Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Leontin stutzte und sang weiter:

So reich geschmückt ist Roß und Weib,
So wunderschön der junge Leib,
Jetzt kenn' ich Dich -- Gott steh' mil bey!
Du bist die Hexe Lorelay.

Der Jäger antwortete wieder:

"Du kennst mich wohl -- von hohem Stein,
Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!"

Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf sie
los und trank Friedrich'n keck zu: Unsere Schönen
sollen leben! Friedrich stieß mit an. Da zersprang
der Römer des Jägers klingend an dem seinigen.
Der Jäger erblaßte und schleuderte das Glas in
den Rhein. --

Es war unterdeß schon spät geworden, die
Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben
ihre Kinder zu Bett und so verlohr sich nach und
nach eines nach dem andern, bis sich unsere Rei¬
sende allein auf dem Platze sahen. Die Nacht war
sehr warm, Leontin schlug daher vor, die ganze
Nacht über auf dem Rheine nach der Residenz hin¬
unterzufahren, er sey ein guter Steuermann und.
kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten sogleich
ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und so be¬
stiegen sie einen Kahn, der am Ufer angebunden
war. Den Knaben Erwin, der während Leontins
Liedern zu Friedrichs Füssen eingeschlafen, hatten

Leontin ſtutzte und ſang weiter:

So reich geſchmückt iſt Roß und Weib,
So wunderſchön der junge Leib,
Jetzt kenn' ich Dich — Gott ſteh' mil bey!
Du biſt die Hexe Lorelay.

Der Jäger antwortete wieder:

„Du kennſt mich wohl — von hohem Stein,
Schaut ſtill mein Schloß tief in den Rhein.
Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt,
Kommſt nimmermehr aus dieſem Wald!“

Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf ſie
los und trank Friedrich'n keck zu: Unſere Schönen
ſollen leben! Friedrich ſtieß mit an. Da zerſprang
der Römer des Jägers klingend an dem ſeinigen.
Der Jäger erblaßte und ſchleuderte das Glas in
den Rhein. —

Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die
Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben
ihre Kinder zu Bett und ſo verlohr ſich nach und
nach eines nach dem andern, bis ſich unſere Rei¬
ſende allein auf dem Platze ſahen. Die Nacht war
ſehr warm, Leontin ſchlug daher vor, die ganze
Nacht über auf dem Rheine nach der Reſidenz hin¬
unterzufahren, er ſey ein guter Steuermann und.
kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten ſogleich
ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und ſo be¬
ſtiegen ſie einen Kahn, der am Ufer angebunden
war. Den Knaben Erwin, der während Leontins
Liedern zu Friedrichs Füſſen eingeſchlafen, hatten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0292" n="286"/>
          <p>Leontin &#x017F;tutzte und &#x017F;ang weiter:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">So reich ge&#x017F;chmückt i&#x017F;t Roß und Weib,</l><lb/>
            <l>So <choice><sic>wnnder&#x017F;chön</sic><corr>wunder&#x017F;chön</corr></choice> der junge Leib,</l><lb/>
            <l>Jetzt kenn' ich Dich &#x2014; Gott &#x017F;teh' mil bey!</l><lb/>
            <l>Du bi&#x017F;t die Hexe Lorelay.</l><lb/>
          </lg>
          <p>Der Jäger antwortete wieder:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">&#x201E;Du kenn&#x017F;t mich wohl &#x2014; von hohem Stein,</l><lb/>
            <l>Schaut &#x017F;till mein Schloß tief in den Rhein.</l><lb/>
            <l>Es i&#x017F;t &#x017F;chon &#x017F;pät, es wird &#x017F;chon kalt,</l><lb/>
            <l>Komm&#x017F;t nimmermehr aus die&#x017F;em Wald!&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <p>Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf &#x017F;ie<lb/>
los und trank Friedrich'n keck zu: Un&#x017F;ere Schönen<lb/>
&#x017F;ollen leben! Friedrich &#x017F;tieß mit an. Da zer&#x017F;prang<lb/>
der Römer des Jägers klingend an dem &#x017F;einigen.<lb/>
Der Jäger erblaßte und &#x017F;chleuderte das Glas in<lb/>
den Rhein. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es war unterdeß &#x017F;chon &#x017F;pät geworden, die<lb/>
Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben<lb/>
ihre Kinder zu Bett und &#x017F;o verlohr &#x017F;ich nach und<lb/>
nach eines nach dem andern, bis &#x017F;ich un&#x017F;ere Rei¬<lb/>
&#x017F;ende allein auf dem Platze &#x017F;ahen. Die Nacht war<lb/>
&#x017F;ehr warm, Leontin &#x017F;chlug daher vor, die ganze<lb/>
Nacht über auf dem Rheine nach der Re&#x017F;idenz hin¬<lb/>
unterzufahren, er &#x017F;ey ein guter Steuermann und.<lb/>
kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten &#x017F;ogleich<lb/>
ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und &#x017F;o be¬<lb/>
&#x017F;tiegen &#x017F;ie einen Kahn, der am Ufer angebunden<lb/>
war. Den Knaben Erwin, der während Leontins<lb/>
Liedern zu Friedrichs Fü&#x017F;&#x017F;en einge&#x017F;chlafen, hatten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0292] Leontin ſtutzte und ſang weiter: So reich geſchmückt iſt Roß und Weib, So wunderſchön der junge Leib, Jetzt kenn' ich Dich — Gott ſteh' mil bey! Du biſt die Hexe Lorelay. Der Jäger antwortete wieder: „Du kennſt mich wohl — von hohem Stein, Schaut ſtill mein Schloß tief in den Rhein. Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt, Kommſt nimmermehr aus dieſem Wald!“ Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf ſie los und trank Friedrich'n keck zu: Unſere Schönen ſollen leben! Friedrich ſtieß mit an. Da zerſprang der Römer des Jägers klingend an dem ſeinigen. Der Jäger erblaßte und ſchleuderte das Glas in den Rhein. — Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben ihre Kinder zu Bett und ſo verlohr ſich nach und nach eines nach dem andern, bis ſich unſere Rei¬ ſende allein auf dem Platze ſahen. Die Nacht war ſehr warm, Leontin ſchlug daher vor, die ganze Nacht über auf dem Rheine nach der Reſidenz hin¬ unterzufahren, er ſey ein guter Steuermann und. kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten ſogleich ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und ſo be¬ ſtiegen ſie einen Kahn, der am Ufer angebunden war. Den Knaben Erwin, der während Leontins Liedern zu Friedrichs Füſſen eingeſchlafen, hatten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/292
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/292>, abgerufen am 23.11.2024.