Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.
Rettung. Ich spielt', ein frohes Kind, im Morgenscheine, Der Frühling schlug die Augen auf so helle, Hinunter reisten Ström' und Wolken schnelle, Ich streckt' die Arme nach in's Blaue, Reine. Noch wußt' ich's selbst nicht, was das alles meine: Die Lerch', der Wald, der Lüfte blaue Welle, Und träumend stand ich an des Frühlings Schwelle, Von fern rief's immer fort: Ich bin die Deine! Da kam ein alter Mann gegangen
Mit hohlen Augen und bleichen Wangen, Er schlich gebogen und schien so krank; Ich grüßt' ihn schön, doch für den Dank Faßt' er mich tückisch schnell von hinten, Schlang um die Arme mir dreifache Binden, Und wie ich rang und um Hülfe rief, Geschwind noch ein andrer zum Alten lief, Und von allen Seiten kamen Menschen gelaufen, Ein dunkelverworr'ner, trübseeliger Haufen. Die drängten mich gar tückisch in ihre Mitte, Führten durch's Land mich mit eiligem Schritte. Wie wandt' ich sehnend mich oft zurücke! Die Heimath schickte mir Abschiedsblicke; Die Büsche langten nach mir mit grünen Armen, Es schrie'n alle Vöglein recht zum Erbarmen. Doch die Alten hörten nicht die fernen Lieder, Sumsten düstere Worte nur hin und wieder, Rettung. Ich ſpielt', ein frohes Kind, im Morgenſcheine, Der Fruͤhling ſchlug die Augen auf ſo helle, Hinunter reiſten Stroͤm' und Wolken ſchnelle, Ich ſtreckt' die Arme nach in's Blaue, Reine. Noch wußt' ich's ſelbſt nicht, was das alles meine: Die Lerch', der Wald, der Luͤfte blaue Welle, Und traͤumend ſtand ich an des Fruͤhlings Schwelle, Von fern rief's immer fort: Ich bin die Deine! Da kam ein alter Mann gegangen
Mit hohlen Augen und bleichen Wangen, Er ſchlich gebogen und ſchien ſo krank; Ich gruͤßt' ihn ſchoͤn, doch fuͤr den Dank Faßt' er mich tuͤckiſch ſchnell von hinten, Schlang um die Arme mir dreifache Binden, Und wie ich rang und um Huͤlfe rief, Geſchwind noch ein andrer zum Alten lief, Und von allen Seiten kamen Menſchen gelaufen, Ein dunkelverworr'ner, truͤbſeeliger Haufen. Die draͤngten mich gar tuͤckiſch in ihre Mitte, Fuͤhrten durch's Land mich mit eiligem Schritte. Wie wandt' ich ſehnend mich oft zuruͤcke! Die Heimath ſchickte mir Abſchiedsblicke; Die Buͤſche langten nach mir mit gruͤnen Armen, Es ſchrie'n alle Voͤglein recht zum Erbarmen. Doch die Alten hoͤrten nicht die fernen Lieder, Sumſten duͤſtere Worte nur hin und wieder, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0088" n="70"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Rettung.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">I</hi>ch ſpielt', ein frohes Kind, im Morgenſcheine,</l><lb/> <l rendition="#et">Der Fruͤhling ſchlug die Augen auf ſo helle,</l><lb/> <l rendition="#et">Hinunter reiſten Stroͤm' und Wolken ſchnelle,</l><lb/> <l rendition="#et">Ich ſtreckt' die Arme nach in's Blaue, Reine.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Noch wußt' ich's ſelbſt nicht, was das alles meine:</l><lb/> <l rendition="#et">Die Lerch', der Wald, der Luͤfte blaue Welle,</l><lb/> <l rendition="#et">Und traͤumend ſtand ich an des Fruͤhlings Schwelle,</l><lb/> <l rendition="#et">Von fern rief's immer fort: Ich bin die Deine!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Da kam ein alter Mann gegangen</l><lb/> <l>Mit hohlen Augen und bleichen Wangen,</l><lb/> <l>Er ſchlich gebogen und ſchien ſo krank;</l><lb/> <l>Ich gruͤßt' ihn ſchoͤn, doch fuͤr den Dank</l><lb/> <l>Faßt' er mich tuͤckiſch ſchnell von hinten,</l><lb/> <l>Schlang um die Arme mir dreifache Binden,</l><lb/> <l>Und wie ich rang und um Huͤlfe rief,</l><lb/> <l>Geſchwind noch ein andrer zum Alten lief,</l><lb/> <l>Und von allen Seiten kamen Menſchen gelaufen,</l><lb/> <l>Ein dunkelverworr'ner, truͤbſeeliger Haufen.</l><lb/> <l>Die draͤngten mich gar tuͤckiſch in ihre Mitte,</l><lb/> <l>Fuͤhrten durch's Land mich mit eiligem Schritte.</l><lb/> <l>Wie wandt' ich ſehnend mich oft zuruͤcke!</l><lb/> <l>Die Heimath ſchickte mir Abſchiedsblicke;</l><lb/> <l>Die Buͤſche langten nach mir mit gruͤnen Armen,</l><lb/> <l>Es ſchrie'n alle Voͤglein recht zum Erbarmen.</l><lb/> <l>Doch die Alten hoͤrten nicht die fernen Lieder,</l><lb/> <l>Sumſten duͤſtere Worte nur hin und wieder,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0088]
Rettung.
Ich ſpielt', ein frohes Kind, im Morgenſcheine,
Der Fruͤhling ſchlug die Augen auf ſo helle,
Hinunter reiſten Stroͤm' und Wolken ſchnelle,
Ich ſtreckt' die Arme nach in's Blaue, Reine.
Noch wußt' ich's ſelbſt nicht, was das alles meine:
Die Lerch', der Wald, der Luͤfte blaue Welle,
Und traͤumend ſtand ich an des Fruͤhlings Schwelle,
Von fern rief's immer fort: Ich bin die Deine!
Da kam ein alter Mann gegangen
Mit hohlen Augen und bleichen Wangen,
Er ſchlich gebogen und ſchien ſo krank;
Ich gruͤßt' ihn ſchoͤn, doch fuͤr den Dank
Faßt' er mich tuͤckiſch ſchnell von hinten,
Schlang um die Arme mir dreifache Binden,
Und wie ich rang und um Huͤlfe rief,
Geſchwind noch ein andrer zum Alten lief,
Und von allen Seiten kamen Menſchen gelaufen,
Ein dunkelverworr'ner, truͤbſeeliger Haufen.
Die draͤngten mich gar tuͤckiſch in ihre Mitte,
Fuͤhrten durch's Land mich mit eiligem Schritte.
Wie wandt' ich ſehnend mich oft zuruͤcke!
Die Heimath ſchickte mir Abſchiedsblicke;
Die Buͤſche langten nach mir mit gruͤnen Armen,
Es ſchrie'n alle Voͤglein recht zum Erbarmen.
Doch die Alten hoͤrten nicht die fernen Lieder,
Sumſten duͤſtere Worte nur hin und wieder,
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| Zitationshilfe: | Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/88>, abgerufen am 18.05.2024. |
