Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

war still und schritt in Gedanken immer schneller und
schneller, bis sie zuletzt an einen einsamen Platz kamen,
wo er sogleich auf ein kleines, unansehnliches Haus
zueilte. Er fand die Thür verschlossen, und klopfte
leise an; es blieb alles still drin, er klopfte noch ein¬
mal lauter. Da ließ sich eine überaus anmuthige
Stimme im Hause vernehmen: Mein Herr, ich kann
den Schlüssel im Dunkeln nicht finden, auch wacht die
Mutter noch, aber habt die Güte, rechts die Straße
hinabzugehen, dann links um die Ecke, über die Brücke
fort, dann wieder rechts, das vierte Gäßchen links
hinein, so kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn
Ihr dort nicht auf den Kettenhund stoßt und die Lei¬
ter findet, so könnt Ihr mir von dem Dache unseres
Hinterhauses noch eine gute Nacht sagen; aber sputet euch
und fallt nicht, denn ich bin schon sehr schläfrig. Und
kaum hatte sie ausgeredet, so hörten sie sie schon, leise
lachend, die Treppe hinanspringen. -- Annidi! rief nun
Otto höchstverwundert hinauf. Auf diesen Ton öffnete
sich schnell ein Fenster über ihnen, und eine Mädchenge¬
stalt von überraschender Schönheit mit rabenschwar¬
zem Haar und Augen erschien im hellsten Mondglanz.
Bist du es! rief sie erstaunt aus, ich meinte, es wäre
der lange Engländer, der mir vorhin wie auf hohen
Stelzen nachkam. Jetzt bemerkte sie auch Fortunaten,
stutzte und war bemüht, ihr loses Halstuch vor dem
Fremden rasch in Ordnung zu bringen. Otto hatte sich

war ſtill und ſchritt in Gedanken immer ſchneller und
ſchneller, bis ſie zuletzt an einen einſamen Platz kamen,
wo er ſogleich auf ein kleines, unanſehnliches Haus
zueilte. Er fand die Thuͤr verſchloſſen, und klopfte
leiſe an; es blieb alles ſtill drin, er klopfte noch ein¬
mal lauter. Da ließ ſich eine uͤberaus anmuthige
Stimme im Hauſe vernehmen: Mein Herr, ich kann
den Schluͤſſel im Dunkeln nicht finden, auch wacht die
Mutter noch, aber habt die Guͤte, rechts die Straße
hinabzugehen, dann links um die Ecke, uͤber die Bruͤcke
fort, dann wieder rechts, das vierte Gaͤßchen links
hinein, ſo kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn
Ihr dort nicht auf den Kettenhund ſtoßt und die Lei¬
ter findet, ſo koͤnnt Ihr mir von dem Dache unſeres
Hinterhauſes noch eine gute Nacht ſagen; aber ſputet euch
und fallt nicht, denn ich bin ſchon ſehr ſchlaͤfrig. Und
kaum hatte ſie ausgeredet, ſo hoͤrten ſie ſie ſchon, leiſe
lachend, die Treppe hinanſpringen. — Annidi! rief nun
Otto hoͤchſtverwundert hinauf. Auf dieſen Ton oͤffnete
ſich ſchnell ein Fenſter uͤber ihnen, und eine Maͤdchenge¬
ſtalt von uͤberraſchender Schoͤnheit mit rabenſchwar¬
zem Haar und Augen erſchien im hellſten Mondglanz.
Biſt du es! rief ſie erſtaunt aus, ich meinte, es waͤre
der lange Englaͤnder, der mir vorhin wie auf hohen
Stelzen nachkam. Jetzt bemerkte ſie auch Fortunaten,
ſtutzte und war bemuͤht, ihr loſes Halstuch vor dem
Fremden raſch in Ordnung zu bringen. Otto hatte ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0223" n="216"/>
war &#x017F;till und &#x017F;chritt in Gedanken immer &#x017F;chneller und<lb/>
&#x017F;chneller, bis &#x017F;ie zuletzt an einen ein&#x017F;amen Platz kamen,<lb/>
wo er &#x017F;ogleich auf ein kleines, unan&#x017F;ehnliches Haus<lb/>
zueilte. Er fand die Thu&#x0364;r ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und klopfte<lb/>
lei&#x017F;e an; es blieb alles &#x017F;till drin, er klopfte noch ein¬<lb/>
mal lauter. Da ließ &#x017F;ich eine u&#x0364;beraus anmuthige<lb/>
Stimme im Hau&#x017F;e vernehmen: Mein Herr, ich kann<lb/>
den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el im Dunkeln nicht finden, auch wacht die<lb/>
Mutter noch, aber habt die Gu&#x0364;te, rechts die Straße<lb/>
hinabzugehen, dann links um die Ecke, u&#x0364;ber die Bru&#x0364;cke<lb/>
fort, dann wieder rechts, das vierte Ga&#x0364;ßchen links<lb/>
hinein, &#x017F;o kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn<lb/>
Ihr dort nicht auf den Kettenhund &#x017F;toßt und die Lei¬<lb/>
ter findet, &#x017F;o ko&#x0364;nnt Ihr mir von dem Dache un&#x017F;eres<lb/>
Hinterhau&#x017F;es noch eine gute Nacht &#x017F;agen; aber &#x017F;putet euch<lb/>
und fallt nicht, denn ich bin &#x017F;chon &#x017F;ehr &#x017F;chla&#x0364;frig. Und<lb/>
kaum hatte &#x017F;ie ausgeredet, &#x017F;o ho&#x0364;rten &#x017F;ie &#x017F;ie &#x017F;chon, lei&#x017F;e<lb/>
lachend, die Treppe hinan&#x017F;pringen. &#x2014; Annidi! rief nun<lb/>
Otto ho&#x0364;ch&#x017F;tverwundert hinauf. Auf die&#x017F;en Ton o&#x0364;ffnete<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;chnell ein Fen&#x017F;ter u&#x0364;ber ihnen, und eine Ma&#x0364;dchenge¬<lb/>
&#x017F;talt von u&#x0364;berra&#x017F;chender Scho&#x0364;nheit mit raben&#x017F;chwar¬<lb/>
zem Haar und Augen er&#x017F;chien im hell&#x017F;ten Mondglanz.<lb/>
Bi&#x017F;t du es! rief &#x017F;ie er&#x017F;taunt aus, ich meinte, es wa&#x0364;re<lb/>
der lange Engla&#x0364;nder, der mir vorhin wie auf hohen<lb/>
Stelzen nachkam. Jetzt bemerkte &#x017F;ie auch Fortunaten,<lb/>
&#x017F;tutzte und war bemu&#x0364;ht, ihr lo&#x017F;es Halstuch vor dem<lb/>
Fremden ra&#x017F;ch in Ordnung zu bringen. Otto hatte &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0223] war ſtill und ſchritt in Gedanken immer ſchneller und ſchneller, bis ſie zuletzt an einen einſamen Platz kamen, wo er ſogleich auf ein kleines, unanſehnliches Haus zueilte. Er fand die Thuͤr verſchloſſen, und klopfte leiſe an; es blieb alles ſtill drin, er klopfte noch ein¬ mal lauter. Da ließ ſich eine uͤberaus anmuthige Stimme im Hauſe vernehmen: Mein Herr, ich kann den Schluͤſſel im Dunkeln nicht finden, auch wacht die Mutter noch, aber habt die Guͤte, rechts die Straße hinabzugehen, dann links um die Ecke, uͤber die Bruͤcke fort, dann wieder rechts, das vierte Gaͤßchen links hinein, ſo kommt Ihr in einen kleinen Hof, und wenn Ihr dort nicht auf den Kettenhund ſtoßt und die Lei¬ ter findet, ſo koͤnnt Ihr mir von dem Dache unſeres Hinterhauſes noch eine gute Nacht ſagen; aber ſputet euch und fallt nicht, denn ich bin ſchon ſehr ſchlaͤfrig. Und kaum hatte ſie ausgeredet, ſo hoͤrten ſie ſie ſchon, leiſe lachend, die Treppe hinanſpringen. — Annidi! rief nun Otto hoͤchſtverwundert hinauf. Auf dieſen Ton oͤffnete ſich ſchnell ein Fenſter uͤber ihnen, und eine Maͤdchenge¬ ſtalt von uͤberraſchender Schoͤnheit mit rabenſchwar¬ zem Haar und Augen erſchien im hellſten Mondglanz. Biſt du es! rief ſie erſtaunt aus, ich meinte, es waͤre der lange Englaͤnder, der mir vorhin wie auf hohen Stelzen nachkam. Jetzt bemerkte ſie auch Fortunaten, ſtutzte und war bemuͤht, ihr loſes Halstuch vor dem Fremden raſch in Ordnung zu bringen. Otto hatte ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/223
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/223>, abgerufen am 24.11.2024.