Albert war, der auf seiner Rückreise von Rom hier seit einiger Zeit Beschäftigung und günstige Aufnahme gefunden. Dieser hatte nun kaum in Erfahrung ge¬ bracht, daß bei der eben angekommenen Gesellschaft ein Herr Fabitz den Kasperl zu spielen pflege, als er sogleich mit wahrem Missionarien-Eifer auf den Un¬ glücklichen losging, und ihm über das Unwürdige, Verkehrte und daher Unhaltbare seines Kunstgewerbes die gemessensten Vorstellungen machte. Er sprach viel vom ernsten Norden, wo die edlen Eichen höherer Bil¬ dung solch niederes Unkraut gar nicht aufkommen lie¬ ßen, ja eine norddeutsche Zunge, wie die seinige, ent¬ setzte sich schon vor dem barbarischen Laute: Kasperl! Fabitz dagegen meinte, er kenne zwar von den nordi¬ schen Zungen bloß die geräucherten, die langen, nord¬ deutschen Kaspar's aber seien wahrscheinlich nur zu langweilig, um auf das Theater gebracht zu werden. -- Zuletzt aber, da ihm die ganze Erscheinung des Norddeutschen etwas Neues war, überwältigte ihn sein Naturell. Unwillkürlich nahm er nach und nach, Zorn und Streitpunkt vergessend, die wunderliche Hal¬ tung, Gesicht und Stimme seines Gegners, der in seinem fanatischen Eifer nichts davon merkte, selber an, und focht so verzweifelt in aufgeschnappten hoch¬ trabenden Sentenzen, daß sein Gegner ganz confus wurde. -- Kordelchen hatte schon lange vom Billard zugehorcht. Allerliebster Narr, rief sie nun, hinzu¬
Albert war, der auf ſeiner Ruͤckreiſe von Rom hier ſeit einiger Zeit Beſchaͤftigung und guͤnſtige Aufnahme gefunden. Dieſer hatte nun kaum in Erfahrung ge¬ bracht, daß bei der eben angekommenen Geſellſchaft ein Herr Fabitz den Kasperl zu ſpielen pflege, als er ſogleich mit wahrem Miſſionarien-Eifer auf den Un¬ gluͤcklichen losging, und ihm uͤber das Unwuͤrdige, Verkehrte und daher Unhaltbare ſeines Kunſtgewerbes die gemeſſenſten Vorſtellungen machte. Er ſprach viel vom ernſten Norden, wo die edlen Eichen hoͤherer Bil¬ dung ſolch niederes Unkraut gar nicht aufkommen lie¬ ßen, ja eine norddeutſche Zunge, wie die ſeinige, ent¬ ſetzte ſich ſchon vor dem barbariſchen Laute: Kaſperl! Fabitz dagegen meinte, er kenne zwar von den nordi¬ ſchen Zungen bloß die geraͤucherten, die langen, nord¬ deutſchen Kaspar's aber ſeien wahrſcheinlich nur zu langweilig, um auf das Theater gebracht zu werden. — Zuletzt aber, da ihm die ganze Erſcheinung des Norddeutſchen etwas Neues war, uͤberwaͤltigte ihn ſein Naturell. Unwillkuͤrlich nahm er nach und nach, Zorn und Streitpunkt vergeſſend, die wunderliche Hal¬ tung, Geſicht und Stimme ſeines Gegners, der in ſeinem fanatiſchen Eifer nichts davon merkte, ſelber an, und focht ſo verzweifelt in aufgeſchnappten hoch¬ trabenden Sentenzen, daß ſein Gegner ganz confus wurde. — Kordelchen hatte ſchon lange vom Billard zugehorcht. Allerliebſter Narr, rief ſie nun, hinzu¬
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Albert war, der auf ſeiner Ruͤckreiſe von Rom hier
ſeit einiger Zeit Beſchaͤftigung und guͤnſtige Aufnahme
gefunden. Dieſer hatte nun kaum in Erfahrung ge¬
bracht, daß bei der eben angekommenen Geſellſchaft
ein Herr Fabitz den Kasperl zu ſpielen pflege, als er
ſogleich mit wahrem Miſſionarien-Eifer auf den Un¬
gluͤcklichen losging, und ihm uͤber das Unwuͤrdige,
Verkehrte und daher Unhaltbare ſeines Kunſtgewerbes
die gemeſſenſten Vorſtellungen machte. Er ſprach viel
vom ernſten Norden, wo die edlen Eichen hoͤherer Bil¬
dung ſolch niederes Unkraut gar nicht aufkommen lie¬
ßen, ja eine norddeutſche Zunge, wie die ſeinige, ent¬
ſetzte ſich ſchon vor dem barbariſchen Laute: Kaſperl!
Fabitz dagegen meinte, er kenne zwar von den nordi¬
ſchen Zungen bloß die geraͤucherten, die langen, nord¬
deutſchen Kaspar's aber ſeien wahrſcheinlich nur zu
langweilig, um auf das Theater gebracht zu werden.
— Zuletzt aber, da ihm die ganze Erſcheinung des
Norddeutſchen etwas Neues war, uͤberwaͤltigte ihn
ſein Naturell. Unwillkuͤrlich nahm er nach und nach,
Zorn und Streitpunkt vergeſſend, die wunderliche Hal¬
tung, Geſicht und Stimme ſeines Gegners, der in
ſeinem fanatiſchen Eifer nichts davon merkte, ſelber
an, und focht ſo verzweifelt in aufgeſchnappten hoch¬
trabenden Sentenzen, daß ſein Gegner ganz confus
wurde. — Kordelchen hatte ſchon lange vom Billard
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/100>, abgerufen am 22.11.2024.
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