höflich, aber finster und, wie es schien, ohne alle Theil¬ nahme an dem, was hinter seinen Bergen vorging. Seine größte Freude war ein Töchterchen, sein ein¬ ziges Kind, bei dessen Geburt die Mutter gestorben. Mit ihr pflegte er, wenn alles schon schlief, die Zinne des Schlosses zu besteigen, und zeigte ihr das Land, das ehemals ihre Ahnen beherrscht, so weit der Mond die Wälder beleuchtete, und erzählte ihr halbe Nächte hindurch von der alten großen Zeit und der fürstlichen Freiheit, die sich dem Zwang der Städte nicht unter¬ werfe. Unter solchen Träumen wuchs das Fräulein auf, und da der Krieg alles vereinzelte, so sah sie fast kein anderes Frauenzimmer, als ihre alte Amme, ein hexenhaftes Weib, das von ihrem Vater, einem Zi¬ geuner, und ihrer Mutter einer gefangenen Araberin, manch Zauberstückchen ererbt hatte, woran die Tradi¬ tion dieser Stämme so reich ist."
"Aber unseren Leuten blieb die junge Gräfin nicht lange verborgen, und die sie sahen, konnten nicht genug erzählen, wie wunderbar schön sie war: schwarze Locken, bleich mit brennendrothem Munde, die Augen wie ein dunkeler Abgrund. Täglich nun flimmerte es von französischen Offizieren auf dem Schlosse. Das gefiel ihr wohl, sie ritt und focht mit ihnen, und war der beste Schütz auf der Jagd, so oft aber einer näher trat mit verliebten Blicken oder Worten, sah sie ihn verwundert an, und wußte nicht was er wollte, allen
hoͤflich, aber finſter und, wie es ſchien, ohne alle Theil¬ nahme an dem, was hinter ſeinen Bergen vorging. Seine groͤßte Freude war ein Toͤchterchen, ſein ein¬ ziges Kind, bei deſſen Geburt die Mutter geſtorben. Mit ihr pflegte er, wenn alles ſchon ſchlief, die Zinne des Schloſſes zu beſteigen, und zeigte ihr das Land, das ehemals ihre Ahnen beherrſcht, ſo weit der Mond die Waͤlder beleuchtete, und erzaͤhlte ihr halbe Naͤchte hindurch von der alten großen Zeit und der fuͤrſtlichen Freiheit, die ſich dem Zwang der Staͤdte nicht unter¬ werfe. Unter ſolchen Traͤumen wuchs das Fraͤulein auf, und da der Krieg alles vereinzelte, ſo ſah ſie faſt kein anderes Frauenzimmer, als ihre alte Amme, ein hexenhaftes Weib, das von ihrem Vater, einem Zi¬ geuner, und ihrer Mutter einer gefangenen Araberin, manch Zauberſtuͤckchen ererbt hatte, woran die Tradi¬ tion dieſer Staͤmme ſo reich iſt.“
„Aber unſeren Leuten blieb die junge Graͤfin nicht lange verborgen, und die ſie ſahen, konnten nicht genug erzaͤhlen, wie wunderbar ſchoͤn ſie war: ſchwarze Locken, bleich mit brennendrothem Munde, die Augen wie ein dunkeler Abgrund. Taͤglich nun flimmerte es von franzoͤſiſchen Offizieren auf dem Schloſſe. Das gefiel ihr wohl, ſie ritt und focht mit ihnen, und war der beſte Schuͤtz auf der Jagd, ſo oft aber einer naͤher trat mit verliebten Blicken oder Worten, ſah ſie ihn verwundert an, und wußte nicht was er wollte, allen
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hoͤflich, aber finſter und, wie es ſchien, ohne alle Theil¬
nahme an dem, was hinter ſeinen Bergen vorging.
Seine groͤßte Freude war ein Toͤchterchen, ſein ein¬
ziges Kind, bei deſſen Geburt die Mutter geſtorben.
Mit ihr pflegte er, wenn alles ſchon ſchlief, die Zinne
des Schloſſes zu beſteigen, und zeigte ihr das Land,
das ehemals ihre Ahnen beherrſcht, ſo weit der Mond
die Waͤlder beleuchtete, und erzaͤhlte ihr halbe Naͤchte
hindurch von der alten großen Zeit und der fuͤrſtlichen
Freiheit, die ſich dem Zwang der Staͤdte nicht unter¬
werfe. Unter ſolchen Traͤumen wuchs das Fraͤulein
auf, und da der Krieg alles vereinzelte, ſo ſah ſie faſt
kein anderes Frauenzimmer, als ihre alte Amme, ein
hexenhaftes Weib, das von ihrem Vater, einem Zi¬
geuner, und ihrer Mutter einer gefangenen Araberin,
manch Zauberſtuͤckchen ererbt hatte, woran die Tradi¬
tion dieſer Staͤmme ſo reich iſt.“
„Aber unſeren Leuten blieb die junge Graͤfin
nicht lange verborgen, und die ſie ſahen, konnten nicht
genug erzaͤhlen, wie wunderbar ſchoͤn ſie war: ſchwarze
Locken, bleich mit brennendrothem Munde, die Augen
wie ein dunkeler Abgrund. Taͤglich nun flimmerte es
von franzoͤſiſchen Offizieren auf dem Schloſſe. Das
gefiel ihr wohl, ſie ritt und focht mit ihnen, und war
der beſte Schuͤtz auf der Jagd, ſo oft aber einer naͤher
trat mit verliebten Blicken oder Worten, ſah ſie ihn
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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