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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
nun länger oder kürzer sein, einem wohlgebildeten Kegel mit
sehr breiter Basis im Verhältniß zur Höhe gleichkam. Es war
also von der menschlichen Gestalt nicht viel übrig geblieben,
Kopf und Arme ausgenommen. Im Uebrigen war aber nichts
dagegen einzuwenden, da sie zu Hause bequem war, draußen
den Mantel gut vertrat und unter allen Umständen den untern
Putz schützte. Dennoch fand sie ihre männlichen Gegner und
bedurfte schon 1714 der weiblichen Vertheidigung, wie wir das
oben gesehen haben. Spott und ernste Angriffe halfen auch hier
nicht, sondern bewirkten vielmehr das Gegentheil. Jene Ver-
theidigung schließt mit den Worten:

"Laßt Mopsum immer auf Contusch und Reifenröcke
Verleumdungspulver streun bei einer jeden Ecke,
Sucht ihm vielmehr zum Trotz darinnen stets zugehn,
Weil sie commode sein, daneben artig stehn."

So lange wie der Reifrock oder Culs und Bouffanten in
Blüthe standen, so lange lebte auch die Schnürbrust, denn
eines bedingte das andere, da es ja darauf ankam, die
Schlankheit der Figur -- d. h. nach der Auffassung jener Zeiten --
durch den Gegensatz zu heben. Demnach ruht der Obertheil des
Körpers mit dem möglichst kleinen Umfang auf den ins Unge-
heure ausgedehnten Hüften. Ebenso erforderte die Schmalheit
der Taille wieder ihre übertriebene Länge. Auch hier trat erst
die Revolution mit ihrer Gräkomanie umgestaltend ein.

Dieselbe bewirkte auch die endliche Umbildung der weib-
lichen Fußbekleidung. Bis dahin hatten sich nach wie vor
die hohen Absätze gehalten, um so mehr da die Füße mit viel
bedeutenderer Wichtigkeit auftraten, seitdem das Reifengestell
rundum das Kleid hob und die Füße sichtbar machte. Zum
ersten Mal war eigentlich jetzt in der Geschichte der weiblichen
Kleidung der Damenfuß völlig emancipirt und gehörte nun zu
den sichtbaren Reizen, während man früher seine Schönheit viel-
mehr hatte ahnen müssen und lassen. Das blieb auch, als der
Reifrock sank; selbst die französische Revolution mit ihrem a la

III. Die Neuzeit.
nun länger oder kürzer ſein, einem wohlgebildeten Kegel mit
ſehr breiter Baſis im Verhältniß zur Höhe gleichkam. Es war
alſo von der menſchlichen Geſtalt nicht viel übrig geblieben,
Kopf und Arme ausgenommen. Im Uebrigen war aber nichts
dagegen einzuwenden, da ſie zu Hauſe bequem war, draußen
den Mantel gut vertrat und unter allen Umſtänden den untern
Putz ſchützte. Dennoch fand ſie ihre männlichen Gegner und
bedurfte ſchon 1714 der weiblichen Vertheidigung, wie wir das
oben geſehen haben. Spott und ernſte Angriffe halfen auch hier
nicht, ſondern bewirkten vielmehr das Gegentheil. Jene Ver-
theidigung ſchließt mit den Worten:

„Laßt Mopſum immer auf Contuſch und Reifenröcke
Verleumdungspulver ſtreun bei einer jeden Ecke,
Sucht ihm vielmehr zum Trotz darinnen ſtets zugehn,
Weil ſie commode ſein, daneben artig ſtehn.“

So lange wie der Reifrock oder Culs und Bouffanten in
Blüthe ſtanden, ſo lange lebte auch die Schnürbruſt, denn
eines bedingte das andere, da es ja darauf ankam, die
Schlankheit der Figur — d. h. nach der Auffaſſung jener Zeiten —
durch den Gegenſatz zu heben. Demnach ruht der Obertheil des
Körpers mit dem möglichſt kleinen Umfang auf den ins Unge-
heure ausgedehnten Hüften. Ebenſo erforderte die Schmalheit
der Taille wieder ihre übertriebene Länge. Auch hier trat erſt
die Revolution mit ihrer Gräkomanie umgeſtaltend ein.

Dieſelbe bewirkte auch die endliche Umbildung der weib-
lichen Fußbekleidung. Bis dahin hatten ſich nach wie vor
die hohen Abſätze gehalten, um ſo mehr da die Füße mit viel
bedeutenderer Wichtigkeit auftraten, ſeitdem das Reifengeſtell
rundum das Kleid hob und die Füße ſichtbar machte. Zum
erſten Mal war eigentlich jetzt in der Geſchichte der weiblichen
Kleidung der Damenfuß völlig emancipirt und gehörte nun zu
den ſichtbaren Reizen, während man früher ſeine Schönheit viel-
mehr hatte ahnen müſſen und laſſen. Das blieb auch, als der
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[290/0302] III. Die Neuzeit. nun länger oder kürzer ſein, einem wohlgebildeten Kegel mit ſehr breiter Baſis im Verhältniß zur Höhe gleichkam. Es war alſo von der menſchlichen Geſtalt nicht viel übrig geblieben, Kopf und Arme ausgenommen. Im Uebrigen war aber nichts dagegen einzuwenden, da ſie zu Hauſe bequem war, draußen den Mantel gut vertrat und unter allen Umſtänden den untern Putz ſchützte. Dennoch fand ſie ihre männlichen Gegner und bedurfte ſchon 1714 der weiblichen Vertheidigung, wie wir das oben geſehen haben. Spott und ernſte Angriffe halfen auch hier nicht, ſondern bewirkten vielmehr das Gegentheil. Jene Ver- theidigung ſchließt mit den Worten: „Laßt Mopſum immer auf Contuſch und Reifenröcke Verleumdungspulver ſtreun bei einer jeden Ecke, Sucht ihm vielmehr zum Trotz darinnen ſtets zugehn, Weil ſie commode ſein, daneben artig ſtehn.“ So lange wie der Reifrock oder Culs und Bouffanten in Blüthe ſtanden, ſo lange lebte auch die Schnürbruſt, denn eines bedingte das andere, da es ja darauf ankam, die Schlankheit der Figur — d. h. nach der Auffaſſung jener Zeiten — durch den Gegenſatz zu heben. Demnach ruht der Obertheil des Körpers mit dem möglichſt kleinen Umfang auf den ins Unge- heure ausgedehnten Hüften. Ebenſo erforderte die Schmalheit der Taille wieder ihre übertriebene Länge. Auch hier trat erſt die Revolution mit ihrer Gräkomanie umgeſtaltend ein. Dieſelbe bewirkte auch die endliche Umbildung der weib- lichen Fußbekleidung. Bis dahin hatten ſich nach wie vor die hohen Abſätze gehalten, um ſo mehr da die Füße mit viel bedeutenderer Wichtigkeit auftraten, ſeitdem das Reifengeſtell rundum das Kleid hob und die Füße ſichtbar machte. Zum erſten Mal war eigentlich jetzt in der Geſchichte der weiblichen Kleidung der Damenfuß völlig emancipirt und gehörte nun zu den ſichtbaren Reizen, während man früher ſeine Schönheit viel- mehr hatte ahnen müſſen und laſſen. Das blieb auch, als der Reifrock ſank; ſelbſt die franzöſiſche Revolution mit ihrem à la

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/302>, abgerufen am 24.11.2024.