem
Grade, daß niemand ihm widerſtehen konnte. Er uͤbte
auf die Menſchen eine Anziehung durch ſeine ruhige
Gegenwart, ohne daß er ſich eben guͤtig und freundlich
zu erweiſen brauchte. Alles, was ich auf ſeinen Rath
unternahm, gluͤckte mir, ſo daß ich in Faͤllen, wo mein
Verſtand und meine Vernunft nicht hinreichte, ihn nur
zu fragen brauchte was zu thun ſey, wo er es denn
inſtinktmaͤßig ausſprach, und ich immer im Voraus eines
guten Erfolgs gewiß ſeyn konnte.“
„Ihm waͤre zu goͤnnen geweſen, daß er ſich meiner
Ideen und hoͤheren Beſtrebungen haͤtte bemaͤchtigen koͤn¬
nen; denn wenn ihn der daͤmoniſche Geiſt verließ, und
nur das Menſchliche zuruͤckblieb, ſo wußte er mit ſich
nichts anzufangen und er war uͤbel daran.“
„Auch in Byron mag das Daͤmoniſche in hohem
Grade wirkſam geweſen ſeyn, weßhalb er auch die Attrac¬
tiva in großer Maße beſeſſen, ſo daß ihm denn beſon¬
ders die Frauen nicht haben widerſtehen koͤnnen.“
In die Idee vom Goͤttlichen, ſagte ich verſuchend,
ſcheint die wirkende Kraft, die wir das Daͤmoniſche nen¬
nen, nicht einzugehen.
„Liebes Kind, ſagte Goethe, was wiſſen wir denn
von der Idee des Goͤttlichen, und was wollen denn
unſere engen Begriffe vom hoͤchſten Weſen ſagen! Wollte
ich es, gleich einem Tuͤrken, mit hundert Namen nen¬
nen, ſo wuͤrde ich doch noch zu kurz kommen, und im
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/313>, abgerufen am 24.11.2024.
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