mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine große Idee und seine Worte quollen reich und unerschöpflich. Sie glichen oft einem Garten im Frühling, wo Alles in Blüthe stand und man, von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran dachte, sich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬ deren Zeiten dagegen fand man ihn stumm und einsilbig, als lagerte ein Nebel auf seiner Seele; ja es konnten Tage kommen, wo es war, als wäre er voll eisiger Kälte und als striche ein schar¬ fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und wiederum wenn man ihn sah, war er wieder wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger des Waldes uns aus Büschen und Hecken ent¬ gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und der Bach durch blumige Auen rieselt. Dann war es eine Lust, ihn zu hören; seine Nähe war dann bese¬ ligend und das Herz erweiterte sich bei seinen Worten.
Winter und Sommer, Alter und Jugend schienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechsel zu seyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬ gend immer wieder obenauf war und jene an¬
mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine große Idee und ſeine Worte quollen reich und unerſchöpflich. Sie glichen oft einem Garten im Frühling, wo Alles in Blüthe ſtand und man, von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran dachte, ſich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬ deren Zeiten dagegen fand man ihn ſtumm und einſilbig, als lagerte ein Nebel auf ſeiner Seele; ja es konnten Tage kommen, wo es war, als wäre er voll eiſiger Kälte und als ſtriche ein ſchar¬ fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und wiederum wenn man ihn ſah, war er wieder wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger des Waldes uns aus Büſchen und Hecken ent¬ gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und der Bach durch blumige Auen rieſelt. Dann war es eine Luſt, ihn zu hören; ſeine Nähe war dann beſe¬ ligend und das Herz erweiterte ſich bei ſeinen Worten.
Winter und Sommer, Alter und Jugend ſchienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechſel zu ſeyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬ gend immer wieder obenauf war und jene an¬
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[XII/0018]
mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine
große Idee und ſeine Worte quollen reich und
unerſchöpflich. Sie glichen oft einem Garten im
Frühling, wo Alles in Blüthe ſtand und man,
von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran
dachte, ſich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬
deren Zeiten dagegen fand man ihn ſtumm und
einſilbig, als lagerte ein Nebel auf ſeiner Seele;
ja es konnten Tage kommen, wo es war, als
wäre er voll eiſiger Kälte und als ſtriche ein ſchar¬
fer Wind über Reif- und Schneefelder. Und
wiederum wenn man ihn ſah, war er wieder
wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger
des Waldes uns aus Büſchen und Hecken ent¬
gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und
der Bach durch blumige Auen rieſelt. Dann war
es eine Luſt, ihn zu hören; ſeine Nähe war dann beſe¬
ligend und das Herz erweiterte ſich bei ſeinen Worten.
Winter und Sommer, Alter und Jugend
ſchienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechſel
zu ſeyn; doch war es an ihm, dem Siebzig- bis
Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬
gend immer wieder obenauf war und jene an¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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