Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

"Man müßte ein ganzes Buch schreiben, um alle
großen Verdienste dieses Gedichts nach Würden zu
schätzen. Man thut wohl, es alle Jahr einmal zu le¬
sen, um immer wieder daran zu lernen, und den Ein¬
druck seiner großen Schönheit aufs neue zu empfinden."


Wir sprachen über politische Dinge, über die noch
immer fortwährenden Unruhen in Paris, und den Wahn
der jungen Leute, in die höchsten Angelegenheiten des
Staates mit einwirken zu wollen.

Auch in England, sagte ich, haben die Studenten
vor einigen Jahren bey Entscheidung der katholischen
Frage durch Einreichung von Bittschriften einen Einfluß
zu erlangen versucht; allein man hat sie ausgelacht und
nicht weiter davon Notiz genommen.

"Das Beyspiel von Napoleon, sagte Goethe,
hat besonders in den jungen Leuten von Frankreich, die
unter jenem Helden heraufwuchsen, den Egoismus auf¬
geregt, und sie werden nicht eher ruhen, als bis wieder
ein großer Despot unter ihnen aufsteht, in welchem sie
das auf der höchsten Stufe sehen, was sie selber zu seyn
wünschen. Es ist nur das Schlimme, daß ein Mann
wie Napoleon nicht sobald wieder geboren wird, und
ich fürchte fast, daß noch einige hunderttausend Men¬

II. 21

„Man muͤßte ein ganzes Buch ſchreiben, um alle
großen Verdienſte dieſes Gedichts nach Wuͤrden zu
ſchaͤtzen. Man thut wohl, es alle Jahr einmal zu le¬
ſen, um immer wieder daran zu lernen, und den Ein¬
druck ſeiner großen Schoͤnheit aufs neue zu empfinden.“


Wir ſprachen uͤber politiſche Dinge, uͤber die noch
immer fortwaͤhrenden Unruhen in Paris, und den Wahn
der jungen Leute, in die hoͤchſten Angelegenheiten des
Staates mit einwirken zu wollen.

Auch in England, ſagte ich, haben die Studenten
vor einigen Jahren bey Entſcheidung der katholiſchen
Frage durch Einreichung von Bittſchriften einen Einfluß
zu erlangen verſucht; allein man hat ſie ausgelacht und
nicht weiter davon Notiz genommen.

„Das Beyſpiel von Napoleon, ſagte Goethe,
hat beſonders in den jungen Leuten von Frankreich, die
unter jenem Helden heraufwuchſen, den Egoismus auf¬
geregt, und ſie werden nicht eher ruhen, als bis wieder
ein großer Despot unter ihnen aufſteht, in welchem ſie
das auf der hoͤchſten Stufe ſehen, was ſie ſelber zu ſeyn
wuͤnſchen. Es iſt nur das Schlimme, daß ein Mann
wie Napoleon nicht ſobald wieder geboren wird, und
ich fuͤrchte faſt, daß noch einige hunderttauſend Men¬

II. 21
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0331" n="321"/>
          <p>&#x201E;Man mu&#x0364;ßte ein ganzes Buch &#x017F;chreiben, um alle<lb/>
großen Verdien&#x017F;te die&#x017F;es Gedichts nach Wu&#x0364;rden zu<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzen. Man thut wohl, es alle Jahr einmal zu le¬<lb/>
&#x017F;en, um immer wieder daran zu lernen, und den Ein¬<lb/>
druck &#x017F;einer großen Scho&#x0364;nheit aufs neue zu empfinden.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Montag den 21. Ma&#x0364;rz 1831.<lb/></dateline>
          <p>Wir &#x017F;prachen u&#x0364;ber politi&#x017F;che Dinge, u&#x0364;ber die noch<lb/>
immer fortwa&#x0364;hrenden Unruhen in Paris, und den Wahn<lb/>
der jungen Leute, in die ho&#x0364;ch&#x017F;ten Angelegenheiten des<lb/>
Staates mit einwirken zu wollen.</p><lb/>
          <p>Auch in England, &#x017F;agte ich, haben die Studenten<lb/>
vor einigen Jahren bey Ent&#x017F;cheidung der katholi&#x017F;chen<lb/>
Frage durch Einreichung von Bitt&#x017F;chriften einen Einfluß<lb/>
zu erlangen ver&#x017F;ucht; allein man hat &#x017F;ie ausgelacht und<lb/>
nicht weiter davon Notiz genommen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das Bey&#x017F;piel von <hi rendition="#g">Napoleon</hi>, &#x017F;agte Goethe,<lb/>
hat be&#x017F;onders in den jungen Leuten von Frankreich, die<lb/>
unter jenem Helden heraufwuch&#x017F;en, den Egoismus auf¬<lb/>
geregt, und &#x017F;ie werden nicht eher ruhen, als bis wieder<lb/>
ein großer Despot unter ihnen auf&#x017F;teht, in welchem &#x017F;ie<lb/>
das auf der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Stufe &#x017F;ehen, was &#x017F;ie &#x017F;elber zu &#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen. Es i&#x017F;t nur das Schlimme, daß ein Mann<lb/>
wie Napoleon nicht &#x017F;obald wieder geboren wird, und<lb/>
ich fu&#x0364;rchte fa&#x017F;t, daß noch einige hunderttau&#x017F;end Men¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi>. 21<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0331] „Man muͤßte ein ganzes Buch ſchreiben, um alle großen Verdienſte dieſes Gedichts nach Wuͤrden zu ſchaͤtzen. Man thut wohl, es alle Jahr einmal zu le¬ ſen, um immer wieder daran zu lernen, und den Ein¬ druck ſeiner großen Schoͤnheit aufs neue zu empfinden.“ Montag den 21. Maͤrz 1831. Wir ſprachen uͤber politiſche Dinge, uͤber die noch immer fortwaͤhrenden Unruhen in Paris, und den Wahn der jungen Leute, in die hoͤchſten Angelegenheiten des Staates mit einwirken zu wollen. Auch in England, ſagte ich, haben die Studenten vor einigen Jahren bey Entſcheidung der katholiſchen Frage durch Einreichung von Bittſchriften einen Einfluß zu erlangen verſucht; allein man hat ſie ausgelacht und nicht weiter davon Notiz genommen. „Das Beyſpiel von Napoleon, ſagte Goethe, hat beſonders in den jungen Leuten von Frankreich, die unter jenem Helden heraufwuchſen, den Egoismus auf¬ geregt, und ſie werden nicht eher ruhen, als bis wieder ein großer Despot unter ihnen aufſteht, in welchem ſie das auf der hoͤchſten Stufe ſehen, was ſie ſelber zu ſeyn wuͤnſchen. Es iſt nur das Schlimme, daß ein Mann wie Napoleon nicht ſobald wieder geboren wird, und ich fuͤrchte faſt, daß noch einige hunderttauſend Men¬ II. 21

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/331
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/331>, abgerufen am 24.11.2024.