Es ist klar, daß eine solche Religiosität nur jenen genügen kann, welche ihren Blick auf das irdische Dasein beschränken. Wer aber höher hinaufschaut, und an ein künf- tiges Leben in der andern Welt denkt, der kann sich mit einer solchen Religion bloßer Gefühle und selbstgemachter Vorstellungen nicht zufrieden geben. Es drängt ihn zu erfahren, wie es im Jenseits aussieht, und was er thun muß, um dort an einen guten Ort zu gelangen. Mit selbstgemachten Ein- bildungen, mit unverbürgten Vermutungen über das Schicksal der Seele nach dem Tode ist ihm nicht geholfen. Diese können die Seele höchstens bis an die Pforten des Jen- seits beruhigen, aber welches Unglück und Entsetzen, wenn sie sich dort als Täusch- ung herausstellen! Wenn der Satz, jeder könne glauben, was er wolle, bedeuten soll, es sei gleichgültig, was ein jeder glaube, so erweist er sich da als große Thorheit. Angesichts der Ewigkeit heißt er so viel als: Jeder kann sich selber zum besten halten, sich selber betrügen, wenn er will. Es handelt sich offenbar nicht darum, was wir glauben wollen, sondern was wir glauben müssen, d. h. es handelt sich um die Wahrheit. Wir
Es ist klar, daß eine solche Religiosität nur jenen genügen kann, welche ihren Blick auf das irdische Dasein beschränken. Wer aber höher hinaufschaut, und an ein künf- tiges Leben in der andern Welt denkt, der kann sich mit einer solchen Religion bloßer Gefühle und selbstgemachter Vorstellungen nicht zufrieden geben. Es drängt ihn zu erfahren, wie es im Jenseits aussieht, und was er thun muß, um dort an einen guten Ort zu gelangen. Mit selbstgemachten Ein- bildungen, mit unverbürgten Vermutungen über das Schicksal der Seele nach dem Tode ist ihm nicht geholfen. Diese können die Seele höchstens bis an die Pforten des Jen- seits beruhigen, aber welches Unglück und Entsetzen, wenn sie sich dort als Täusch- ung herausstellen! Wenn der Satz, jeder könne glauben, was er wolle, bedeuten soll, es sei gleichgültig, was ein jeder glaube, so erweist er sich da als große Thorheit. Angesichts der Ewigkeit heißt er so viel als: Jeder kann sich selber zum besten halten, sich selber betrügen, wenn er will. Es handelt sich offenbar nicht darum, was wir glauben wollen, sondern was wir glauben müssen, d. h. es handelt sich um die Wahrheit. Wir
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Es ist klar, daß eine solche Religiosität
nur jenen genügen kann, welche ihren Blick
auf das irdische Dasein beschränken. Wer
aber höher hinaufschaut, und an ein künf-
tiges Leben in der andern Welt denkt, der
kann sich mit einer solchen Religion bloßer
Gefühle und selbstgemachter Vorstellungen
nicht zufrieden geben. Es drängt ihn zu
erfahren, wie es im Jenseits aussieht, und
was er thun muß, um dort an einen guten
Ort zu gelangen. Mit selbstgemachten Ein-
bildungen, mit unverbürgten Vermutungen
über das Schicksal der Seele nach dem Tode
ist ihm nicht geholfen. Diese können die
Seele höchstens bis an die Pforten des Jen-
seits beruhigen, aber welches Unglück und
Entsetzen, wenn sie sich dort als Täusch-
ung herausstellen! Wenn der Satz, jeder
könne glauben, was er wolle, bedeuten soll,
es sei gleichgültig, was ein jeder glaube,
so erweist er sich da als große Thorheit.
Angesichts der Ewigkeit heißt er so viel als:
Jeder kann sich selber zum besten halten,
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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