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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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Strome hineinziehen sollte. Lothario, immer rastlos
umherschweifend, hatte in der kurzen Zeit alle verwor¬
renen Verhältnisse ihres neuen Aufenthalts schnell über¬
blickt, und entwarf nun in seiner Art eine Musterkarte
davon. Der Fürst, sagte er, ist ein erstaunlicher Vir¬
tuos, er spielt die schwierigste Romantik vom Blatt
weg, ohne eben selbst zu componiren. Die Fürstin ist
ganz und gar sinniger Roman, durch viele Hände ge¬
gangen, schon sehr zerlesen; ich glaube, der lange Lord
studirt sie jetzt. Diese wilde, schöne Gräfin dann, die
ihnen wie ein Hirsch durch alle ihre künstlichen Gehege
bricht, und die Meute Liebhaber hinter sich für Hunde
hält -- wahrlich, so scheues Wild weckt recht das
Jagdgelüste! -- Nimm dich in Acht, entgegnete For¬
tunat; was mich betrifft, so kümmert's mich wenig,
wie sie sind, das Ganze zusammen macht sich doch
schön, und mehr verlang' ich nicht von ihnen. -- Lo¬
thario sah ihn ein Weilchen fast ärgerlich an. Ich
begreif's nicht, sagte er dann, wie ihr Dichter es vor
Langerweile aushaltet, so ein dreißig bis funfzig Jahr
auf der ästhetischen Bärenhaut rücklings über zu lie¬
gen, und Kriegstroubel, Philosophie, wilde Jäger und
singende Engel, wie ein Wolkenspiel, über euch dahin¬
ziehen zu lassen, um daraus ganz gemächlich ein Paar
dicke Romane zusammenzuschreiben, die am Ende nie¬
mand liest. Zum Teufel, ich bin keine Aeolsharfe,
die nur Klang giebt, wenn ein Poet ihr Wind vor¬

Strome hineinziehen ſollte. Lothario, immer raſtlos
umherſchweifend, hatte in der kurzen Zeit alle verwor¬
renen Verhaͤltniſſe ihres neuen Aufenthalts ſchnell uͤber¬
blickt, und entwarf nun in ſeiner Art eine Muſterkarte
davon. Der Fuͤrſt, ſagte er, iſt ein erſtaunlicher Vir¬
tuos, er ſpielt die ſchwierigſte Romantik vom Blatt
weg, ohne eben ſelbſt zu componiren. Die Fuͤrſtin iſt
ganz und gar ſinniger Roman, durch viele Haͤnde ge¬
gangen, ſchon ſehr zerleſen; ich glaube, der lange Lord
ſtudirt ſie jetzt. Dieſe wilde, ſchoͤne Graͤfin dann, die
ihnen wie ein Hirſch durch alle ihre kuͤnſtlichen Gehege
bricht, und die Meute Liebhaber hinter ſich fuͤr Hunde
haͤlt — wahrlich, ſo ſcheues Wild weckt recht das
Jagdgeluͤſte! — Nimm dich in Acht, entgegnete For¬
tunat; was mich betrifft, ſo kuͤmmert's mich wenig,
wie ſie ſind, das Ganze zuſammen macht ſich doch
ſchoͤn, und mehr verlang' ich nicht von ihnen. — Lo¬
thario ſah ihn ein Weilchen faſt aͤrgerlich an. Ich
begreif's nicht, ſagte er dann, wie ihr Dichter es vor
Langerweile aushaltet, ſo ein dreißig bis funfzig Jahr
auf der aͤſthetiſchen Baͤrenhaut ruͤcklings uͤber zu lie¬
gen, und Kriegstroubel, Philoſophie, wilde Jaͤger und
ſingende Engel, wie ein Wolkenſpiel, uͤber euch dahin¬
ziehen zu laſſen, um daraus ganz gemaͤchlich ein Paar
dicke Romane zuſammenzuſchreiben, die am Ende nie¬
mand lieſt. Zum Teufel, ich bin keine Aeolsharfe,
die nur Klang giebt, wenn ein Poet ihr Wind vor¬

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[103/0110] Strome hineinziehen ſollte. Lothario, immer raſtlos umherſchweifend, hatte in der kurzen Zeit alle verwor¬ renen Verhaͤltniſſe ihres neuen Aufenthalts ſchnell uͤber¬ blickt, und entwarf nun in ſeiner Art eine Muſterkarte davon. Der Fuͤrſt, ſagte er, iſt ein erſtaunlicher Vir¬ tuos, er ſpielt die ſchwierigſte Romantik vom Blatt weg, ohne eben ſelbſt zu componiren. Die Fuͤrſtin iſt ganz und gar ſinniger Roman, durch viele Haͤnde ge¬ gangen, ſchon ſehr zerleſen; ich glaube, der lange Lord ſtudirt ſie jetzt. Dieſe wilde, ſchoͤne Graͤfin dann, die ihnen wie ein Hirſch durch alle ihre kuͤnſtlichen Gehege bricht, und die Meute Liebhaber hinter ſich fuͤr Hunde haͤlt — wahrlich, ſo ſcheues Wild weckt recht das Jagdgeluͤſte! — Nimm dich in Acht, entgegnete For¬ tunat; was mich betrifft, ſo kuͤmmert's mich wenig, wie ſie ſind, das Ganze zuſammen macht ſich doch ſchoͤn, und mehr verlang' ich nicht von ihnen. — Lo¬ thario ſah ihn ein Weilchen faſt aͤrgerlich an. Ich begreif's nicht, ſagte er dann, wie ihr Dichter es vor Langerweile aushaltet, ſo ein dreißig bis funfzig Jahr auf der aͤſthetiſchen Baͤrenhaut ruͤcklings uͤber zu lie¬ gen, und Kriegstroubel, Philoſophie, wilde Jaͤger und ſingende Engel, wie ein Wolkenſpiel, uͤber euch dahin¬ ziehen zu laſſen, um daraus ganz gemaͤchlich ein Paar dicke Romane zuſammenzuſchreiben, die am Ende nie¬ mand lieſt. Zum Teufel, ich bin keine Aeolsharfe, die nur Klang giebt, wenn ein Poet ihr Wind vor¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/110>, abgerufen am 21.11.2024.