Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine
große Idee und seine Worte quollen reich und
unerschöpflich. Sie glichen oft einem Garten im
Frühling, wo Alles in Blüthe stand und man,
von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran
dachte, sich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬
deren Zeiten dagegen fand man ihn stumm und
einsilbig, als lagerte ein Nebel auf seiner Seele;
ja es konnten Tage kommen, wo es war, als
wäre er voll eisiger Kälte und als striche ein schar¬
fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und
wiederum wenn man ihn sah, war er wieder
wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger
des Waldes uns aus Büschen und Hecken ent¬
gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und
der Bach durch blumige Auen rieselt. Dann war
es eine Lust, ihn zu hören; seine Nähe war dann bese¬
ligend und das Herz erweiterte sich bei seinen Worten.

Winter und Sommer, Alter und Jugend
schienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechsel
zu seyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis
Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬
gend immer wieder obenauf war und jene an¬

mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine
große Idee und ſeine Worte quollen reich und
unerſchöpflich. Sie glichen oft einem Garten im
Frühling, wo Alles in Blüthe ſtand und man,
von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran
dachte, ſich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬
deren Zeiten dagegen fand man ihn ſtumm und
einſilbig, als lagerte ein Nebel auf ſeiner Seele;
ja es konnten Tage kommen, wo es war, als
wäre er voll eiſiger Kälte und als ſtriche ein ſchar¬
fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und
wiederum wenn man ihn ſah, war er wieder
wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger
des Waldes uns aus Büſchen und Hecken ent¬
gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und
der Bach durch blumige Auen rieſelt. Dann war
es eine Luſt, ihn zu hören; ſeine Nähe war dann beſe¬
ligend und das Herz erweiterte ſich bei ſeinen Worten.

Winter und Sommer, Alter und Jugend
ſchienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechſel
zu ſeyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis
Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬
gend immer wieder obenauf war und jene an¬

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface" n="3">
        <p><pb facs="#f0018" n="XII"/>
mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine<lb/>
große Idee und &#x017F;eine Worte quollen reich und<lb/>
uner&#x017F;chöpflich. Sie glichen oft einem Garten im<lb/>
Frühling, wo Alles in Blüthe &#x017F;tand und man,<lb/>
von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran<lb/>
dachte, &#x017F;ich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬<lb/>
deren Zeiten dagegen fand man ihn &#x017F;tumm und<lb/>
ein&#x017F;ilbig, als lagerte ein Nebel auf &#x017F;einer Seele;<lb/>
ja es konnten Tage kommen, wo es war, als<lb/>
wäre er voll ei&#x017F;iger Kälte und als &#x017F;triche ein &#x017F;char¬<lb/>
fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und<lb/>
wiederum wenn man ihn &#x017F;ah, war er wieder<lb/>
wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger<lb/>
des Waldes uns aus Bü&#x017F;chen und Hecken ent¬<lb/>
gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und<lb/>
der Bach durch blumige Auen rie&#x017F;elt. Dann war<lb/>
es eine Lu&#x017F;t, ihn zu hören; &#x017F;eine Nähe war dann be&#x017F;<lb/>
ligend und das Herz erweiterte &#x017F;ich bei &#x017F;einen Worten.</p><lb/>
        <p>Winter und Sommer, Alter und Jugend<lb/>
&#x017F;chienen bei ihm im ewigen Kampf und Wech&#x017F;el<lb/>
zu &#x017F;eyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis<lb/>
Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬<lb/>
gend immer wieder obenauf war und jene an¬<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XII/0018] mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine große Idee und ſeine Worte quollen reich und unerſchöpflich. Sie glichen oft einem Garten im Frühling, wo Alles in Blüthe ſtand und man, von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran dachte, ſich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬ deren Zeiten dagegen fand man ihn ſtumm und einſilbig, als lagerte ein Nebel auf ſeiner Seele; ja es konnten Tage kommen, wo es war, als wäre er voll eiſiger Kälte und als ſtriche ein ſchar¬ fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und wiederum wenn man ihn ſah, war er wieder wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger des Waldes uns aus Büſchen und Hecken ent¬ gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und der Bach durch blumige Auen rieſelt. Dann war es eine Luſt, ihn zu hören; ſeine Nähe war dann beſe¬ ligend und das Herz erweiterte ſich bei ſeinen Worten. Winter und Sommer, Alter und Jugend ſchienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechſel zu ſeyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬ gend immer wieder obenauf war und jene an¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/18
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/18>, abgerufen am 21.11.2024.