Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Gott! katholisch werden! Aber du kennst wohl meine
geistlichen Hymnen noch nicht, ehrwürdiger Vater? --
Und nun fing sie, eh' ich's mich versah, wüthend zu de¬
klamiren an, bei jedem Vers trat sie in der Verzückung
einen Schritt näher, ich einen Schritt zurück, bis an
eine Laube, wo ich geschwind entwischen will. Da
brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Busch¬
werk, und gerade auf mich los; es war der Bruder
des Fräuleins und sein akademischer Freund, ein durch¬
reisender englischer Lord. Der Lord, der uns für ver¬
liebt hält, nimmt sich sogleich der verfolgten Unschuld
der Jungfrau an, es werden Hieber angeschleppt und
ich muß mich auf der Stelle mit ihm duelliren. Ihr
wißt, ich führte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls,
wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging's
drauf -- das Fräulein lag in Ohnmacht -- Schlen¬
kerprimen und Schulterquarten, daß ich mein Barett
vom Kopf verlor. Nur noch einen Gang! rief der
Lord entzückt aus -- meinetwegen! -- und wieder
einen, und noch einen! -- Darüber wird mir endlich der
Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embras¬
sirt mich. -- Nun fand sich's, daß er auch ein heller,
philosophischer Kopf, und eben so erpicht auf Men¬
schenbildung war, als ich. Ich mußte mit ihm auf's
Schloß, da hatte er alle Koffer voll neuer Constitu¬
tionen, die er bei den verschiedenen Nationen anbrin¬
gen wollte. Wir disputiren zusammen die ganze

Gott! katholiſch werden! Aber du kennſt wohl meine
geiſtlichen Hymnen noch nicht, ehrwuͤrdiger Vater? —
Und nun fing ſie, eh' ich's mich verſah, wuͤthend zu de¬
klamiren an, bei jedem Vers trat ſie in der Verzuͤckung
einen Schritt naͤher, ich einen Schritt zuruͤck, bis an
eine Laube, wo ich geſchwind entwiſchen will. Da
brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Buſch¬
werk, und gerade auf mich los; es war der Bruder
des Fraͤuleins und ſein akademiſcher Freund, ein durch¬
reiſender engliſcher Lord. Der Lord, der uns fuͤr ver¬
liebt haͤlt, nimmt ſich ſogleich der verfolgten Unſchuld
der Jungfrau an, es werden Hieber angeſchleppt und
ich muß mich auf der Stelle mit ihm duelliren. Ihr
wißt, ich fuͤhrte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls,
wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging's
drauf — das Fraͤulein lag in Ohnmacht — Schlen¬
kerprimen und Schulterquarten, daß ich mein Barett
vom Kopf verlor. Nur noch einen Gang! rief der
Lord entzuͤckt aus — meinetwegen! — und wieder
einen, und noch einen! — Daruͤber wird mir endlich der
Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embraſ¬
ſirt mich. — Nun fand ſich's, daß er auch ein heller,
philoſophiſcher Kopf, und eben ſo erpicht auf Men¬
ſchenbildung war, als ich. Ich mußte mit ihm auf's
Schloß, da hatte er alle Koffer voll neuer Conſtitu¬
tionen, die er bei den verſchiedenen Nationen anbrin¬
gen wollte. Wir diſputiren zuſammen die ganze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="208"/>
Gott! katholi&#x017F;ch werden! Aber du kenn&#x017F;t wohl meine<lb/>
gei&#x017F;tlichen Hymnen noch nicht, ehrwu&#x0364;rdiger Vater? &#x2014;<lb/>
Und nun fing &#x017F;ie, eh' ich's mich ver&#x017F;ah, wu&#x0364;thend zu de¬<lb/>
klamiren an, bei jedem Vers trat &#x017F;ie in der Verzu&#x0364;ckung<lb/>
einen Schritt na&#x0364;her, ich einen Schritt zuru&#x0364;ck, bis an<lb/>
eine Laube, wo ich ge&#x017F;chwind entwi&#x017F;chen will. Da<lb/>
brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Bu&#x017F;ch¬<lb/>
werk, und gerade auf mich los; es war der Bruder<lb/>
des Fra&#x0364;uleins und &#x017F;ein akademi&#x017F;cher Freund, ein durch¬<lb/>
rei&#x017F;ender engli&#x017F;cher Lord. Der Lord, der uns fu&#x0364;r ver¬<lb/>
liebt ha&#x0364;lt, nimmt &#x017F;ich &#x017F;ogleich der verfolgten Un&#x017F;chuld<lb/>
der Jungfrau an, es werden Hieber ange&#x017F;chleppt und<lb/>
ich muß mich auf der Stelle mit ihm duelliren. Ihr<lb/>
wißt, ich fu&#x0364;hrte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls,<lb/>
wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging's<lb/>
drauf &#x2014; das Fra&#x0364;ulein lag in Ohnmacht &#x2014; Schlen¬<lb/>
kerprimen und Schulterquarten, daß ich mein Barett<lb/>
vom Kopf verlor. Nur noch einen Gang! rief der<lb/>
Lord entzu&#x0364;ckt aus &#x2014; meinetwegen! &#x2014; und wieder<lb/>
einen, und noch einen! &#x2014; Daru&#x0364;ber wird mir endlich der<lb/>
Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embra&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;irt mich. &#x2014; Nun fand &#x017F;ich's, daß er auch ein heller,<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Kopf, und eben &#x017F;o erpicht auf Men¬<lb/>
&#x017F;chenbildung war, als ich. Ich mußte mit ihm auf's<lb/>
Schloß, da hatte er alle Koffer voll neuer Con&#x017F;titu¬<lb/>
tionen, die er bei den ver&#x017F;chiedenen Nationen anbrin¬<lb/>
gen wollte. Wir di&#x017F;putiren zu&#x017F;ammen die ganze<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0215] Gott! katholiſch werden! Aber du kennſt wohl meine geiſtlichen Hymnen noch nicht, ehrwuͤrdiger Vater? — Und nun fing ſie, eh' ich's mich verſah, wuͤthend zu de¬ klamiren an, bei jedem Vers trat ſie in der Verzuͤckung einen Schritt naͤher, ich einen Schritt zuruͤck, bis an eine Laube, wo ich geſchwind entwiſchen will. Da brechen auf einmal zwei junge Leute aus dem Buſch¬ werk, und gerade auf mich los; es war der Bruder des Fraͤuleins und ſein akademiſcher Freund, ein durch¬ reiſender engliſcher Lord. Der Lord, der uns fuͤr ver¬ liebt haͤlt, nimmt ſich ſogleich der verfolgten Unſchuld der Jungfrau an, es werden Hieber angeſchleppt und ich muß mich auf der Stelle mit ihm duelliren. Ihr wißt, ich fuͤhrte eine gute Klinge, der Lord ebenfalls, wir konnten einander nichts anhaben. Nun ging's drauf — das Fraͤulein lag in Ohnmacht — Schlen¬ kerprimen und Schulterquarten, daß ich mein Barett vom Kopf verlor. Nur noch einen Gang! rief der Lord entzuͤckt aus — meinetwegen! — und wieder einen, und noch einen! — Daruͤber wird mir endlich der Lord ganz gewogen, wirft den Hieber weg und embraſ¬ ſirt mich. — Nun fand ſich's, daß er auch ein heller, philoſophiſcher Kopf, und eben ſo erpicht auf Men¬ ſchenbildung war, als ich. Ich mußte mit ihm auf's Schloß, da hatte er alle Koffer voll neuer Conſtitu¬ tionen, die er bei den verſchiedenen Nationen anbrin¬ gen wollte. Wir diſputiren zuſammen die ganze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/215
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/215>, abgerufen am 21.11.2024.