Theologen. Mir passirte einst persönlich ein Fall der Art, den ich Ihnen doch erzählen will."
"Als ich nämlich vor einigen Jahren mich einige Zeit in Jena aufhielt und im Gasthof "Zur Tanne" logirte, ließ sich eines Morgens ein Studiosus der Theologie bei mir melden. Nachdem er sich eine Weile mit mir ganz hübsch unterhalten, rückte er beim Ab¬ schiede gegen mich mit einem Anliegen ganz eigener Art hervor. Er bat mich nämlich, ihm doch am nächsten Sonntage zu erlauben, statt meiner predi¬ gen zu dürfen. Ich merkte sogleich, woher der Wind wehte, und daß der hoffnungsvolle Jüngling einer von denen sey, die das G. und K. verwechseln. Ich er¬ wiederte ihm also mit aller Freundlichkeit, daß ich ihm in dieser Angelegenheit zwar persönlich nicht helfen könne, daß er aber sicher seinen Zweck erreichen würde, wenn er die Güte haben wolle, sich an den Herrn Archidiaco¬ nus Koethe zu wenden."
Dienstag, den 18. Mai 1824.
Abends bei Goethe in Gesellschaft mit Riemer. Goethe unterhielt uns von einem englischen Gedicht, das die Geologie zum Gegenstande hat. Er machte uns davon erzählungsweise eine improvisirte Uebersetzung mit so vielem Geist, Einbildungskraft und guter Laune, daß jede Einzelnheit lebendig vor Augen trat, als wäre Alles eine im Moment entstehende Erfindung von ihm
Theologen. Mir paſſirte einſt perſönlich ein Fall der Art, den ich Ihnen doch erzählen will.“
„Als ich nämlich vor einigen Jahren mich einige Zeit in Jena aufhielt und im Gaſthof „Zur Tanne“ logirte, ließ ſich eines Morgens ein Studioſus der Theologie bei mir melden. Nachdem er ſich eine Weile mit mir ganz hübſch unterhalten, rückte er beim Ab¬ ſchiede gegen mich mit einem Anliegen ganz eigener Art hervor. Er bat mich nämlich, ihm doch am nächſten Sonntage zu erlauben, ſtatt meiner predi¬ gen zu dürfen. Ich merkte ſogleich, woher der Wind wehte, und daß der hoffnungsvolle Jüngling einer von denen ſey, die das G. und K. verwechſeln. Ich er¬ wiederte ihm alſo mit aller Freundlichkeit, daß ich ihm in dieſer Angelegenheit zwar perſönlich nicht helfen könne, daß er aber ſicher ſeinen Zweck erreichen würde, wenn er die Güte haben wolle, ſich an den Herrn Archidiaco¬ nus Koethe zu wenden.“
Dienstag, den 18. Mai 1824.
Abends bei Goethe in Geſellſchaft mit Riemer. Goethe unterhielt uns von einem engliſchen Gedicht, das die Geologie zum Gegenſtande hat. Er machte uns davon erzählungsweiſe eine improviſirte Ueberſetzung mit ſo vielem Geiſt, Einbildungskraft und guter Laune, daß jede Einzelnheit lebendig vor Augen trat, als wäre Alles eine im Moment entſtehende Erfindung von ihm
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Theologen. Mir paſſirte einſt perſönlich ein Fall der
Art, den ich Ihnen doch erzählen will.“
„Als ich nämlich vor einigen Jahren mich einige
Zeit in Jena aufhielt und im Gaſthof „Zur Tanne“
logirte, ließ ſich eines Morgens ein Studioſus der
Theologie bei mir melden. Nachdem er ſich eine Weile
mit mir ganz hübſch unterhalten, rückte er beim Ab¬
ſchiede gegen mich mit einem Anliegen ganz eigener
Art hervor. Er bat mich nämlich, ihm doch am
nächſten Sonntage zu erlauben, ſtatt meiner predi¬
gen zu dürfen. Ich merkte ſogleich, woher der Wind
wehte, und daß der hoffnungsvolle Jüngling einer von
denen ſey, die das G. und K. verwechſeln. Ich er¬
wiederte ihm alſo mit aller Freundlichkeit, daß ich ihm
in dieſer Angelegenheit zwar perſönlich nicht helfen könne,
daß er aber ſicher ſeinen Zweck erreichen würde, wenn
er die Güte haben wolle, ſich an den Herrn Archidiaco¬
nus Koethe zu wenden.“
Dienstag, den 18. Mai 1824.
Abends bei Goethe in Geſellſchaft mit Riemer.
Goethe unterhielt uns von einem engliſchen Gedicht,
das die Geologie zum Gegenſtande hat. Er machte
uns davon erzählungsweiſe eine improviſirte Ueberſetzung
mit ſo vielem Geiſt, Einbildungskraft und guter Laune,
daß jede Einzelnheit lebendig vor Augen trat, als wäre
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/72>, abgerufen am 27.11.2024.
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