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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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reisender Spielmann aus alter Zeit von Haus zu
Haus und erzählte den Mädchen Mährchen, oder
sang ihnen neue Melodieen auf ihre alten Lieder,
wobey sie still mit ihren sinnigen Augen um ihn
herumsassen. Friedrich saß neben ihm auf der Bank,
den Kopf in beyde Arme auf die Kniee gestützt,
und erholte sich recht an den altfränkischen Klängen.

Die zwey Jäger hatten sich nicht weit von ihnen
um einen Tisch gelagert, der auf dem grünen Pla¬
tze zwischen den Häusern und dem Rheine aufge¬
schlagen war, und schäkerten mit den Mädchen,
denen sie gar wohl zu gefallen schienen. Die Mäd¬
chen verfertigten schnell einen fröhlichen, übervollen
Kranz von hellrothen Rosen, den sie dem einen,
welcher der lustigste schien, auf die Stirn drückten.
Leontin, der wenig darauf Acht gab, begann fol¬
gendes Lied über ein am Rheine bekanntes Mähr¬
chen:

Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Was reit'st Du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, Du bist allein,
Du schöne Braut! ich führ' Dich heim!

Da antwortete der Bekränzte drüben vom an¬
deren Tische mit der folgenden Strophe des Lie¬
des:

"Groß ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh'! Du weißt nicht, wer ich bin."

reiſender Spielmann aus alter Zeit von Haus zu
Haus und erzählte den Mädchen Mährchen, oder
ſang ihnen neue Melodieen auf ihre alten Lieder,
wobey ſie ſtill mit ihren ſinnigen Augen um ihn
herumſaſſen. Friedrich ſaß neben ihm auf der Bank,
den Kopf in beyde Arme auf die Kniee geſtützt,
und erholte ſich recht an den altfränkiſchen Klängen.

Die zwey Jäger hatten ſich nicht weit von ihnen
um einen Tiſch gelagert, der auf dem grünen Pla¬
tze zwiſchen den Häuſern und dem Rheine aufge¬
ſchlagen war, und ſchäkerten mit den Mädchen,
denen ſie gar wohl zu gefallen ſchienen. Die Mäd¬
chen verfertigten ſchnell einen fröhlichen, übervollen
Kranz von hellrothen Roſen, den ſie dem einen,
welcher der luſtigſte ſchien, auf die Stirn drückten.
Leontin, der wenig darauf Acht gab, begann fol¬
gendes Lied über ein am Rheine bekanntes Mähr¬
chen:

Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt,
Was reit'ſt Du einſam durch den Wald?
Der Wald iſt lang, Du biſt allein,
Du ſchöne Braut! ich führ' Dich heim!

Da antwortete der Bekränzte drüben vom an¬
deren Tiſche mit der folgenden Strophe des Lie¬
des:

„Groß iſt der Männer Trug und Liſt,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen iſt,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh'! Du weißt nicht, wer ich bin.“
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[285/0291] reiſender Spielmann aus alter Zeit von Haus zu Haus und erzählte den Mädchen Mährchen, oder ſang ihnen neue Melodieen auf ihre alten Lieder, wobey ſie ſtill mit ihren ſinnigen Augen um ihn herumſaſſen. Friedrich ſaß neben ihm auf der Bank, den Kopf in beyde Arme auf die Kniee geſtützt, und erholte ſich recht an den altfränkiſchen Klängen. Die zwey Jäger hatten ſich nicht weit von ihnen um einen Tiſch gelagert, der auf dem grünen Pla¬ tze zwiſchen den Häuſern und dem Rheine aufge¬ ſchlagen war, und ſchäkerten mit den Mädchen, denen ſie gar wohl zu gefallen ſchienen. Die Mäd¬ chen verfertigten ſchnell einen fröhlichen, übervollen Kranz von hellrothen Roſen, den ſie dem einen, welcher der luſtigſte ſchien, auf die Stirn drückten. Leontin, der wenig darauf Acht gab, begann fol¬ gendes Lied über ein am Rheine bekanntes Mähr¬ chen: Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt, Was reit'ſt Du einſam durch den Wald? Der Wald iſt lang, Du biſt allein, Du ſchöne Braut! ich führ' Dich heim! Da antwortete der Bekränzte drüben vom an¬ deren Tiſche mit der folgenden Strophe des Lie¬ des: „Groß iſt der Männer Trug und Liſt, Vor Schmerz mein Herz gebrochen iſt, Wohl irrt das Waldhorn her und hin, O flieh'! Du weißt nicht, wer ich bin.“

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/291>, abgerufen am 23.11.2024.