Aber wie siehst du aus! rief sie dann, Otto'n ge¬ nauer betrachtend, nüchtern und blaugrün, wie eine leere Weinflasche! Das kommt vom Ehestande. Ar¬ mer Junge! bliebst du mir treu, so wärest du nicht in das Unglück gerathen. -- Sie bestellte nun Wein, und sie setzten sich zusammen in die Laube. Otto hatte seit Monaten keinen Bekannten gesehen, nun war ihm nach der langen Einsamkeit wie einem Ge¬ nesenen, der zum erstenmal wieder in die frische Luft kommt. Sieh, Kordelchen, sagte er fröhlich, gerade in solchen linden Tagen war es auch, als wir uns zum erstenmal in Deutschland sahen. -- Ganz recht, erwie¬ derte sie mit leuchtenden Augen, wir rasteten eben unter einer alten Burg im Grün, da kam er aus dem Walde und sagte, er wollte mit uns ziehen. -- Sie meinte Lothario'n, Otto dachte, sie spräche von ihm. Wahrhaftig, fuhr er fort, mir ist heute ganz zu Mu¬ the, wie damals, als käme der Frühling wieder. -- Ach nein, nein, sagte sie traurig, der kommt nicht mehr wieder. -- Sie nippte schnell am Weinglas, um die Augen zu verbergen, die von Thränen glänzten, dann wandte sie das schöne, von Locken und Weinlaub verhängte Gesichtchen wieder heiter nach Otto herum. Da bemerkte sie, daß er auf beiden Armen über den Tisch gelehnt, sie mit einem langen, wirren Blick an¬ sah, den sie gar wohl verstand; sie schien davon über¬ rascht, beugte sich plötzlich vor ihn, und sah ihm halb¬
Aber wie ſiehſt du aus! rief ſie dann, Otto'n ge¬ nauer betrachtend, nuͤchtern und blaugruͤn, wie eine leere Weinflaſche! Das kommt vom Eheſtande. Ar¬ mer Junge! bliebſt du mir treu, ſo waͤreſt du nicht in das Ungluͤck gerathen. — Sie beſtellte nun Wein, und ſie ſetzten ſich zuſammen in die Laube. Otto hatte ſeit Monaten keinen Bekannten geſehen, nun war ihm nach der langen Einſamkeit wie einem Ge¬ neſenen, der zum erſtenmal wieder in die friſche Luft kommt. Sieh, Kordelchen, ſagte er froͤhlich, gerade in ſolchen linden Tagen war es auch, als wir uns zum erſtenmal in Deutſchland ſahen. — Ganz recht, erwie¬ derte ſie mit leuchtenden Augen, wir raſteten eben unter einer alten Burg im Gruͤn, da kam er aus dem Walde und ſagte, er wollte mit uns ziehen. — Sie meinte Lothario'n, Otto dachte, ſie ſpraͤche von ihm. Wahrhaftig, fuhr er fort, mir iſt heute ganz zu Mu¬ the, wie damals, als kaͤme der Fruͤhling wieder. — Ach nein, nein, ſagte ſie traurig, der kommt nicht mehr wieder. — Sie nippte ſchnell am Weinglas, um die Augen zu verbergen, die von Thraͤnen glaͤnzten, dann wandte ſie das ſchoͤne, von Locken und Weinlaub verhaͤngte Geſichtchen wieder heiter nach Otto herum. Da bemerkte ſie, daß er auf beiden Armen uͤber den Tiſch gelehnt, ſie mit einem langen, wirren Blick an¬ ſah, den ſie gar wohl verſtand; ſie ſchien davon uͤber¬ raſcht, beugte ſich ploͤtzlich vor ihn, und ſah ihm halb¬
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Aber wie ſiehſt du aus! rief ſie dann, Otto'n ge¬
nauer betrachtend, nuͤchtern und blaugruͤn, wie eine
leere Weinflaſche! Das kommt vom Eheſtande. Ar¬
mer Junge! bliebſt du mir treu, ſo waͤreſt du nicht
in das Ungluͤck gerathen. — Sie beſtellte nun Wein,
und ſie ſetzten ſich zuſammen in die Laube. Otto
hatte ſeit Monaten keinen Bekannten geſehen, nun
war ihm nach der langen Einſamkeit wie einem Ge¬
neſenen, der zum erſtenmal wieder in die friſche Luft
kommt. Sieh, Kordelchen, ſagte er froͤhlich, gerade in
ſolchen linden Tagen war es auch, als wir uns zum
erſtenmal in Deutſchland ſahen. — Ganz recht, erwie¬
derte ſie mit leuchtenden Augen, wir raſteten eben
unter einer alten Burg im Gruͤn, da kam er aus dem
Walde und ſagte, er wollte mit uns ziehen. — Sie
meinte Lothario'n, Otto dachte, ſie ſpraͤche von ihm.
Wahrhaftig, fuhr er fort, mir iſt heute ganz zu Mu¬
the, wie damals, als kaͤme der Fruͤhling wieder. —
Ach nein, nein, ſagte ſie traurig, der kommt nicht
mehr wieder. — Sie nippte ſchnell am Weinglas, um
die Augen zu verbergen, die von Thraͤnen glaͤnzten,
dann wandte ſie das ſchoͤne, von Locken und Weinlaub
verhaͤngte Geſichtchen wieder heiter nach Otto herum.
Da bemerkte ſie, daß er auf beiden Armen uͤber den
Tiſch gelehnt, ſie mit einem langen, wirren Blick an¬
ſah, den ſie gar wohl verſtand; ſie ſchien davon uͤber¬
raſcht, beugte ſich ploͤtzlich vor ihn, und ſah ihm halb¬
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/240>, abgerufen am 21.11.2024.
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