Goethe, ist darin eine vollständige Welt entwickelt. Wir sehen Hirten aller Art, Feldbautreibende, Gärtner, Win¬ zer, Schiffer, Räuber, Krieger und vornehme Städter, große Herren und Leibeigene."
Auch erblicken wir darin, sagte ich, den Menschen auf allen seinen Lebensstufen, von der Geburt herauf bis ins Alter; auch alle häuslichen Zustände, wie die wechselnden Jahreszeiten sie mit sich führen, gehen an unseren Augen vorüber.
"Und nun die Landschaft! sagte Goethe, die mit wenigen Strichen so entschieden gezeichnet ist, daß wir in der Höhe hinter den Personen Weinberge, Äcker und Obstgärten sehen, unten die Weideplätze mit dem Fluß und ein wenig Waldung, so wie das ausgedehnte Meer in der Ferne. Und keine Spur von trüben Tagen, von Nebel, Wolken und Feuchtigkeit, sondern immer der blaueste reinste Himmel, die anmuthigste Luft und ein beständig trockener Boden, so daß man sich überall nackend hinlegen möchte."
"Das ganze Gedicht, fuhr Goethe fort, verräth die höchste Kunst und Cultur. Es ist so durchdacht, daß darin kein Motiv fehlt, und alle von der gründlichsten besten Art sind, wie z. B. das von dem Schatz bey dem stinkenden Delphin am Meeresufer. Und ein Ge¬ schmack und eine Vollkommenheit und Delicatesse der Empfindung, die sich dem Besten gleichstellt das je ge¬ macht worden. Alles Widerwärtige, was von Außen
Goethe, iſt darin eine vollſtaͤndige Welt entwickelt. Wir ſehen Hirten aller Art, Feldbautreibende, Gaͤrtner, Win¬ zer, Schiffer, Raͤuber, Krieger und vornehme Staͤdter, große Herren und Leibeigene.“
Auch erblicken wir darin, ſagte ich, den Menſchen auf allen ſeinen Lebensſtufen, von der Geburt herauf bis ins Alter; auch alle haͤuslichen Zuſtaͤnde, wie die wechſelnden Jahreszeiten ſie mit ſich fuͤhren, gehen an unſeren Augen voruͤber.
„Und nun die Landſchaft! ſagte Goethe, die mit wenigen Strichen ſo entſchieden gezeichnet iſt, daß wir in der Hoͤhe hinter den Perſonen Weinberge, Äcker und Obſtgaͤrten ſehen, unten die Weideplaͤtze mit dem Fluß und ein wenig Waldung, ſo wie das ausgedehnte Meer in der Ferne. Und keine Spur von truͤben Tagen, von Nebel, Wolken und Feuchtigkeit, ſondern immer der blaueſte reinſte Himmel, die anmuthigſte Luft und ein beſtaͤndig trockener Boden, ſo daß man ſich uͤberall nackend hinlegen moͤchte.“
„Das ganze Gedicht, fuhr Goethe fort, verraͤth die hoͤchſte Kunſt und Cultur. Es iſt ſo durchdacht, daß darin kein Motiv fehlt, und alle von der gruͤndlichſten beſten Art ſind, wie z. B. das von dem Schatz bey dem ſtinkenden Delphin am Meeresufer. Und ein Ge¬ ſchmack und eine Vollkommenheit und Delicateſſe der Empfindung, die ſich dem Beſten gleichſtellt das je ge¬ macht worden. Alles Widerwaͤrtige, was von Außen
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Goethe, iſt darin eine vollſtaͤndige Welt entwickelt. Wir
ſehen Hirten aller Art, Feldbautreibende, Gaͤrtner, Win¬
zer, Schiffer, Raͤuber, Krieger und vornehme Staͤdter,
große Herren und Leibeigene.“
Auch erblicken wir darin, ſagte ich, den Menſchen
auf allen ſeinen Lebensſtufen, von der Geburt herauf
bis ins Alter; auch alle haͤuslichen Zuſtaͤnde, wie die
wechſelnden Jahreszeiten ſie mit ſich fuͤhren, gehen an
unſeren Augen voruͤber.
„Und nun die Landſchaft! ſagte Goethe, die mit
wenigen Strichen ſo entſchieden gezeichnet iſt, daß wir
in der Hoͤhe hinter den Perſonen Weinberge, Äcker und
Obſtgaͤrten ſehen, unten die Weideplaͤtze mit dem Fluß
und ein wenig Waldung, ſo wie das ausgedehnte Meer
in der Ferne. Und keine Spur von truͤben Tagen, von
Nebel, Wolken und Feuchtigkeit, ſondern immer der
blaueſte reinſte Himmel, die anmuthigſte Luft und ein
beſtaͤndig trockener Boden, ſo daß man ſich uͤberall
nackend hinlegen moͤchte.“
„Das ganze Gedicht, fuhr Goethe fort, verraͤth die
hoͤchſte Kunſt und Cultur. Es iſt ſo durchdacht, daß
darin kein Motiv fehlt, und alle von der gruͤndlichſten
beſten Art ſind, wie z. B. das von dem Schatz bey
dem ſtinkenden Delphin am Meeresufer. Und ein Ge¬
ſchmack und eine Vollkommenheit und Delicateſſe der
Empfindung, die ſich dem Beſten gleichſtellt das je ge¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/329>, abgerufen am 24.11.2024.
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