bedeutenden Talenten. Auch ward sehr viel über Be¬ ranger gesprochen, dessen unvergleichliche Lieder Goethe täglich in Gedanken hat. Es kam zur Erwähnung, ob Beranger's heitere Liebeslieder vor seinen politischen den Vorzug verdienten, wobei Goethe seine Meinung dahin entwickelte, daß im Allgemeinen ein rein poetischer Stoff einem politischen so sehr voranstehe, als die reine, ewige Naturwahrheit der Parteiansicht.
"Uebrigens, fuhr er fort, hat Beranger in seinen politischen Gedichten sich als Wohlthäter seiner Nation erwiesen. Nach der Invasion der Alliirten fanden die Franzosen in ihm das beste Organ ihrer gedrückten Gefühle. Er richtete sie auf durch vielfache Erinnerun¬ gen an den Ruhm der Waffen unter dem Kaiser, dessen Andenken noch in jeder Hütte lebendig, und dessen große Eigenschaften der Dichter liebt, ohne jedoch eine Fortsetzung seiner despotischen Herrschaft zu wünschen. Jetzt, unter den Bourbonen, scheint es ihm nicht zu behagen. Es ist freilich ein schwach gewordenes Ge¬ schlecht! Und der jetzige Franzose will auf dem Throne große Eigenschaften, obgleich er gerne selber mitherrscht und selber gerne ein Wort mitredet."
Nach Tisch verbreitete sich die Gesellschaft im Gar¬ ten und Goethe winkte mir zu einer Spazierfahrt um das Gehölz auf dem Wege nach Tiefurt.
Er war im Wagen sehr gut und liebevoll. Er freute sich, daß mit Ampere ein so hübsches Verhältniß
bedeutenden Talenten. Auch ward ſehr viel über Bé¬ ranger geſprochen, deſſen unvergleichliche Lieder Goethe täglich in Gedanken hat. Es kam zur Erwähnung, ob Béranger's heitere Liebeslieder vor ſeinen politiſchen den Vorzug verdienten, wobei Goethe ſeine Meinung dahin entwickelte, daß im Allgemeinen ein rein poetiſcher Stoff einem politiſchen ſo ſehr voranſtehe, als die reine, ewige Naturwahrheit der Parteianſicht.
„Uebrigens, fuhr er fort, hat Béranger in ſeinen politiſchen Gedichten ſich als Wohlthäter ſeiner Nation erwieſen. Nach der Invaſion der Alliirten fanden die Franzoſen in ihm das beſte Organ ihrer gedrückten Gefühle. Er richtete ſie auf durch vielfache Erinnerun¬ gen an den Ruhm der Waffen unter dem Kaiſer, deſſen Andenken noch in jeder Hütte lebendig, und deſſen große Eigenſchaften der Dichter liebt, ohne jedoch eine Fortſetzung ſeiner despotiſchen Herrſchaft zu wünſchen. Jetzt, unter den Bourbonen, ſcheint es ihm nicht zu behagen. Es iſt freilich ein ſchwach gewordenes Ge¬ ſchlecht! Und der jetzige Franzoſe will auf dem Throne große Eigenſchaften, obgleich er gerne ſelber mitherrſcht und ſelber gerne ein Wort mitredet.“
Nach Tiſch verbreitete ſich die Geſellſchaft im Gar¬ ten und Goethe winkte mir zu einer Spazierfahrt um das Gehölz auf dem Wege nach Tiefurt.
Er war im Wagen ſehr gut und liebevoll. Er freute ſich, daß mit Ampére ein ſo hübſches Verhältniß
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bedeutenden Talenten. Auch ward ſehr viel über Bé¬
ranger geſprochen, deſſen unvergleichliche Lieder Goethe
täglich in Gedanken hat. Es kam zur Erwähnung, ob
Béranger's heitere Liebeslieder vor ſeinen politiſchen
den Vorzug verdienten, wobei Goethe ſeine Meinung
dahin entwickelte, daß im Allgemeinen ein rein poetiſcher
Stoff einem politiſchen ſo ſehr voranſtehe, als die reine,
ewige Naturwahrheit der Parteianſicht.
„Uebrigens, fuhr er fort, hat Béranger in ſeinen
politiſchen Gedichten ſich als Wohlthäter ſeiner Nation
erwieſen. Nach der Invaſion der Alliirten fanden die
Franzoſen in ihm das beſte Organ ihrer gedrückten
Gefühle. Er richtete ſie auf durch vielfache Erinnerun¬
gen an den Ruhm der Waffen unter dem Kaiſer, deſſen
Andenken noch in jeder Hütte lebendig, und deſſen
große Eigenſchaften der Dichter liebt, ohne jedoch eine
Fortſetzung ſeiner despotiſchen Herrſchaft zu wünſchen.
Jetzt, unter den Bourbonen, ſcheint es ihm nicht zu
behagen. Es iſt freilich ein ſchwach gewordenes Ge¬
ſchlecht! Und der jetzige Franzoſe will auf dem Throne
große Eigenſchaften, obgleich er gerne ſelber mitherrſcht
und ſelber gerne ein Wort mitredet.“
Nach Tiſch verbreitete ſich die Geſellſchaft im Gar¬
ten und Goethe winkte mir zu einer Spazierfahrt um
das Gehölz auf dem Wege nach Tiefurt.
Er war im Wagen ſehr gut und liebevoll. Er
freute ſich, daß mit Ampére ein ſo hübſches Verhältniß
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/189>, abgerufen am 23.11.2024.
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