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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Seele flog wie mit großen Flügeln in die wunder¬
bare Aussicht hinein.

Mitten in dieser Entzückung fiel der Vorhang
plötzlich wieder, das Ganze verdeckend, herab, der
Kronleuchter wurde heruntergelassen und ein schnat¬
terndes Gewühle und Lachen erfüllte auf einmal
wieder den Saal. Der größte Theil der Gesellschaft
brach nun von allen Sitzen auf und verlohr sich.
Nur ein kleiner Theil von Auserwählten, wie es
schien, blieb im Saale zurück. Friedrich wurde
während deß vom Minister, der auch zugegen war,
bemerkt und sogleich der Frau vom Hause vorge¬
stellt. Es war eine fast durchsichtigschlanke, schmäch¬
tige Gestalt, gleichsam im Nachsommer ihrer Blü¬
the und Schönheit. Sie bat ihn mit so überaus
sanften, leisen, lispelnden Worten, daß er Mühe
hatte sie zu verstehen, ihre künstlerischen Abendan¬
dachten, wie sie sich ausdrückte, mit seiner Gegen¬
wart zu beehren, und sah ihn dabey mit blinzeln¬
den, fast zugedrückten Augen an, von denen er
zweifelhaft war, ob sie ausforschend, gelehrt,
sanft, verliebt oder nur interessant seyn sollten.

Die Gesellschaft zog sich indeß in eine kleinere
Stube zusammen. Die Zimmer waren durchaus
prachtvoll und im neuesten Geschmack dekorirt; nur
hin und wieder bemerkte man einige auffallende Be¬
sonderheiten und Nachlässigkeiten, unsymetrische
Spiegel, Guitarren, aufgeschlagene Musikalien und
Bücher, die auf den Ottomanen zerstreut umherla¬
gen. Friedrich'n kam es vor, als hätte es der

Seele flog wie mit großen Flügeln in die wunder¬
bare Ausſicht hinein.

Mitten in dieſer Entzückung fiel der Vorhang
plötzlich wieder, das Ganze verdeckend, herab, der
Kronleuchter wurde heruntergelaſſen und ein ſchnat¬
terndes Gewühle und Lachen erfüllte auf einmal
wieder den Saal. Der größte Theil der Geſellſchaft
brach nun von allen Sitzen auf und verlohr ſich.
Nur ein kleiner Theil von Auserwählten, wie es
ſchien, blieb im Saale zurück. Friedrich wurde
während deß vom Miniſter, der auch zugegen war,
bemerkt und ſogleich der Frau vom Hauſe vorge¬
ſtellt. Es war eine faſt durchſichtigſchlanke, ſchmäch¬
tige Geſtalt, gleichſam im Nachſommer ihrer Blü¬
the und Schönheit. Sie bat ihn mit ſo überaus
ſanften, leiſen, liſpelnden Worten, daß er Mühe
hatte ſie zu verſtehen, ihre künſtleriſchen Abendan¬
dachten, wie ſie ſich ausdrückte, mit ſeiner Gegen¬
wart zu beehren, und ſah ihn dabey mit blinzeln¬
den, faſt zugedrückten Augen an, von denen er
zweifelhaft war, ob ſie ausforſchend, gelehrt,
ſanft, verliebt oder nur intereſſant ſeyn ſollten.

Die Geſellſchaft zog ſich indeß in eine kleinere
Stube zuſammen. Die Zimmer waren durchaus
prachtvoll und im neueſten Geſchmack dekorirt; nur
hin und wieder bemerkte man einige auffallende Be¬
ſonderheiten und Nachläſſigkeiten, unſymetriſche
Spiegel, Guitarren, aufgeſchlagene Muſikalien und
Bücher, die auf den Ottomanen zerſtreut umherla¬
gen. Friedrich'n kam es vor, als hätte es der

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[201/0207] Seele flog wie mit großen Flügeln in die wunder¬ bare Ausſicht hinein. Mitten in dieſer Entzückung fiel der Vorhang plötzlich wieder, das Ganze verdeckend, herab, der Kronleuchter wurde heruntergelaſſen und ein ſchnat¬ terndes Gewühle und Lachen erfüllte auf einmal wieder den Saal. Der größte Theil der Geſellſchaft brach nun von allen Sitzen auf und verlohr ſich. Nur ein kleiner Theil von Auserwählten, wie es ſchien, blieb im Saale zurück. Friedrich wurde während deß vom Miniſter, der auch zugegen war, bemerkt und ſogleich der Frau vom Hauſe vorge¬ ſtellt. Es war eine faſt durchſichtigſchlanke, ſchmäch¬ tige Geſtalt, gleichſam im Nachſommer ihrer Blü¬ the und Schönheit. Sie bat ihn mit ſo überaus ſanften, leiſen, liſpelnden Worten, daß er Mühe hatte ſie zu verſtehen, ihre künſtleriſchen Abendan¬ dachten, wie ſie ſich ausdrückte, mit ſeiner Gegen¬ wart zu beehren, und ſah ihn dabey mit blinzeln¬ den, faſt zugedrückten Augen an, von denen er zweifelhaft war, ob ſie ausforſchend, gelehrt, ſanft, verliebt oder nur intereſſant ſeyn ſollten. Die Geſellſchaft zog ſich indeß in eine kleinere Stube zuſammen. Die Zimmer waren durchaus prachtvoll und im neueſten Geſchmack dekorirt; nur hin und wieder bemerkte man einige auffallende Be¬ ſonderheiten und Nachläſſigkeiten, unſymetriſche Spiegel, Guitarren, aufgeſchlagene Muſikalien und Bücher, die auf den Ottomanen zerſtreut umherla¬ gen. Friedrich'n kam es vor, als hätte es der

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/207>, abgerufen am 23.11.2024.