Darauf kehrte sie wieder in den Garten zurück, aus dem die Töne wollüstig nach ihr zu langen schienen.
Am andern Tage saß Ida allein im Garten und sah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die Mittagszeit. Alle Gäste waren fortgezogen, die ganze Gegend lag still und schwüle. Einzelne, selt¬ samgestaltete Wolken zogen langsam über den dun¬ kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher Wind über die Gegend, und dann war es, als ob die Felsen und die alten Bäume sich über den Fluß unten neigten und miteinander über sie besprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da sah sie auf einmal einen schönen, hohen Ritter, der auf einem schneeweissen Roße die Strasse hergeritten kam. Seine Rüstung und sein Helm war wasser¬ blau, eine wasserblaue Binde flatterte in der Luft, seine Sporen waren von Krystall. Er grüßte sie freundlich, stieg ab und kam zu ihr. Ida schrie laut auf vor Schreck, denn sie erblickte den alten wun¬ derthätigen Ring, den sie gestern in den Fluß ge¬ worfen hatte, an seinem Finger, und dachte so¬ gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬ te prophezeiht hatte. Der schöne Ritter zog sogleich eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng sie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er sie auf den Mund, nannte sie seine Braut und ver¬ sprach, sie heute Abend heimzuholen. Ida konnte nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge sie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm sie
den
Darauf kehrte ſie wieder in den Garten zurück, aus dem die Töne wollüſtig nach ihr zu langen ſchienen.
Am andern Tage ſaß Ida allein im Garten und ſah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die Mittagszeit. Alle Gäſte waren fortgezogen, die ganze Gegend lag ſtill und ſchwüle. Einzelne, ſelt¬ ſamgeſtaltete Wolken zogen langſam über den dun¬ kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher Wind über die Gegend, und dann war es, als ob die Felſen und die alten Bäume ſich über den Fluß unten neigten und miteinander über ſie beſprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da ſah ſie auf einmal einen ſchönen, hohen Ritter, der auf einem ſchneeweiſſen Roße die Straſſe hergeritten kam. Seine Rüſtung und ſein Helm war waſſer¬ blau, eine waſſerblaue Binde flatterte in der Luft, ſeine Sporen waren von Kryſtall. Er grüßte ſie freundlich, ſtieg ab und kam zu ihr. Ida ſchrie laut auf vor Schreck, denn ſie erblickte den alten wun¬ derthätigen Ring, den ſie geſtern in den Fluß ge¬ worfen hatte, an ſeinem Finger, und dachte ſo¬ gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬ te prophezeiht hatte. Der ſchöne Ritter zog ſogleich eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng ſie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er ſie auf den Mund, nannte ſie ſeine Braut und ver¬ ſprach, ſie heute Abend heimzuholen. Ida konnte nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge ſie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm ſie
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Darauf kehrte ſie wieder in den Garten zurück,
aus dem die Töne wollüſtig nach ihr zu langen
ſchienen.
Am andern Tage ſaß Ida allein im Garten und
ſah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die
Mittagszeit. Alle Gäſte waren fortgezogen, die
ganze Gegend lag ſtill und ſchwüle. Einzelne, ſelt¬
ſamgeſtaltete Wolken zogen langſam über den dun¬
kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher
Wind über die Gegend, und dann war es,
als ob die Felſen und die alten Bäume ſich über
den Fluß unten neigten und miteinander über ſie
beſprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da ſah
ſie auf einmal einen ſchönen, hohen Ritter, der
auf einem ſchneeweiſſen Roße die Straſſe hergeritten
kam. Seine Rüſtung und ſein Helm war waſſer¬
blau, eine waſſerblaue Binde flatterte in der Luft,
ſeine Sporen waren von Kryſtall. Er grüßte ſie
freundlich, ſtieg ab und kam zu ihr. Ida ſchrie laut
auf vor Schreck, denn ſie erblickte den alten wun¬
derthätigen Ring, den ſie geſtern in den Fluß ge¬
worfen hatte, an ſeinem Finger, und dachte ſo¬
gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬
te prophezeiht hatte. Der ſchöne Ritter zog ſogleich
eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng
ſie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er ſie
auf den Mund, nannte ſie ſeine Braut und ver¬
ſprach, ſie heute Abend heimzuholen. Ida konnte
nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge
ſie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm ſie
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/70>, abgerufen am 28.11.2024.
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