herüberschießen, dann stürzte er entsetzt über die noch leeren Treppen in's Freie hinaus.
Mit welchen Gedanken sah er nun den weiten, gestirnten Himmel wieder! Die plötzliche Erinnerung an die Zeit, wo er das Stück geschrieben, versenkte seine ganze Seele wie in ein Meer von Wehmuth. Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem stillen Abend, im Wald auf den Franzosen St. Val zielend, zum erstenmale Juanna erblickte, da war's ihm, wie in die Sonne zu sehen -- sie war schon lange unter¬ gegangen, aber Wald und Berge schimmerten und sprühten noch in wunderbaren Funken -- damals dich¬ tete er das Schauspiel von der wilden Gräfin. Da dachte er nicht, daß es so kommen würde! Und als es dann Friede und alles wieder still und nüchtern wurde, kehrte auch er nach Deutschland zurück, und der Frühling und das Grün der wechselnden Landschaften breiteten sich wie ein Schleier milde über das schöne Bild im Herzen. Aber nach der ernsten, bewegten Zeit, in der er ehrlich gerungen, kam ihm zu Hause nun alles so klein und unbedeutend vor, ihm war wie einem Schiffer nach langer stürmischer Fahrt, der den Boden unter sich noch immer wanken fühlt und aus dem Wirthshaus am Ufer sehnsüchtig wieder in den kühlen Wogenschlag hinaussieht. In solcher Laune war er nach kurzem Umhertreiben, um sich von der guten Gesellschaft zu erholen, zum Theil auch aus
heruͤberſchießen, dann ſtuͤrzte er entſetzt uͤber die noch leeren Treppen in's Freie hinaus.
Mit welchen Gedanken ſah er nun den weiten, geſtirnten Himmel wieder! Die ploͤtzliche Erinnerung an die Zeit, wo er das Stuͤck geſchrieben, verſenkte ſeine ganze Seele wie in ein Meer von Wehmuth. Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem ſtillen Abend, im Wald auf den Franzoſen St. Val zielend, zum erſtenmale Juanna erblickte, da war's ihm, wie in die Sonne zu ſehen — ſie war ſchon lange unter¬ gegangen, aber Wald und Berge ſchimmerten und ſpruͤhten noch in wunderbaren Funken — damals dich¬ tete er das Schauſpiel von der wilden Graͤfin. Da dachte er nicht, daß es ſo kommen wuͤrde! Und als es dann Friede und alles wieder ſtill und nuͤchtern wurde, kehrte auch er nach Deutſchland zuruͤck, und der Fruͤhling und das Gruͤn der wechſelnden Landſchaften breiteten ſich wie ein Schleier milde uͤber das ſchoͤne Bild im Herzen. Aber nach der ernſten, bewegten Zeit, in der er ehrlich gerungen, kam ihm zu Hauſe nun alles ſo klein und unbedeutend vor, ihm war wie einem Schiffer nach langer ſtuͤrmiſcher Fahrt, der den Boden unter ſich noch immer wanken fuͤhlt und aus dem Wirthshaus am Ufer ſehnſuͤchtig wieder in den kuͤhlen Wogenſchlag hinausſieht. In ſolcher Laune war er nach kurzem Umhertreiben, um ſich von der guten Geſellſchaft zu erholen, zum Theil auch aus
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heruͤberſchießen, dann ſtuͤrzte er entſetzt uͤber die noch
leeren Treppen in's Freie hinaus.
Mit welchen Gedanken ſah er nun den weiten,
geſtirnten Himmel wieder! Die ploͤtzliche Erinnerung
an die Zeit, wo er das Stuͤck geſchrieben, verſenkte
ſeine ganze Seele wie in ein Meer von Wehmuth.
Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem ſtillen
Abend, im Wald auf den Franzoſen St. Val zielend,
zum erſtenmale Juanna erblickte, da war's ihm, wie
in die Sonne zu ſehen — ſie war ſchon lange unter¬
gegangen, aber Wald und Berge ſchimmerten und
ſpruͤhten noch in wunderbaren Funken — damals dich¬
tete er das Schauſpiel von der wilden Graͤfin. Da
dachte er nicht, daß es ſo kommen wuͤrde! Und als
es dann Friede und alles wieder ſtill und nuͤchtern
wurde, kehrte auch er nach Deutſchland zuruͤck, und der
Fruͤhling und das Gruͤn der wechſelnden Landſchaften
breiteten ſich wie ein Schleier milde uͤber das ſchoͤne
Bild im Herzen. Aber nach der ernſten, bewegten
Zeit, in der er ehrlich gerungen, kam ihm zu Hauſe
nun alles ſo klein und unbedeutend vor, ihm war wie
einem Schiffer nach langer ſtuͤrmiſcher Fahrt, der den
Boden unter ſich noch immer wanken fuͤhlt und aus
dem Wirthshaus am Ufer ſehnſuͤchtig wieder in den
kuͤhlen Wogenſchlag hinausſieht. In ſolcher Laune
war er nach kurzem Umhertreiben, um ſich von der
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/261>, abgerufen am 24.11.2024.
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