Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.man es nicht in höherem Grade seyn kann. Von der Wir redeten sodann über den Unterschied des deut¬ Voltaire, sagte ich, hat doch nach deutschen Be¬ "In diesem hohen Falle, sagte Goethe, drücken sie Ich lese jetzt einen Band von Diderot, sagte 21 *
man es nicht in hoͤherem Grade ſeyn kann. Von der Wir redeten ſodann uͤber den Unterſchied des deut¬ Voltaire, ſagte ich, hat doch nach deutſchen Be¬ „In dieſem hohen Falle, ſagte Goethe, druͤcken ſie Ich leſe jetzt einen Band von Diderot, ſagte 21 *
<TEI> <text> <body> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0333" n="323"/> man es nicht in hoͤherem Grade ſeyn kann. Von der<lb/> Beſchuldigung des Tintenflecks ſcheint er ſich indeß nicht<lb/> ganz zu reinigen, auch iſt er in ſeiner ganzen Richtung<lb/> nicht poſitiv genug, als daß man ihn durchaus loben<lb/> koͤnnte. Er liegt mit der ganzen Welt im Streit, und<lb/> es iſt nicht wohl anzunehmen, daß nicht auch etwas<lb/> Schuld und etwas Unrecht an ihm ſelber ſeyn ſollte.“</p><lb/> <p>Wir redeten ſodann uͤber den Unterſchied des deut¬<lb/> ſchen Begriffes von <hi rendition="#g">Geiſt</hi> und des franzoͤſiſchen <hi rendition="#aq">esprit</hi>.<lb/> „Das franzoͤſiſche <hi rendition="#aq">esprit</hi>, ſagte Goethe, kommt dem<lb/> nahe, was wir Deutſchen <hi rendition="#g">Witz</hi> nennen. Unſer <hi rendition="#g">Geiſt</hi><lb/> wuͤrden die Franzoſen vielleicht durch <hi rendition="#aq">esprit</hi> und <hi rendition="#aq">ame</hi><lb/> ausdruͤcken. Es liegt darin zugleich der Begriff von<lb/> Productivitaͤt, welchen das franzoͤſiſche <hi rendition="#aq">esprit</hi> nicht hat.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Voltaire</hi>, ſagte ich, hat doch nach deutſchen Be¬<lb/> griffen dasjenige, was wir Geiſt nennen. Und da nun<lb/> das franzoͤſiſche <hi rendition="#aq">esprit</hi> nicht hinreicht, was ſagen nun<lb/> die Franzoſen?</p><lb/> <p>„In dieſem hohen Falle, ſagte Goethe, druͤcken ſie<lb/> es durch <hi rendition="#aq">génie</hi> aus.“</p><lb/> <p>Ich leſe jetzt einen Band von <hi rendition="#g">Diderot</hi>, ſagte<lb/> ich, und bin erſtaunt uͤber das außerordentliche Talent<lb/> dieſes Mannes. Und welche Kenntniſſe, und welche<lb/> Gewalt der Rede! Man ſieht in eine große bewegte<lb/> Welt, wo Einer dem Andern zu ſchaffen machte, und<lb/> Geiſt und Character ſo in beſtaͤndiger Übung erhalten<lb/> wurden, daß beyde gewandt und ſtark werden mußten.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">21 *<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [323/0333]
man es nicht in hoͤherem Grade ſeyn kann. Von der
Beſchuldigung des Tintenflecks ſcheint er ſich indeß nicht
ganz zu reinigen, auch iſt er in ſeiner ganzen Richtung
nicht poſitiv genug, als daß man ihn durchaus loben
koͤnnte. Er liegt mit der ganzen Welt im Streit, und
es iſt nicht wohl anzunehmen, daß nicht auch etwas
Schuld und etwas Unrecht an ihm ſelber ſeyn ſollte.“
Wir redeten ſodann uͤber den Unterſchied des deut¬
ſchen Begriffes von Geiſt und des franzoͤſiſchen esprit.
„Das franzoͤſiſche esprit, ſagte Goethe, kommt dem
nahe, was wir Deutſchen Witz nennen. Unſer Geiſt
wuͤrden die Franzoſen vielleicht durch esprit und ame
ausdruͤcken. Es liegt darin zugleich der Begriff von
Productivitaͤt, welchen das franzoͤſiſche esprit nicht hat.“
Voltaire, ſagte ich, hat doch nach deutſchen Be¬
griffen dasjenige, was wir Geiſt nennen. Und da nun
das franzoͤſiſche esprit nicht hinreicht, was ſagen nun
die Franzoſen?
„In dieſem hohen Falle, ſagte Goethe, druͤcken ſie
es durch génie aus.“
Ich leſe jetzt einen Band von Diderot, ſagte
ich, und bin erſtaunt uͤber das außerordentliche Talent
dieſes Mannes. Und welche Kenntniſſe, und welche
Gewalt der Rede! Man ſieht in eine große bewegte
Welt, wo Einer dem Andern zu ſchaffen machte, und
Geiſt und Character ſo in beſtaͤndiger Übung erhalten
wurden, daß beyde gewandt und ſtark werden mußten.
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