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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
an welchem sich die kommende Befreiung und Entfesselung an-
kündigt.

Nach der Mitte des Jahrhunderts aber gehen mit Justau-
corps und Wamms größere Veränderungen vor sich, freilich bei
beiden noch in dem alten Geiste. Das letztere schrumpft von unten
her zusammen, daß es zur Schoßweste wird. Da diese An-
stands halber auch zu Hause nicht mehr allein getragen werden
konnte, so mußte sie sich noch größere Beschränkungen gefallen
lassen: sie verlor die unnützen Aermel, und das Rückenstück,
welches nicht sichtbar wurde, konnte nun von anderem und schlech-
terem Stoffe gemacht werden. Um so mehr konnte man die vor-
dere Hälfte verzieren, und sie überzieht sich nicht bloß an den
Taschen und Rändern, sondern über die ganze Fläche mit zier-
licher, bunter Seidenstickerei von Blumen und Arabesken. So
entsteht unsre Weste, ein durchweg modernes Kleidungsstück, in
genauem Verfolg der Rest der unteren Tunica. Schon in den
achtziger Jahren gehen mehrere Westenformen neben einander
her: man trägt die lange Schoßweste und die Weste so kurz, wie
sie heute getragen wird; man findet sie mit einer Reihe Knöpfen
und übergeschlagen mit doppelter Reihe.

Nicht minder bedeutungsvoll war die Veränderung des Ober-
rocks, denn er wird zum Frack. Auch sein Vorbild dürfen wir
beim Militär suchen, welches im achtzehnten Jahrhundert viel-
fach tonangebend wurde, um so mehr als die Fürsten die Uni-
form anzulegen begannen, eine Sitte, die, vom deutschen Fried-
drich Wilhem I. ausgegangen, ganz wider den Geschmack der
französischen Könige lief. Ihre Triumphe waren sie gewohnt im
Thronsaal und im Salon zu feiern, nicht auf der Parade. Der
Reitersmann, der Anfangs den weiten Rock wie der Fußgänger
trug, pflegte sich die langen Schöße dadurch sitzgerecht machen,
daß er die Zipfel nach außen umklappte und sie mit Haken oder
Knopf befestigte. Bei andersfarbigem Unterfutter that das gute
Wirkung, und man führte darum die Sitte auch beim Fußvolk
ein. Bald aber wurden aus den umgeschlagenen Zipfeln Auf-
schläge, welche bei allen Heeren eingeführt wurden und das acht-

III. Die Neuzeit.
an welchem ſich die kommende Befreiung und Entfeſſelung an-
kündigt.

Nach der Mitte des Jahrhunderts aber gehen mit Juſtau-
corps und Wamms größere Veränderungen vor ſich, freilich bei
beiden noch in dem alten Geiſte. Das letztere ſchrumpft von unten
her zuſammen, daß es zur Schoßweſte wird. Da dieſe An-
ſtands halber auch zu Hauſe nicht mehr allein getragen werden
konnte, ſo mußte ſie ſich noch größere Beſchränkungen gefallen
laſſen: ſie verlor die unnützen Aermel, und das Rückenſtück,
welches nicht ſichtbar wurde, konnte nun von anderem und ſchlech-
terem Stoffe gemacht werden. Um ſo mehr konnte man die vor-
dere Hälfte verzieren, und ſie überzieht ſich nicht bloß an den
Taſchen und Rändern, ſondern über die ganze Fläche mit zier-
licher, bunter Seidenſtickerei von Blumen und Arabesken. So
entſteht unſre Weſte, ein durchweg modernes Kleidungsſtück, in
genauem Verfolg der Reſt der unteren Tunica. Schon in den
achtziger Jahren gehen mehrere Weſtenformen neben einander
her: man trägt die lange Schoßweſte und die Weſte ſo kurz, wie
ſie heute getragen wird; man findet ſie mit einer Reihe Knöpfen
und übergeſchlagen mit doppelter Reihe.

Nicht minder bedeutungsvoll war die Veränderung des Ober-
rocks, denn er wird zum Frack. Auch ſein Vorbild dürfen wir
beim Militär ſuchen, welches im achtzehnten Jahrhundert viel-
fach tonangebend wurde, um ſo mehr als die Fürſten die Uni-
form anzulegen begannen, eine Sitte, die, vom deutſchen Fried-
drich Wilhem I. ausgegangen, ganz wider den Geſchmack der
franzöſiſchen Könige lief. Ihre Triumphe waren ſie gewohnt im
Thronſaal und im Salon zu feiern, nicht auf der Parade. Der
Reitersmann, der Anfangs den weiten Rock wie der Fußgänger
trug, pflegte ſich die langen Schöße dadurch ſitzgerecht machen,
daß er die Zipfel nach außen umklappte und ſie mit Haken oder
Knopf befeſtigte. Bei andersfarbigem Unterfutter that das gute
Wirkung, und man führte darum die Sitte auch beim Fußvolk
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[272/0284] III. Die Neuzeit. an welchem ſich die kommende Befreiung und Entfeſſelung an- kündigt. Nach der Mitte des Jahrhunderts aber gehen mit Juſtau- corps und Wamms größere Veränderungen vor ſich, freilich bei beiden noch in dem alten Geiſte. Das letztere ſchrumpft von unten her zuſammen, daß es zur Schoßweſte wird. Da dieſe An- ſtands halber auch zu Hauſe nicht mehr allein getragen werden konnte, ſo mußte ſie ſich noch größere Beſchränkungen gefallen laſſen: ſie verlor die unnützen Aermel, und das Rückenſtück, welches nicht ſichtbar wurde, konnte nun von anderem und ſchlech- terem Stoffe gemacht werden. Um ſo mehr konnte man die vor- dere Hälfte verzieren, und ſie überzieht ſich nicht bloß an den Taſchen und Rändern, ſondern über die ganze Fläche mit zier- licher, bunter Seidenſtickerei von Blumen und Arabesken. So entſteht unſre Weſte, ein durchweg modernes Kleidungsſtück, in genauem Verfolg der Reſt der unteren Tunica. Schon in den achtziger Jahren gehen mehrere Weſtenformen neben einander her: man trägt die lange Schoßweſte und die Weſte ſo kurz, wie ſie heute getragen wird; man findet ſie mit einer Reihe Knöpfen und übergeſchlagen mit doppelter Reihe. Nicht minder bedeutungsvoll war die Veränderung des Ober- rocks, denn er wird zum Frack. Auch ſein Vorbild dürfen wir beim Militär ſuchen, welches im achtzehnten Jahrhundert viel- fach tonangebend wurde, um ſo mehr als die Fürſten die Uni- form anzulegen begannen, eine Sitte, die, vom deutſchen Fried- drich Wilhem I. ausgegangen, ganz wider den Geſchmack der franzöſiſchen Könige lief. Ihre Triumphe waren ſie gewohnt im Thronſaal und im Salon zu feiern, nicht auf der Parade. Der Reitersmann, der Anfangs den weiten Rock wie der Fußgänger trug, pflegte ſich die langen Schöße dadurch ſitzgerecht machen, daß er die Zipfel nach außen umklappte und ſie mit Haken oder Knopf befeſtigte. Bei andersfarbigem Unterfutter that das gute Wirkung, und man führte darum die Sitte auch beim Fußvolk ein. Bald aber wurden aus den umgeſchlagenen Zipfeln Auf- ſchläge, welche bei allen Heeren eingeführt wurden und das acht-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/284>, abgerufen am 26.11.2024.