Manche reden in schönen Worten von Religion, von den Vorzügen und der Not- wendigkeit der Religion, aber sie denken sich dabei etwas ganz anderes, als die christliche Religion. Bei näherer Prüfung stellt sich heraus, daß sie wohl die Religion als ein Bedürfnis des menschlichen Herzens aner- kennen, daß sie aber in Bezug auf die Be- friedigung dieses Bedürfnisses sehr genüg- sam sind. Für sie handelt es sich nicht um religiöse Wahrheiten und allgemein verbind- liche Gesetze, sondern um Gefühle und religiöse Vorstellungen, die jeder sich selbst bilden kann, wie es ihm zusagt, und die darum bei dem einen so, bei dem andern anders beschaffen sind, und nach Gutfinden gewechselt werden können. Es handelt sich in ihren Augen nur darum, daß diese religiösen Vorstellun- gen dem menschlichen Herzen Befriedigung, einige Erhebung und Erbauung zu bie- ten vermögen. Manche halten sich schon für religiös, wenn sie, ohne irgendwie bestimmte religiöse Anschauungen zu ha- ben, sich durch einen Gesang, eine Grab- rede u. s. w. zu edleren Gefühlen und einigen verschwommenen Ahnungen anregen lassen.
Manche reden in schönen Worten von Religion, von den Vorzügen und der Not- wendigkeit der Religion, aber sie denken sich dabei etwas ganz anderes, als die christliche Religion. Bei näherer Prüfung stellt sich heraus, daß sie wohl die Religion als ein Bedürfnis des menschlichen Herzens aner- kennen, daß sie aber in Bezug auf die Be- friedigung dieses Bedürfnisses sehr genüg- sam sind. Für sie handelt es sich nicht um religiöse Wahrheiten und allgemein verbind- liche Gesetze, sondern um Gefühle und religiöse Vorstellungen, die jeder sich selbst bilden kann, wie es ihm zusagt, und die darum bei dem einen so, bei dem andern anders beschaffen sind, und nach Gutfinden gewechselt werden können. Es handelt sich in ihren Augen nur darum, daß diese religiösen Vorstellun- gen dem menschlichen Herzen Befriedigung, einige Erhebung und Erbauung zu bie- ten vermögen. Manche halten sich schon für religiös, wenn sie, ohne irgendwie bestimmte religiöse Anschauungen zu ha- ben, sich durch einen Gesang, eine Grab- rede u. s. w. zu edleren Gefühlen und einigen verschwommenen Ahnungen anregen lassen.
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Manche reden in schönen Worten von
Religion, von den Vorzügen und der Not-
wendigkeit der Religion, aber sie denken sich
dabei etwas ganz anderes, als die christliche
Religion. Bei näherer Prüfung stellt sich
heraus, daß sie wohl die Religion als ein
Bedürfnis des menschlichen Herzens aner-
kennen, daß sie aber in Bezug auf die Be-
friedigung dieses Bedürfnisses sehr genüg-
sam sind. Für sie handelt es sich nicht um
religiöse Wahrheiten und allgemein verbind-
liche Gesetze, sondern um Gefühle und religiöse
Vorstellungen, die jeder sich selbst bilden kann,
wie es ihm zusagt, und die darum bei dem
einen so, bei dem andern anders beschaffen
sind, und nach Gutfinden gewechselt werden
können. Es handelt sich in ihren Augen
nur darum, daß diese religiösen Vorstellun-
gen dem menschlichen Herzen Befriedigung,
einige Erhebung und Erbauung zu bie-
ten vermögen. Manche halten sich schon
für religiös, wenn sie, ohne irgendwie
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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