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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
starrend von Seide oder Brokat. Der Reifrock selbst bestand aus
Draht, Fischbein oder Eisenreifen, und die Dame, welche ihn
trug, glich einer Handglocke oder einem umgestürzten Pokale.
Letzteres Gleichniß ist in der That praktisch benutzt worden, und
es sind noch heutigen Tages Pokale des sechszehnten Jahrhun-
derts vorhanden, welche umgestürzt eine Reifrockdame in der
Tracht dieser Zeit darstellen. Zuweilen wurde auch nur ein aus-
gestopftes Kissen um die Hüften gelegt. Es erzählte sich die bos-
hafte Welt von der Königin Margaretha, daß sie ein derartiges
Kissen, in welchem sich große Taschen befanden, um die Hüften
getragen habe. In jeder Tasche habe eine Schachtel gesteckt mit
dem Herzen eines ihrer ermordeten Liebhaber. Denn sie sorgte
stets dafür, daß ihre Herzen nach dem Tode einbalsamirt wur-
den. Davon wurde die Königin nun täglich dicker und ließ deß-
halb ihre Röcke immer weiter machen und ebenso die Aermel,
und um ihre Taille dünner erscheinen zu lassen, befahl sie, daß
man dünnes Eisenblech in die Röcke nähe. Es heißt, es habe
wenig Thüren gegeben, durch welche sie eingehen konnte. Man
nannte die Reifröcke damals vertugalles, vertugades und ver-
tugadins,
d. i. vertus galles, vertuguardiens.

Was die Tracht an Hals und Brust betrifft, so folgten auch
hier die Französinnen der verhüllenden und verunstaltenden Mode
der Spanierinnen. Aber schon Margaretha von Navarra machte
sich davon los und ahmte die freiere Weise italienischer Damen
nach, indem sie sich decolletirte und den Kragen mit dem Aus-
schnitt des Kleides verband. So sind die Worte Brantome's
über sie näher zu erklären: "Sie mochte aber die Form der Klei-
der und des Putzes ändern, so oft sie wollte, so bedeckte sie nie
ihren schönen Hals und ihren schönen Busen, dessen Anblick sie
der Welt nicht zu entziehen wagte." Anfangs fand die neue
Sitte viel Widerspruch, wurde aber doch schon unter der Regie-
rung Heinrichs IV. in Frankreich sehr allgemein. Auch in Bezug
auf den Kopfputz verfuhr die Königin Margaretha möglichst will-
kürlich, soweit es der allgemein herrschende Charakter erlaubte:
bald trug sie einen kleinen Hut nach spanischer Weise, bald eine

III. Die Neuzeit.
ſtarrend von Seide oder Brokat. Der Reifrock ſelbſt beſtand aus
Draht, Fiſchbein oder Eiſenreifen, und die Dame, welche ihn
trug, glich einer Handglocke oder einem umgeſtürzten Pokale.
Letzteres Gleichniß iſt in der That praktiſch benutzt worden, und
es ſind noch heutigen Tages Pokale des ſechszehnten Jahrhun-
derts vorhanden, welche umgeſtürzt eine Reifrockdame in der
Tracht dieſer Zeit darſtellen. Zuweilen wurde auch nur ein aus-
geſtopftes Kiſſen um die Hüften gelegt. Es erzählte ſich die bos-
hafte Welt von der Königin Margaretha, daß ſie ein derartiges
Kiſſen, in welchem ſich große Taſchen befanden, um die Hüften
getragen habe. In jeder Taſche habe eine Schachtel geſteckt mit
dem Herzen eines ihrer ermordeten Liebhaber. Denn ſie ſorgte
ſtets dafür, daß ihre Herzen nach dem Tode einbalſamirt wur-
den. Davon wurde die Königin nun täglich dicker und ließ deß-
halb ihre Röcke immer weiter machen und ebenſo die Aermel,
und um ihre Taille dünner erſcheinen zu laſſen, befahl ſie, daß
man dünnes Eiſenblech in die Röcke nähe. Es heißt, es habe
wenig Thüren gegeben, durch welche ſie eingehen konnte. Man
nannte die Reifröcke damals vertugalles, vertugades und ver-
tugadins,
d. i. vertus galles, vertuguardiens.

Was die Tracht an Hals und Bruſt betrifft, ſo folgten auch
hier die Franzöſinnen der verhüllenden und verunſtaltenden Mode
der Spanierinnen. Aber ſchon Margaretha von Navarra machte
ſich davon los und ahmte die freiere Weiſe italieniſcher Damen
nach, indem ſie ſich decolletirte und den Kragen mit dem Aus-
ſchnitt des Kleides verband. So ſind die Worte Brantome’s
über ſie näher zu erklären: „Sie mochte aber die Form der Klei-
der und des Putzes ändern, ſo oft ſie wollte, ſo bedeckte ſie nie
ihren ſchönen Hals und ihren ſchönen Buſen, deſſen Anblick ſie
der Welt nicht zu entziehen wagte.“ Anfangs fand die neue
Sitte viel Widerſpruch, wurde aber doch ſchon unter der Regie-
rung Heinrichs IV. in Frankreich ſehr allgemein. Auch in Bezug
auf den Kopfputz verfuhr die Königin Margaretha möglichſt will-
kürlich, ſoweit es der allgemein herrſchende Charakter erlaubte:
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[106/0118] III. Die Neuzeit. ſtarrend von Seide oder Brokat. Der Reifrock ſelbſt beſtand aus Draht, Fiſchbein oder Eiſenreifen, und die Dame, welche ihn trug, glich einer Handglocke oder einem umgeſtürzten Pokale. Letzteres Gleichniß iſt in der That praktiſch benutzt worden, und es ſind noch heutigen Tages Pokale des ſechszehnten Jahrhun- derts vorhanden, welche umgeſtürzt eine Reifrockdame in der Tracht dieſer Zeit darſtellen. Zuweilen wurde auch nur ein aus- geſtopftes Kiſſen um die Hüften gelegt. Es erzählte ſich die bos- hafte Welt von der Königin Margaretha, daß ſie ein derartiges Kiſſen, in welchem ſich große Taſchen befanden, um die Hüften getragen habe. In jeder Taſche habe eine Schachtel geſteckt mit dem Herzen eines ihrer ermordeten Liebhaber. Denn ſie ſorgte ſtets dafür, daß ihre Herzen nach dem Tode einbalſamirt wur- den. Davon wurde die Königin nun täglich dicker und ließ deß- halb ihre Röcke immer weiter machen und ebenſo die Aermel, und um ihre Taille dünner erſcheinen zu laſſen, befahl ſie, daß man dünnes Eiſenblech in die Röcke nähe. Es heißt, es habe wenig Thüren gegeben, durch welche ſie eingehen konnte. Man nannte die Reifröcke damals vertugalles, vertugades und ver- tugadins, d. i. vertus galles, vertuguardiens. Was die Tracht an Hals und Bruſt betrifft, ſo folgten auch hier die Franzöſinnen der verhüllenden und verunſtaltenden Mode der Spanierinnen. Aber ſchon Margaretha von Navarra machte ſich davon los und ahmte die freiere Weiſe italieniſcher Damen nach, indem ſie ſich decolletirte und den Kragen mit dem Aus- ſchnitt des Kleides verband. So ſind die Worte Brantome’s über ſie näher zu erklären: „Sie mochte aber die Form der Klei- der und des Putzes ändern, ſo oft ſie wollte, ſo bedeckte ſie nie ihren ſchönen Hals und ihren ſchönen Buſen, deſſen Anblick ſie der Welt nicht zu entziehen wagte.“ Anfangs fand die neue Sitte viel Widerſpruch, wurde aber doch ſchon unter der Regie- rung Heinrichs IV. in Frankreich ſehr allgemein. Auch in Bezug auf den Kopfputz verfuhr die Königin Margaretha möglichſt will- kürlich, ſoweit es der allgemein herrſchende Charakter erlaubte: bald trug ſie einen kleinen Hut nach ſpaniſcher Weiſe, bald eine

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/118>, abgerufen am 24.11.2024.