Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Darauf kehrte sie wieder in den Garten zurück,
aus dem die Töne wollüstig nach ihr zu langen
schienen.

Am andern Tage saß Ida allein im Garten und
sah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die
Mittagszeit. Alle Gäste waren fortgezogen, die
ganze Gegend lag still und schwüle. Einzelne, selt¬
samgestaltete Wolken zogen langsam über den dun¬
kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher
Wind über die Gegend, und dann war es,
als ob die Felsen und die alten Bäume sich über
den Fluß unten neigten und miteinander über sie
besprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da sah
sie auf einmal einen schönen, hohen Ritter, der
auf einem schneeweissen Roße die Strasse hergeritten
kam. Seine Rüstung und sein Helm war wasser¬
blau, eine wasserblaue Binde flatterte in der Luft,
seine Sporen waren von Krystall. Er grüßte sie
freundlich, stieg ab und kam zu ihr. Ida schrie laut
auf vor Schreck, denn sie erblickte den alten wun¬
derthätigen Ring, den sie gestern in den Fluß ge¬
worfen hatte, an seinem Finger, und dachte so¬
gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬
te prophezeiht hatte. Der schöne Ritter zog sogleich
eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng
sie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er sie
auf den Mund, nannte sie seine Braut und ver¬
sprach, sie heute Abend heimzuholen. Ida konnte
nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge
sie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm sie

den

Darauf kehrte ſie wieder in den Garten zurück,
aus dem die Töne wollüſtig nach ihr zu langen
ſchienen.

Am andern Tage ſaß Ida allein im Garten und
ſah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die
Mittagszeit. Alle Gäſte waren fortgezogen, die
ganze Gegend lag ſtill und ſchwüle. Einzelne, ſelt¬
ſamgeſtaltete Wolken zogen langſam über den dun¬
kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher
Wind über die Gegend, und dann war es,
als ob die Felſen und die alten Bäume ſich über
den Fluß unten neigten und miteinander über ſie
beſprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da ſah
ſie auf einmal einen ſchönen, hohen Ritter, der
auf einem ſchneeweiſſen Roße die Straſſe hergeritten
kam. Seine Rüſtung und ſein Helm war waſſer¬
blau, eine waſſerblaue Binde flatterte in der Luft,
ſeine Sporen waren von Kryſtall. Er grüßte ſie
freundlich, ſtieg ab und kam zu ihr. Ida ſchrie laut
auf vor Schreck, denn ſie erblickte den alten wun¬
derthätigen Ring, den ſie geſtern in den Fluß ge¬
worfen hatte, an ſeinem Finger, und dachte ſo¬
gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬
te prophezeiht hatte. Der ſchöne Ritter zog ſogleich
eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng
ſie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er ſie
auf den Mund, nannte ſie ſeine Braut und ver¬
ſprach, ſie heute Abend heimzuholen. Ida konnte
nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge
ſie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm ſie

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="64"/>
Darauf kehrte &#x017F;ie wieder in den Garten zurück,<lb/>
aus dem die Töne wollü&#x017F;tig nach ihr zu langen<lb/>
&#x017F;chienen.</p><lb/>
          <p>Am andern Tage &#x017F;aß Ida allein im Garten und<lb/>
&#x017F;ah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die<lb/>
Mittagszeit. Alle Gä&#x017F;te waren fortgezogen, die<lb/>
ganze Gegend lag &#x017F;till und &#x017F;chwüle. Einzelne, &#x017F;elt¬<lb/>
&#x017F;amge&#x017F;taltete Wolken zogen lang&#x017F;am über den dun¬<lb/>
kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher<lb/>
Wind über die Gegend, und dann war es,<lb/>
als ob die Fel&#x017F;en und die alten Bäume &#x017F;ich über<lb/>
den Fluß unten neigten und miteinander über &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;prächen. Ein Schauder überlief Ida. Da &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ie auf einmal einen &#x017F;chönen, hohen Ritter, der<lb/>
auf einem &#x017F;chneewei&#x017F;&#x017F;en Roße die Stra&#x017F;&#x017F;e hergeritten<lb/>
kam. Seine Rü&#x017F;tung und &#x017F;ein Helm war wa&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
blau, eine wa&#x017F;&#x017F;erblaue Binde flatterte in der Luft,<lb/>
&#x017F;eine Sporen waren von Kry&#x017F;tall. Er grüßte &#x017F;ie<lb/>
freundlich, &#x017F;tieg ab und kam zu ihr. Ida &#x017F;chrie laut<lb/>
auf vor Schreck, denn &#x017F;ie erblickte den alten wun¬<lb/>
derthätigen Ring, den &#x017F;ie ge&#x017F;tern in den Fluß ge¬<lb/>
worfen hatte, an &#x017F;einem Finger, und dachte &#x017F;<lb/>
gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬<lb/>
te prophezeiht hatte. Der &#x017F;chöne Ritter zog &#x017F;ogleich<lb/>
eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng<lb/>
&#x017F;ie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er &#x017F;ie<lb/>
auf den Mund, nannte &#x017F;ie &#x017F;eine Braut und ver¬<lb/>
&#x017F;prach, &#x017F;ie heute Abend heimzuholen. Ida konnte<lb/>
nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge<lb/>
&#x017F;ie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0070] Darauf kehrte ſie wieder in den Garten zurück, aus dem die Töne wollüſtig nach ihr zu langen ſchienen. Am andern Tage ſaß Ida allein im Garten und ſah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die Mittagszeit. Alle Gäſte waren fortgezogen, die ganze Gegend lag ſtill und ſchwüle. Einzelne, ſelt¬ ſamgeſtaltete Wolken zogen langſam über den dun¬ kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher Wind über die Gegend, und dann war es, als ob die Felſen und die alten Bäume ſich über den Fluß unten neigten und miteinander über ſie beſprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da ſah ſie auf einmal einen ſchönen, hohen Ritter, der auf einem ſchneeweiſſen Roße die Straſſe hergeritten kam. Seine Rüſtung und ſein Helm war waſſer¬ blau, eine waſſerblaue Binde flatterte in der Luft, ſeine Sporen waren von Kryſtall. Er grüßte ſie freundlich, ſtieg ab und kam zu ihr. Ida ſchrie laut auf vor Schreck, denn ſie erblickte den alten wun¬ derthätigen Ring, den ſie geſtern in den Fluß ge¬ worfen hatte, an ſeinem Finger, und dachte ſo¬ gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬ te prophezeiht hatte. Der ſchöne Ritter zog ſogleich eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng ſie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er ſie auf den Mund, nannte ſie ſeine Braut und ver¬ ſprach, ſie heute Abend heimzuholen. Ida konnte nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge ſie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm ſie den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/70
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/70>, abgerufen am 28.11.2024.