Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

ben, leichtsinniges Mädchen! Wie der schwarze
Ritter heute auf dem Balle, tritt überall ein
freyer, wilder Gast ungeladen in das Fest. Er ist
so lustig aufgeschmückt und ein rüstiger Tänzer, aber
seine Augen sind leer und hohl und seine Hände
todtenkalt, und du mußt sterben, wenn er dich in
die Arme nimmt, denn dein Buhle ist der Teufel.
-- Marie, seltsam erschüttert von diesen Worten,
die sie nur halb vernahm, richtete sich auf. Er
hob sie auf seinen Schooß, wo sie still sitzen blieb
während er sprach. Ihre Augen und Mienen ka¬
men ihm in diesem Augenblicke wieder so unschuldig
und kindisch vor, wie ehemals. Was ist aus dir
geworden, arme Marie! fuhr er gerührt fort.
Als ich das erstemal auf die schöne grüne Waldes¬
wiese hinunterkam, wo dein stilles Jägerhaus stand,
wie du fröhlich auf dem Rehe sassest und sangst --
der Himmel war so heiter, der Wald stand frisch
und rauschte im Winde, von allen Bergen bliesen
die Jäger auf ihren Hörnern -- das war eine schö¬
ne Zeit! Ich habe einmal an einem kalten,
stürmischen Herbsttage ein Frauenzimmer draussen im
Felde sitzen gesehen, die war verrückt geworden,
weil sie ihr Liebhaber, der sich lange mit ihr her¬
umgeherzt, verlassen hatte. Er hatte ihr verspro¬
chen, noch an demselben Tage wiederzukommen.
Sie gieng nun seit vielen Jahren alle Tage auf das
Feld und sah immerfort auf die Landstrasse hinaus.
Sie hatte noch immer das Kleid an, das sie da¬
mals getragen hatte, das war schon zerrissen und

ben, leichtſinniges Mädchen! Wie der ſchwarze
Ritter heute auf dem Balle, tritt überall ein
freyer, wilder Gaſt ungeladen in das Feſt. Er iſt
ſo luſtig aufgeſchmückt und ein rüſtiger Tänzer, aber
ſeine Augen ſind leer und hohl und ſeine Hände
todtenkalt, und du mußt ſterben, wenn er dich in
die Arme nimmt, denn dein Buhle iſt der Teufel.
— Marie, ſeltſam erſchüttert von dieſen Worten,
die ſie nur halb vernahm, richtete ſich auf. Er
hob ſie auf ſeinen Schooß, wo ſie ſtill ſitzen blieb
während er ſprach. Ihre Augen und Mienen ka¬
men ihm in dieſem Augenblicke wieder ſo unſchuldig
und kindiſch vor, wie ehemals. Was iſt aus dir
geworden, arme Marie! fuhr er gerührt fort.
Als ich das erſtemal auf die ſchöne grüne Waldes¬
wieſe hinunterkam, wo dein ſtilles Jägerhaus ſtand,
wie du fröhlich auf dem Rehe ſaſſeſt und ſangſt —
der Himmel war ſo heiter, der Wald ſtand friſch
und rauſchte im Winde, von allen Bergen blieſen
die Jäger auf ihren Hörnern — das war eine ſchö¬
ne Zeit! Ich habe einmal an einem kalten,
ſtürmiſchen Herbſttage ein Frauenzimmer drauſſen im
Felde ſitzen geſehen, die war verrückt geworden,
weil ſie ihr Liebhaber, der ſich lange mit ihr her¬
umgeherzt, verlaſſen hatte. Er hatte ihr verſpro¬
chen, noch an demſelben Tage wiederzukommen.
Sie gieng nun ſeit vielen Jahren alle Tage auf das
Feld und ſah immerfort auf die Landſtraſſe hinaus.
Sie hatte noch immer das Kleid an, das ſie da¬
mals getragen hatte, das war ſchon zerriſſen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="182"/>
ben, leicht&#x017F;inniges Mädchen! Wie der &#x017F;chwarze<lb/>
Ritter heute auf dem Balle, tritt überall ein<lb/>
freyer, wilder Ga&#x017F;t ungeladen in das Fe&#x017F;t. Er i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o lu&#x017F;tig aufge&#x017F;chmückt und ein rü&#x017F;tiger Tänzer, aber<lb/>
&#x017F;eine Augen &#x017F;ind leer und hohl und &#x017F;eine Hände<lb/>
todtenkalt, und du mußt &#x017F;terben, wenn er dich in<lb/>
die Arme nimmt, denn dein Buhle i&#x017F;t der Teufel.<lb/>
&#x2014; Marie, &#x017F;elt&#x017F;am er&#x017F;chüttert von die&#x017F;en Worten,<lb/>
die &#x017F;ie nur halb vernahm, richtete &#x017F;ich auf. Er<lb/>
hob &#x017F;ie auf &#x017F;einen Schooß, wo &#x017F;ie &#x017F;till &#x017F;itzen blieb<lb/>
während er &#x017F;prach. Ihre Augen und Mienen ka¬<lb/>
men ihm in die&#x017F;em Augenblicke wieder &#x017F;o un&#x017F;chuldig<lb/>
und kindi&#x017F;ch vor, wie ehemals. Was i&#x017F;t aus dir<lb/>
geworden, arme Marie! fuhr er gerührt fort.<lb/>
Als ich das er&#x017F;temal auf die &#x017F;chöne grüne Waldes¬<lb/>
wie&#x017F;e hinunterkam, wo dein &#x017F;tilles Jägerhaus &#x017F;tand,<lb/>
wie du fröhlich auf dem Rehe &#x017F;a&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t und &#x017F;ang&#x017F;t &#x2014;<lb/>
der Himmel war &#x017F;o heiter, der Wald &#x017F;tand fri&#x017F;ch<lb/>
und rau&#x017F;chte im Winde, von allen Bergen blie&#x017F;en<lb/>
die Jäger auf ihren Hörnern &#x2014; das war eine &#x017F;chö¬<lb/>
ne Zeit! Ich habe einmal an einem kalten,<lb/>
&#x017F;türmi&#x017F;chen Herb&#x017F;ttage ein Frauenzimmer drau&#x017F;&#x017F;en im<lb/>
Felde &#x017F;itzen ge&#x017F;ehen, die war verrückt geworden,<lb/>
weil &#x017F;ie ihr Liebhaber, der &#x017F;ich lange mit ihr her¬<lb/>
umgeherzt, verla&#x017F;&#x017F;en hatte. Er hatte ihr ver&#x017F;pro¬<lb/>
chen, noch an dem&#x017F;elben Tage wiederzukommen.<lb/>
Sie gieng nun &#x017F;eit vielen Jahren alle Tage auf das<lb/>
Feld und &#x017F;ah immerfort auf die Land&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;e hinaus.<lb/>
Sie hatte noch immer das Kleid an, das &#x017F;ie da¬<lb/>
mals getragen hatte, das war &#x017F;chon zerri&#x017F;&#x017F;en und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0188] ben, leichtſinniges Mädchen! Wie der ſchwarze Ritter heute auf dem Balle, tritt überall ein freyer, wilder Gaſt ungeladen in das Feſt. Er iſt ſo luſtig aufgeſchmückt und ein rüſtiger Tänzer, aber ſeine Augen ſind leer und hohl und ſeine Hände todtenkalt, und du mußt ſterben, wenn er dich in die Arme nimmt, denn dein Buhle iſt der Teufel. — Marie, ſeltſam erſchüttert von dieſen Worten, die ſie nur halb vernahm, richtete ſich auf. Er hob ſie auf ſeinen Schooß, wo ſie ſtill ſitzen blieb während er ſprach. Ihre Augen und Mienen ka¬ men ihm in dieſem Augenblicke wieder ſo unſchuldig und kindiſch vor, wie ehemals. Was iſt aus dir geworden, arme Marie! fuhr er gerührt fort. Als ich das erſtemal auf die ſchöne grüne Waldes¬ wieſe hinunterkam, wo dein ſtilles Jägerhaus ſtand, wie du fröhlich auf dem Rehe ſaſſeſt und ſangſt — der Himmel war ſo heiter, der Wald ſtand friſch und rauſchte im Winde, von allen Bergen blieſen die Jäger auf ihren Hörnern — das war eine ſchö¬ ne Zeit! Ich habe einmal an einem kalten, ſtürmiſchen Herbſttage ein Frauenzimmer drauſſen im Felde ſitzen geſehen, die war verrückt geworden, weil ſie ihr Liebhaber, der ſich lange mit ihr her¬ umgeherzt, verlaſſen hatte. Er hatte ihr verſpro¬ chen, noch an demſelben Tage wiederzukommen. Sie gieng nun ſeit vielen Jahren alle Tage auf das Feld und ſah immerfort auf die Landſtraſſe hinaus. Sie hatte noch immer das Kleid an, das ſie da¬ mals getragen hatte, das war ſchon zerriſſen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/188
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/188>, abgerufen am 24.11.2024.